IPv6: Die Zukunft hat kein Geschäftsmodell
Ein neuer Vorschlag, nach dem das US-Internet bis 2011 vollständig auf IPv6 umgestellt sein soll, wirft die Frage auf, warum die Migration auf das neue Protokoll auch in Österreich wesentlich langsamer vonstatten geht als ursprünglich gedacht.
Mit einem Entwurf zu einem Zeitplan für den Übergang des gesamten US-Internets auf IPv6 hat John Curran, Vorsitzender der American Registry for Internet Numbers [ARIN] in der Internet Engineering Task Force [IETF], die Diskussion über die Umstellung auf das neue Protokoll neu angestoßen.
In dem Ende Juli auf der Website der IETF publizierten Papier schlägt Curran einen dreistufigen Umstellungsplan vor. In der ersten Phase, die ab sofort bis Dezember 2008 läuft, sollen sich die Provider darauf vorbereiten, ihren Kunden Internet-Verbindungen über IPv6 anzubieten. Das könne über native IPv6-Dienste oder mit Hilfe technischer Übergangslösungen bewältigt werden.
Im Rahmen der zweiten Phase, die von Jänner 2009 bis Dezember 2010 laufen soll, müssen Provider und große Organisationen auf IPv6 umstellen. Ab Jänner 2011 sollte das Internet in den USA dann vollständig auf IPv6 umgestellt sein, schlägt Curran vor.
IPv6
IPv6 ist der Nachfolger des derzeit in den meisten IP-Netzwerken genutzten Protokolls IPv4. Während IPv4 nur etwa 4,3 Milliarden Adressen bereitstellt, machte sich während des Internet-Booms in den 1990er Jahren die Angst breit, dass die Adressen bei einer Massennutzung des Internets bald ausgehen würden.
1998 veröffentlichte die Internet Society mit RFC 2460 die Spezifikation für das Nachfolgerprotokoll IPv6, das unter anderem 128 Bit Adresslänge aufweist, damit circa 340 Sextillionen Adressen bereitstellt und es daher wieder möglich machen soll, jedes einzelne Gerät ohne Routing-Tricks mit einer eigenen festen IP-Adresse auszustatten. IPv6 erlaubt auch größere Datenpakete und einfachere Fernkonfiguration der Netzwerkgeräte.
Das Backbone in Österreich
Das österreichische Wissenschaftsnetz ACOnet, das ebenso wie der wichtigste heimische Internet-Knotenpunkt Vienna Internet eXchange [VIX] vom Zentralen Informatikdienst der Universität Wien betrieben wird, bietet schon seit 2001 native IPv6-Anbindungen an.
"Wir betreiben einen eigenen reinen IPv6-Router in Wien, der österreichweit das Routing aller angeschlossenen Teilnehmer sowie die externen Datenverbindungen betreibt. Von diesem Router in Wien können wir direkte Verbindungen zu allen Teilnehmern schalten. Es sind daher keinerlei Tunnels oder andere Transitionsmechanismen notwendig", schreibt ZID-Sprecher Harald Michl.
Seit dem 1. Jänner 2005 sei auch der VIX in den Dualstack-Produktionsbetrieb mit gleichzeitiger Unterstützung von IPv4 und IPv6 übergegangen.
IPv4 aus Sicherheitsgründen
Das ACOnet-Backbone werde aber weiterhin mit IPv4 gefahren - aus Sicherheitsgründen. Michl: "Obwohl die eingesetzten Geräte im Backbone in vollem Umfang IPv6-tauglich sind, haben wir von einem IPv6-Regelbetrieb bisher Abstand genommen. Dies vor allem deshalb, weil wir aufwendige Techniken verwenden, um unsere Infrastruktur von diversen Attacken zu verschonen, diese Mechanismen für IPv6 derzeit aber noch nicht zur Verfügung stehen."
