Online-Durchsuchung auch ohne Richter

31.08.2007

Die Pläne des deutschen Innenministers Wolfgang Schäuble [CDU] zur heimlichen Online-Durchsuchung gehen deutlich weiter als bisher bekannt. Beim Koalitionspartner SPD und in der Opposition regt sich massiver Widerstand gegen einen am Freitag an die Öffentlichkeit gelangten Gesetzesentwurf.

Wie die "Berliner Zeitung" unter Berufung auf den Entwurf des neuen BKA-Gesetzes berichtet, soll das deutsche Bundeskriminalamt für begrenzte Zeit auch ohne richterliche Genehmigung Online-Durchsuchungen durchführen dürfen.

Zudem soll ein Zugriff auf Computer künftig auch dann erlaubt sein, wenn durch die Maßnahme unverdächtige Personen betroffen sind. Das könnte der Fall sein, wenn mehrere Personen den betreffenden Computer nutzen oder der PC Bestandteil eines Netzwerks ist.

Personenkreis erweitert

Neben der umstrittenen Online-Durchsuchung enthält der Entwurf des neuen BKA-Gesetzes laut Zeitung unter anderem auch extrem ausgeweitete Möglichkeiten zur Erhebung personenbezogener Daten und für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel.

Auch der Personenkreis, auf den das BKA seine Ermittlungen ausweiten kann, ist demnach in dem Gesetzesentwurf deutlich weiter gefasst als bisher.

So sollen die Ermittler künftig nicht nur von Terrorverdächtigen Daten erheben dürfen, sondern auch von "Kontakt- und Begleitpersonen, derer sich potenzielle Täter zur Begehung der Straftat bedienen könnten".

CCC veröffentlicht Entwurf im Netz

Der Chaos Computer Club [CCC] hat unterdessen den umstrittenen Entwurf des BKA-Gesetzes im Netz veröffentlicht, der ihm anonym zugespielt wurde.

"Wenn das BKA-Gesetz in der vorliegenden Fassung verabschiedet wird, entsteht de facto eine Geheimpolizei, wie sie in Deutschland zuletzt in der DDR existierte", hieß es dazu in einer Aussendung des CCC.

SPD: Nicht zu machen

Bei den deutschen Sozialdemkroaten stoßen Schäubles Pläne, die Online-Durchsuchung von Computern auch ohne richterliche Genehmigung zu ermöglichen, auf massiven Widerstand.

Das sei mit der SPD nicht zu machen, sagte der stellvertretende innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Hartmann.

Am Freitag wurde ein Treffen der zuständigen Arbeitsgruppe der großen Koaltion zur Online-Durchsuchung nach zwei Stunden ohne Einigung beendet. Die Runde soll innerhalb der kommenden 14 Tage wieder zusammenkommen, um rechtliche Fragen genauer zu prüfen.

"Schritt in den Überwachungsstaat"

Auch die FDP erneuerte ihre Kritik an der geplanten Online-Durchsuchung. Der FDP-Innenexperte Max Stadler betonte: In einem Rechtsstaat sei es zwingend erforderlich, dass es eine richterliche Anordnung für eine solche Durchsuchung gebe.

In den geplanten Maßnahmen zur Online-Durchsuchung sieht er einen "Eingriff in die Privatsphäre, der noch schwerer wiegt als der große Lauschangriff", sagte Stadler am Freitag im ZDF-"Morgenmagazin". Das "schafft Misstrauen und ist ein Schritt in den Überwachungsstaat".

Die innenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Gisela Piltz, warnte, der Richtervorbehalt werde komplett überflüssig, wenn die Online-Durchsuchung drei Tage lang ohne Richterbeschluss möglich sei. "Drei Tage dürften immer ausreichen, um die Festplatte vollständig abzusuchen."

Schäubles "Giftküche"

"Scheibchenweise kommen täglich neue Rezepte aus der Giftküche von Innenminister Schäuble an das Licht der Öffentlichkeit mit gefährlichen Nebenwirkungen für den Rechtsstaat", sagte die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth zu Schäubles Plänen am Freitag.

Laut deutschem Innenministerium kann der in Entwicklung befindliche Polizei-Trojaner bei hohem Zeit- und Personalaufwand auf Rechnern hinter Firewalls mit Virenschutz nicht ermitteln. Die österreichischen Behörden warten vorsichtshalber ab.

EU-Berater: "Unvereinbar mit Verfassung"

Der Berater für Datenschutz der EU-Kommission, Spiros Simitis, kritisierte die Schäuble-Pläne als "unvereinbar mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben": "Für alle gelten Grundsätze, die sich aus der Verfassung ergeben", sagte der EU-Kommissar am Freitag im Deutschlandradio Kultur.

Jeder Bürger müsse bei einer Mitteilung einer staatlichen Stelle davon ausgehen können, dass diese nicht versucht, über die Mitteilung an private Informationen zu gelangen.

ORF.at sprach im Juli mit dem Richter und Internet-Rechtsexperten Franz Schmidbauer darüber, ob die bei der in Deutschland geplanten Online-Durchsuchung ermittelten Daten vor Gericht überhaupt als Beweis zählen.

(APA | Reuters | dpa)