"Sexuelle Revolution" für Videospiele

20.08.2007

In der ersten Keynote der Games Convention ist Julian Eggebrecht über die verquere Moral in der Welt der Videospiele hergezogen. ORF.at sprach mit ihm über Realismus, Moral und Gewalt in Spielen und die auffallende Absenz von Sex.

Eggebrecht, Chef des kalifornischen Spieleentwicklerstudios Factor 5, bot einen energiegeladenen Einstieg in die Spielemesse mit seinem Vortrag zum Thema "No Sex, no Drugs and little Rock'n'Roll" über Alterseinstufungen und die dadurch eingeschränkte Kreativität in Videospielen.

Darin prangerte er das nach seinen Worten "bizarre System" der Alterseinstufung von Games in den USA an und forderte für Videospiele die Einstufung als Kunst mit der entsprechenden kreativen Freiheit ein.

Es sei nicht einzusehen, so Eggebrecht, dass Sex und Gewalt in Filmen als Kunstform angesehen und auch akzeptiert, Spiele des gleichen Inhalts jedoch als unpassend deklariert und sofort aus den Regalen verbannt würden.

"Der letzte Tango in Paris" und "Basic Instinct" seien als Videospiel nicht durchführbar, beklagt sich Eggebrecht. Warum eigentlich nicht, hat ORF.at ihn gefragt.

Als Beispiel für die verquere Moral erzählte Eggebrecht bei seinem Vortrag, dass sein Studio in "Lair" als Anspielung auf den "Hot Coffee Mod" einen Cheat mit einem Video einer Kaffeemaschine unter dem Namen "Hot Coffee" einbauen wollte. Das wurde jedoch untersagt, weil damit die Behörde lächerlich gemacht worden wäre, so Eggebrecht.

Um den "Hot Coffee Mod" entbrannte in den USA eine heftige politische Debatte. Das nur mit einem Cheat freischaltbare Minispiel in "GTA: San Andreas" führte dazu, dass das Spiel neu herausgegeben werden musste, was Publisher Rockstar viel Geld kostete.

ORF.at: Herr Eggebrecht, sie fordern, dass Spiele die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen befriedigen sollen - warum gibt es dann keinen Sex in Spielen?

Eggebrecht: Ich bin der Ansicht, tief im Inneren sitzt bei allen immer der Grundgedanke, dass Spiele für Kinder sind und die ganze Industrie sich grundlegend mit Spielzeug befasst.

Zwar hat sich mittlerweile durchaus Gewalt in die Kinderzimmer geschlichen, ob als G. I. Joe oder auch bei Barbie, aber Sex hat dort nichts verloren. Spiele sollen unterhalten, aber nur auf harmlose Art.

ORF.at: Warum gibt es dann keine eigenen Spiele für Erwachsene? Die Sexindustrie ist das älteste Gewerbe der Welt, nur bei den Videospielen ist offenbar Schluss.

Eggebrecht: Es scheitert an den Studios - da muss ich mich auch selbst an der Nase nehmen -, den Publishern, aber vor allem den Konsolenherstellern.

Im ursprünglichen Konzept von "Lair" hatten wir Freudenhäuser und halbnackte Frauen auf den Straßen geplant - das war das Erste, was bei Sony rausflog.

Microsoft, Sony und Nintendo haben viel zu viel Angst davor, dass eine mögliche Klage rund um sexuelle Inhalte auf sie abfärben und an ihnen hängen bleiben könnte, vor allem in den USA.

ORF.at: Bleibt noch der PC.

Eggebrecht: Stimmt, der PC ist die einzig demokratische Plattform. Aber als Spieleplattform ist er nur mehr in Europa groß, anderswo hat er an Bedeutung verloren.

Die Studios zogen zuletzt bei "Manhunt 2" von Rockstar die Bremse und weigerten sich, das mit gewalttätigen Inhalten versetzte Spiel auf ihren Plattformen herauszubringen.

ORF.at: Ihre Forderung lautet, dass Videospiele als Kunstform angesehen werden sollen. Gerade ein Künstler lässt sich selten vorschreiben, wie er seine Kunst zu machen hat. Warum machen Sie nicht schlicht ein Spiel mit anstößigen Inhalten?

Eggebrecht: Aus den bereits genannten Gründen und nicht zuletzt, weil ein Spiel zu entwickeln heute viel Geld kostet. Da werden Experimente schwierig, und gerade die kostspielige Grafik sollte bei einem solchen Spiel besonders gut sein.

Es gibt auch noch keine passende Form, die positive Form von Sexualität in Spielen zu zeigen: Wie erzählt man die Geschichte, was zeigt man, bis wohin geht man. Es fehlt die "sexuelle Revolution".

ORF.at: Warum hat die noch nicht stattgefunden?

Eggebrecht: Im Vergleich zum Film ist das Videospiel relativ schnell groß, dabei aber nicht erwachsen geworden. Die Budgets für die Spiele wachsen schneller als der inhaltliche Anspruch. Im Filmalter gemessen stehen wir jetzt circa bei 1910.

Auch die ersten Filme zielten auf rein kommerziellen Erfolg ab, und erst später kam die Kunst des Erzählens eines Charlie Chaplin hinzu. Das fehlt uns noch.

ORF.at: Das wäre doch die Möglichkeit, das ebenfalls totgesagte Genre der Adventure-Games wiederauferstehen zu lassen ...

Eggebrecht: Das wäre eine Möglichkeit. Jemand muss sich nur trauen.

(futurezone | Nadja Igler aus Leipzig)