Das Private und die Vorratsdaten

07.09.2007

Zum Auftakt des Symposions "Goodbye Privacy" auf der Linzer Ars Electronica wurde der Wert des Privaten hinterfragt und vor dem Missbrauch technischer Überwachungssysteme im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung gewarnt.

Einleitend stellten die Moderatoren Ina Zwerger und Armin Medosch am Donnerstag in der Linzer Kunstuniversität die klassische Vorstellung von der Privatsphäre als Voraussetzung für eine kritische demokratische Öffentlichkeit zur Diskussion.

Per Tonbandeinspielung kam dabei die deutsche Philosophin Beate Rössler zu Wort, die unter dem Begriff der informellen Privatheit die Kontrolle der Menschen darüber definiert, was andere über sie wissen. Rössler sieht darin eine wesentliche Grundlage des autonomen Handelns des Einzelnen.

Im Zuge neuer Sicherheitsgesetze und Datenspeicherungen zur Terrorismusbekämpfung präsentiere sich der Staat jedoch als einer, der Zugriff auf seine Bürger haben kann und will. Damit stelle er nicht nur seine Rolle als Garant der Autonomie seiner Bürger infrage, so Rössler im Katalogtext zur Ars Electronica. Mit der Erhebung von Daten gehe auch immer die Gefahr ihres Missbrauchs einher.

"Anatomie des Überwachungsstaats"

Den Datenmissbrauch in Telekommunikationsnetzen thematisierte Futurezone-Redakteur Erich Möchel in seinem Vortrag zur "Anatomie des Überwachungsstaats".

Am Beispiel zweier Überwachungsskandale in Italien und Griechenland zeigte er auf, wie sich bereits existierende technische Überwachungsszenarien missbrauchen lassen und wie sich die Geheimdienste an den Schnittstellen zu den Telekommunikationsnetzen einnisten.

In Italien wurden Verkehrsdaten von der Telecom Italia zur Abwerbung von Kunden von der Konkurrenz genutzt. Der ehemalige Sicherheitschef des Unternehmens verkaufte Verkehrsdatensätze darüber hinaus über eine eigene Agentur. In Griechenland wurde über eine "gehackte" standardisierte Überwachungsschnittstelle der Premierminister monatelang abgehört.

"Data-Mining" weitaus einfacher

Durch die verpflichtende Vorratsdatenspeicherung [Data-Retention] werde das Data-Mining für "Staatssicherheitsagenturen" weitaus einfacher, so Möchel: "Wenn der Braten einmal dasteht, wird er auch abgeholt."

In Österreich wird der "Braten" gerade vorbereitet.

Christian Pilnacek, Leiter der Abteilung Strafprozessrecht im Justizministerium, verwies darauf, dass im Zuge der Überarbeitung des im April veröffentlichten Gesetzesentwurfs über die Vereinbarkeit der Vorratsdatenspeicherung mit den Datenschutzgrundsätzen und über die Schwelle des Zugriffs diskutiert werde.

Die EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung verpflichtet alle Mitgliedsstaaten, Verkehrsdaten aus Telefonnetzen und dem Internet mindestens ein halbes Jahr lang zu speichern. Und zwar, wer mit wem wann wo telefoniert, SMS oder E-Mails ausgetauscht hat.

"Wechsel im Umgang mit Grundrechten"

Es sei unstrittig, dass die gesetzliche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung einen völligen Wechsel im Umgang mit Grundrechten in Europa darstelle, sagte der Salzburger Richter Franz Schmidbauer im Anschluss an die Diskussion im Gespräch mit ORF.at: "Bisher war es einfach undenkbar, dass ohne konkretes Delikt solche Maßnahmen des Eingriffs in Privatsphäre und Datenschutz gesetzt werden."

Auch die Missbrauchsgefahr sei gegeben, meinte Schmidbauer. Die Diskussion darüber komme jedoch zwei Jahre zu spät.

Späte Kritik

Bei der Verabschiedung der Richtlinie durch die EU habe es in Österreich keine Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung gegeben, so Schmidbauer.

"Es fehlte an Öffentlichkeit", sagte Pilnacek. "Wir haben es nicht geschafft die Diskussion zu einem Zeitpunkt transparent zu machen, an dem noch eine Änderung möglich gewesen wäre."

Der kommende Montag steht ab 22.30 ganz im Zeichen der Ars Electronica.

Zweifel an Sinnhaftigkeit

An die Sinnhaftigkeit der verpflichtenden Speicherung von Verkehrsdaten zur Terrorismusbekämpfung wollte in der Runde niemand so richtig glauben. Von der Data-Retention seien vor allem unbescholtene Bürger betroffen, kritisierte Moechel: "Die liefern ihre Daten brav ab."

Diejenigen, auf die man es eigentlich abgesehen habe, würden sich zu wehren wissen, so Moechel. "Es wird nur die Dummen erwischen und die, die sich technisch nicht auskennen."

Am Mittwoch schlug Harvard-Professor Viktor Mayer-Schönberger auf der Ars Electronica ein "Ablaufdatum für Daten" vor. In Zeiten der unbegrenzten Datensammlungen drohe die Gesellschaft sonst, verrückt zu werden.

Richter skeptisch

Skepsis gegenüber der Vorratsdatenspeicherung herrschte auch unter österreichischen Richtern, die am Vortag bei der in Zusammenarbeit mit der Ars Electronica veranstalteten Konferenz "Grundrechte in der digitalen Welt" das Thema Data-Retention erörterten.

Maria Wittmann-Tiwald, Mitveranstalterin der Konferenz, sprach von einem "Unbehagen gegenüber der Vorratsdatenspeicherung", das sie aus Linz mitnehme: "Damit werden wir umgehen müssen."

Am Freitag werden bei "Goodbye Privacy" neue Formen der Öffentlichkeit im Internet diskutiert und kreative Widerstandsformen gegen das digitale Panoptikum präsentiert. Zu Gast sind unter anderen Konstantin Guericke, Mitbegründer des Business-Netzwerks LinkedIn, der Medientheoretiker Brian Holmes, der Soziologe David Lyon [Surveillance Project] und der britische Medienkünstler Graham Harwood.

(futurezone | Patrick Dax)