Außerdem werde die IPv6-Infrastruktur noch kaum in Anspruch genommen. Laut Michl ist das IPv6-Datenvolumen, das ACOnet über VIX laufen lässt, "verschwindend gering". Er schätzt, dass der IPv6-Traffic bei ein bis zwei Megabit pro Sekunde liegt. Zum Vergleich: Der Tagesspitzenwert des gesamten Datenverkehrs liegt dort zwischen zehn und zwölf Gigabit pro Sekunde.
Auch Robert Schischka, Technischer Geschäftsführer der österreichischen Registry nic.at, sieht hierzulande nur eine schwache Nachfrage nach dem neuen Protokoll. "Es fehlt die Killerapplikation", sagt Schischka. "Außerdem fehlt der Leidensdruck zur Umstellung. IPv6 wird so gut wie nicht genutzt."
In den vergangenen Jahren seien viele der Features, mit denen für IPv6 geworben wurde, auch auf IPv4 nachgerüstet worden. Nur für die Internet-Telefonie würden sich bei einer vollständigen Umstellung auf IPv6 spürbare Verbesserungen ergeben, so Schischka. "Network Address Translation ist schlecht für Voice over IP."
Keine Einsparungen
Früher sei auch damit argumentiert worden, dass IPv6 im Betrieb günstiger sei als das Vorgängerprotokoll. Dem sei aber nicht so, meint Schischka: "Auch unter IPv6 werden Administratoren Firewalls einrichten müssen." Das Argument greife erst, wenn die Routing-Tabellen zu komplex geworden seien, um sie noch kostengünstig managen zu können.
Das härteste Argument der IPv6-Befürworter war bisher die schlichte Tatsache, dass die vier Milliarden IPv4-Adressen irgendwann "ausgehen" würden. Für Österreich sei dieser Punkt aber noch nicht in Sicht; auch eine entsprechende Prognose möchte Schischka nicht wagen.
IPv6 betriebsfertig
Nic.at selbst unterstütze IPv6 bereits seit zwei Jahren. "Aus unserer Sicht ist IPv6 stabil und 'ready for service'. Wir haben es auch deshalb bei uns laufen, damit unsere Mitarbeiter schon Erfahrungen damit sammeln können."
Die Endkunden seien an IPv6 nicht interessiert, die Kinderkrankheiten der IPv6-Implementationen von Betriebssystemen wie Windows seien längst überstanden. Nur Großunternehmen würden bei der Anschaffung von Gerätschaften auf Zukunftskompatibilität achten. "Die Migration auf IPv6 wird langsam weitergehen und nicht auf einen Schlag stattfinden", so Schischka.
Geschäftsmodell fehlt
Wie Schischka vermisst auch ISPA-Generalsekretär Kurt Einzinger ein Geschäftsmodell, das die Einführung von IPv6 notwendig machen würde. "Auch Voice over IP funktioniert mittlerweile recht gut über IPv4", sagt Einzinger.
Es rentiere sich für die Provider nicht, ihre Netze ohne Nachfrage auf IPv6 umzustellen. "Die IPv6-Einführung wird schleichend passieren", sagt Einzinger. "Die Provider werden bei der Neuanschaffung von Geräten darauf achten, dass diese IPv6 beherrschen. Der Endanwender wird von der Umstellung dann sowieso nichts merken."
Back to the Future
Eine gewisse Gelassenheit strahlt auch die Website der österreichischen IPv6-Task-Force aus. Diese Arbeitsgruppe wird von wichtigen Akteuren der heimischen IT-Industrie wie der Telekom Austria, der RTR, Cisco und HP gestützt.
Die letzten dort veröffentlichten Dokumente stammen aus dem Jahr 2005, und von der Startseite grüßt noch Hubert Gorbach in seiner Eigenschaft als Infrastrukturminister.
Die Task Force hat sich zuletzt 2005 zusammengefunden und Empfehlungen für die IPv6-Umstellung in Österreich verfasst, die heute noch gültig sind. Einen mit John Currans Vorschlag vergleichbaren Masterplan für die Migration auf IPv6 gibt es in Österreich nicht. Er ist wohl auch nicht nötig.