Soziales Netz auf höchstem Niveau
Die Goldene Nica des Prix Ars Electronica im Bereich "Digital Communities" geht heuer an das brasilianische Projekt Overmundo, eine Mischung aus Wiki, Blog, Community-Portal und anderen Elementen, das die kulturelle Vielfalt in Brasilien fördern will.
409 Einreichungen gab es heuer für die Kategorie "Digital Communities" des Prix Ars Electronica, die erstmals dezidiert auch Netzkunst mit gesellschaftspolitischer Relevanz berücksichtigte, die sich mit den technischen und kulturellen Charakteristiken des Internets auseinandersetzt.
In der Jury wurde viel darüber diskutiert, was eine herausragende digitale Gemeinschaft im vierten Jahr dieser Prix-Kategorie zu einem preiswürdigen Projekt macht. Das Projekt, dem schlussendlich die Goldene Nica zugesprochen wurde, hat die Latte für das nächste Jahr recht hoch gelegt.
Community und Social Software
Es nennt sich Overmundo, ist gleichermaßen Community wie Social Software und möchte die kulturelle Vielfalt in Brasilien fördern. Einer der vier Entwickler ist Ronaldo Lemos da Silva, Direktor des Zentrums für Technologie und Gesellschaft an der Rechtsschule Fundacao Getulio Vargas in Rio de Janeiro und Leiter von Creative Commons Brasilien. Er erklärt, was Overmundo ist.
"Über das Internet zusammenarbeiten"
"Overmundo ist eine Website, die in Brasilien entwickelt wurde, um die Verbreitung der brasilianischen Kultur zu fördern. Ein Problem, das wir in Brasilien haben - wie viele andere Länder auch -, ist jenes, dass die Kultur, die im Land produziert wird, hauptsächlich in den großen Städten Sao Paolo und Rio de Janeiro sichtbar ist. Das repräsentiert aber nur einen kleinen Ausschnitt der Kultur des Landes. Auf der Website kann also jeder seine Projekte veröffentlichen und darüber diskutieren. Wir haben dafür die neuesten Werkzeuge eingesetzt, die es den Leuten ermöglichen, über das Internet zusammenzuarbeiten."
Overmundo ist eine Mischung aus Wiki, Blog, Community-Portal und anderen Elementen. Die Mitglieder können ihre Arbeiten und Projekte in Text, Bild, Video und Audio einstellen, jeder kann die Projekte kommentieren und mit anderen darüber kommunizieren.
Dem Besucher bietet sich auf der Website eine unglaubliche Vielfalt an kreativen Arbeiten, aktuellen Diskussionen und spannenden Projekten. Es gibt sogar ein eigenes Radioprogramm.
"Erstaunlich gut angenommen"
Die Bevölkerung habe Overmundo erstaunlich gut angenommen, so Lemos da Silva, und das beweise, dass es großen Bedarf für die Plattform gegeben habe. Das bestätigt auch Andre Lemos, Professor für Kommunikation und Zeitgenössische Kulturen an der Universität von Salvador-Bahia in Brasilien und Mitglied der Jury in der Prix-Kategorie "Digital Communities":
"Overmundo ist die bedeutendste soziale Software in Brasilien. Sie hilft den Menschen, weil sie etwas veröffentlichen können. Sie können über ihre Städte und Dörfer berichten, sie können Szenen, Orte, Ereignisse oder Künstler ins Rampenlicht stellen. Die Plattform unterstützt die freie und ungehinderte Verbreitung von Informationen, und das verbessert die Lebensqualität dieser Leute."
Freie Software und Creative Commons
Für die Jury war auch entscheidend, dass Overmundo einerseits alles nützt, was das sogenannte Web 2.0 zu bieten hat, und andererseits alles berücksichtigt, was die Bewegungen für freie Software und freien Zugang zu Kultur und Bildung fordern. Overmundo-Entwickler Lemos da Silva beschreibt, was das in der Praxis bedeutet:
"Zum Beispiel steht alles, was man auf der Website veröffentlicht, unter einer Creative-Commons-Lizenz. Das bedeutet, dass man alles Material für nichtkommerzielle Zwecke jeder Art frei verwenden darf. Overmundo basiert außerdem auf freier Software. Jeder darf also den Code für eine neue Website verwenden. Wir haben das auch schon gemacht. Die neue Website von iCommons ist sozusagen die Overmundo-Website für die ganze Welt. Das ist ein tolles Werkzeug, denn jeder kann dort Studien, Artikel oder Projekte veröffentlichen und abrufen - ohne zwischengeschaltete Redaktion."
Community stimmt ab
Die Qualität der Site ist trotzdem gesichert, denn in den ersten 48 Stunden sind die Veröffentlichungen nur für Mitglieder der Community zugänglich, die die Einträge kommentieren und Vorschläge machen können. In den folgenden 48 Stunden wird dann über die Einträge abgestimmt. Veröffentlicht werden sie nur, wenn sie eine Mindestanzahl an Stimmen aus der Community erreichen.
Lemos da Silva: "Dieses System funktioniert sehr gut, und das Interessante daran ist: Je öfter man abstimmt und je mehr Zustimmungen man bekommt, umso mehr sogenanntes 'Karma' kann man sammeln. Man macht also einen sozialen Aufstieg auf der Website. Wer mehr Karma hat, kann bei Abstimmungen auch mehr Punkte vergeben. Für mich als Entwickler der Website ist das sehr frustrierend, weil ich nicht viel Zeit zum Herumspielen habe und mein Karma deshalb recht klein ist. Es gibt mindestens 100 Mitglieder, deren Karma höher ist als meines."
Lemos da Silva wird die Goldene Nica für Overmundo bei der Prix Ars Electronica Gala am Freitag, dem 7. September persönlich in Linz abholen und bei verschiedenen Veranstaltungen dabei sein, zum Beispiel bei der Konferenz zu "fair music" am Samstag, dem 8. September.
"Matrix", Radio Ö1, Sonntag, 2.9.2007, 22.30 Uhr: Ars Electronica inside. Eine Reportage von der Prix-Jury-Sitzung.
(Sonja Bettel)