"Waterloo" für Data-Retention

20.07.2007

Gegner der Vorratsdatenspeicherung [Data-Retention] sehen sich durch eine Stellungnahme der Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof, Juliane Kokott, zur Auskunftspflicht bei Internet-Anbietern bestärkt.

"Man kann daran zweifeln, ob die Speicherung von Verkehrsdaten aller Nutzer – gewissermaßen auf Vorrat – mit Grundrechten vereinbar ist, insbesondere da dies ohne konkreten Verdacht geschieht", schrieb Kokott, in einer Stellungnahme zum Verfahren des spanischen Verbands Promusicae gegen den Telekom-Anbieter Telefonica.

Der deutsche Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung sieht sich nun in seiner Einschätzung bestätigt, dass die Vorratsdatenspeicherung mit den Grundrechten nicht vereinbar ist und forderte, die Vorratsdatenspeicherung auf Eis zu legen, bis der Europäische Gerichtshof über ihre Rechtmäßigkeit entschieden hat. Eine Nichtigkeitsklage Irlands gegen die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist derzeit anhängig.

Anderfalls erwarte die deutsche Regierung in Luxemburg [den Sitz des Europäischen Gerichtshofes, Anm.] ein "fulminantes Waterloo", teilte Patrick Breyer vom deutschen Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung am Freitag in einer Aussendung mit.

Laut dem Schlussantrag der EU-Generalanwältin an den EU-Gerichtshof im Fall Promusicae gegen Telefonica müssen Internet-Provider keine Daten über Kunden, die Tauschbörsen nutzen, an die Inhaber oder Vertreter von Urheberrechten hergeben.

"Nur schwere Kriminalität"

In Deutschland sollen die Vorrat gespeicherten Daten auch zur Verfolgung privater Tauschbörsennutzer und zur geheimdienstlichen Beobachtung von Personen genutzt werden können. Der Arbeitskreis gegen die Vorratsdatenspeicherung sieht sich von Kokott auch in seiner ablehnenden Haltung dagegen bestärkt.

In der Stellungnahme der Generalanwältin ist zu lesen, dass selbst wenn man die Zulässigkeit einer Vorratsdatenspeicherung unterstelle, "nur schwere Kriminalität eine gemeinschaftsweite Vorratsdatenspeicherung von Verkehrsdaten und ihrer Verwendung erfordert".

In Österreich wurde den Begehrlichkeiten der Unterhaltungsindustrie bei der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorerst keine Rechung getragen.

In einer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf monierte der Verband der österreichischen Musikwirtschaft [IFPI] daher auch, dass im vorliegenden Entwurf zur Vorratsdatenspeicherung die Verwendung der Daten in Österreich auf die von der EU ausdrücklich vorgesehenen Zwecke beschränkt werde: "Der österreichische Gesetzgeber verknüpft in der zentralen Bestimmung des § 102a Abs 1 offenbar Speicherpflicht und Auskunftsleistung und limitiert dabei die Auskunftsleistung rigoros auf Fälle schwerer Straftaten."

"Nicht ohne Beteiligung staatlicher Stellen"

Auch dem Rütteln der deutschen Unions-Parteien an einem Richtervorbehalt, der in einem deutschen Gesetzesentwurf zur Stärkung der Durchsetzung des Urheberrechts festgehalten ist, schiebt Kokott nach Meinung des Arbeitskreises einen Riegel vor.

Nutzerdaten dürfen der Generalanwältin zufolge "nicht ohne Beteiligung [staatlicher] Stellen an die privaten Rechteinhaber herausgegeben werden".

Es sei Sache der Mitgliedsstaaten dies zu regeln, sagte ein Mitarbeiter der EU-Generalanwältin gegenüber ORF.at dazu: Die Beteiligung öffentlicher Stellen sollte jedoch vorgesehen sein.

Rechtslage in Österreich

Auch die derzeitige österreichische Rechtslage könnte sich demnach im Konflikt mit der Rechtsmeinung der EU-Generalanwältin befinden.

Während die Auskunft über die Verkehrsdaten von Personen wie in der Strafprozessordnung [§ 149a] vorgesehen nur nach richterlichem Beschluss erteilt werden können, verpflichtet das Urheberrechtsgesetz [§ 87b] "Vermittler" dazu, Rechteinhabern, deren Urheberrechte verletzt wurden, Auskunft über die Identität der "Verletzer" zu geben.

Stammdatenauskunft für Rechteinhaber

Dabei müssen Provider den Rechteinhabern laut Wolfgang Schwabl, Vorstandsmitglied des Verbandes der österreichischen Internet Service Provider [ISPA], Auskünfte über die Stammdaten [wer zu einem bestimmten Zeitpunkt Inhaber einer IP-Adresse war] erteilen.

Voraussetzung dafür sei jedoch, dass die Daten verfügbar sind, sagte Schwabl.

"Uns stört, dass es dabei keinen Richter gibt, der darüber befindet, ob das, was der Rechtinhaber vermutet auch zutrifft", meinte Schwabl. Er sprach von Dutzenden solcher Anfragen pro Jahr.

Einem Urteil des Obersten Gerichtshofs folgend müssen Österreichs Provider derzeit die fortlaufend vergebenen IP-Adressen ihrer ADSL-Kunden speichern und im Rahmen der Auskunftsplicht "formlos bekannt geben". Laut Telekom-Gesetz müssen Verkehrsdaten jedoch gelöscht werden, wenn sie nicht für die Verrechnung gebraucht werden.

Die für die Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von der EU gesetzte Frist zur Speicherpflicht für Verkehrsdaten aus Telefonienetzen bis zum 15. September wird sich in Österreich nicht ausgehen. Für Internet-Daten läuft die Frist bis Frühjahr 2008.