"Armutszeugnis für Spionageabwehr"

27.08.2007

Im Gespräch mit ORF.at erklärt der deutsche Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom, wie die deutsche Bundesregierung beim Armdrücken mit chinesischen Diensten die eigenen Sicherheitsexperten bloßstellt - und welche Aktivitäten deutsche Dienste selbst in China entfalten.

Rechtzeitig zur Reise der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel [CDU] in die Volksrepublik China haben Regierungsstellen dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" detaillierte Informationen über eine Präsentation im Lagezentrum des Berliner Kanzleramts zugespielt.

Bei diesem Treffen, so das Blatt, habe der Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Elmar Remberg, Kanzleramtschef Thomas de Maiziere [CDU] mitgeteilt, dass es Spione der chinesischen Armee geschafft hätten, mit Hilfe infizierter Word- und Powerpoint-Dateien Trojaner auf Computern des Kanzleramts, des Auswärtigen Amts sowie des Wirtschafts- und des Forschungsministeriums zu installieren.

Mit dieser bereits am Samstag vorab veröffentlichten Information kann Merkel einerseits ihre chinesischen Verhandlungspartner unter Druck setzen, andererseits lässt die Angelegenheit auch die deutschen Sicherheitsbehörden in sehr schlechtem Licht erscheinen. Im Gespräch mit ORF.at skizziert Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom die Abhängigkeiten und Informationsflüsse zwischen chinesischen und deutschen Diensten.

Schmidt-Eenboom ist deutscher Journalist und Geheimdienstexperte. Er leitet das Forschungsinstitut für Friedenspolitik in Weilheim, Oberbayern.

ORF.at: Herr Schmidt-Eenboom, warum gibt die deutsche Bundesregierung eigentlich zu, dass es chinesischen Geheimdienstexperten gelungen ist, in Computersysteme hoher Regierungsstellen einzudringen?

Schmidt-Eenboom: Die Information kam aus der politischen Ebene, die damit vor dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Peking Druck auf die chinesische Führung ausüben wollte. Dahinter steht auch der Bundesverband der Deutschen Industrie [BDI], dessen Mitglieder schon seit geraumer Zeit über die chinesischen Aktivitäten in Sachen Wirtschaftsspionage klagen.

ORF.at: Der "Spiegel" schreibt unter Berufung auf Regierungskreise, dass die chinesischen Spionageprogramme auf geradezu klassische Weise als E-Mail-Anhänge auf die deutschen Regierungscomputer gelangt seien.

Schmidt-Eenboom: Das ist natürlich ein Armutszeugnis für die deutsche Spionageabwehr und das zuständige Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Wenn fremde Dienste so einfach auf Computer im Kanzleramt und in den Ministerien Zugriff erhalten können, bedeutet das, dass es keine Regierungsgeheimnisse mehr gibt. Die technische Abwehr aufseiten der deutschen Regierungsstellen ist extrem unzureichend. Deutsche Großkonzerne wissen sich wesentlich besser zu schützen. Von den zuständigen Stellen war bislang nur zu hören: "Das machen doch alle so."

ORF.at: Aber es machen doch wirklich alle so. Sicher betreiben nicht nur die Chinesen Industriespionage.

Schmidt-Eenboom: Das stimmt, aber die Chinesen betreiben sie mit wachsender Tendenz. An zweiter Stelle kommen in Deutschland die russischen Dienste, die gerne Informationen aus der Rüstungswirtschaft abziehen. An dritter Stelle liegen, was aber aus bündnispolitischen Überlegungen heraus kaum thematisiert wird, die japanischen Dienste. Auch die Franzosen haben früher gerne die deutsche Luftfahrtindustrie ausspioniert. Seit die deutsche und die französische Industrie in EADS zusammengegangen sind, spielen diese Aktivitäten aber keine Rolle mehr.

ORF.at: Entfalten deutsche Dienste auch Aktivitäten in China?

Schmidt-Eenboom: Es gibt in der deutschen Botschaft in Peking Mitarbeiter des BND, welche die chinesische Politik und das Militär beobachten. Auch der chinesische Nachrichtendienst steht unter Beobachtung des BND, weil er Verbindungen zur chinesischen Mafia, den Triaden, unterhalten und ihnen bei der Geldwäsche behilflich sein soll.

Der BND betreibt übrigens in China, im Pamir-Gebirge, eine Station für Funkaufklärung. Diese wurde 1985 in Betrieb genommen, nachdem eine vergleichbare Station in Teheran nach Chomeinis Revolution aufgegeben werden musste. Um den Ausgangspunkt von Funksprüchen feststellen zu können, braucht man drei Messstationen. Die anderen beiden stehen in Norddeutschland und in Italien.

Nachdem Richard Nixon Mitte der 1970er Jahre auf China zugegangen ist, haben die chinesischen Dienste mit dem BND zusammengearbeitet, um die Sowjetunion auszuspionieren.

ORF.at: Diese Funkstation im Pamir gibt es heute noch?

Schmidt-Eenboom: Ja, sie ist heute noch in Betrieb und unterstützt den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan. Der afghanische Nachrichtendienst WAD wusste über die Anlage Bescheid. Ein WAD-Hauptmann hat mir gegenüber zu Protokoll gegeben, dass sie auch dazu diene, die Chinesen selbst auszuhorchen.

ORF.at: Warum gehen die Chinesen eigentlich mit so plumpen Mitteln wie manipulierten E-Mail-Attachments vor? Westliche Dienste hören einfach mit Systemen wie dem anglo-amerikanischen Echelon oder dem schweizerischen Onyx die Satellitenkommunikation ab.

Schmidt-Eenboom: Die Chinesen haben da ein Problem. Sie haben im atlantischen Raum keinen Verbündeten, der ihnen die von den Satelliten ankommenden Daten analysieren und übergeben würde. Der BND arbeitet in dieser Hinsicht schon seit Anfang der 1960er Jahre mit dem Militärgeheimdienst Taiwans zusammen, um die Satellitenkommunikation der Volksrepublik auszuforschen. Der BND verfolgt also eine Zwei-China-Politik.

ORF.at: Der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao hat am Montag gesagt, dass seine Regierung dafür sorgen werde, dass die Angriffe aus der Volksrepublik aufhören würden. Was ist davon zu halten?

Schmidt-Eenboom: Solche Erklärungen gibt es immer wieder. Danach geht alles so weiter wie bisher.

(futurezone | Günter Hack)