Privatsphäre als zunehmend rares Gut

"Matrix"
09.09.2007

Die Privatsphäre wird nicht nur durch die Sammlung von Daten durch Behörden und Firmen untergraben, auch die Nutzer selbst geben immer mehr über sich preis. Nicht immer sind sie sich der Folgen bewusst.

Die Privatsphäre ist von zwei Seiten in Gefahr: Immer mehr Daten werden von der Polizei oder anderen Staatsgewalten gesammelt und ausgewertet – und das große Problem dabei ist, dass sie miteinander verknüpft werden können und ein immer feineres Raster ergeben, in dem der Einzelne hängen bleiben kann. Die Achtung vor der Privatsphäre schwindet dabei immer mehr.

Die US-Telefon-Firma AT&T zum Beispiel gebe Nutzerdaten ohne richterlichen Befehl an die Behörden weiter, erzählt Danny O'Brien von der Electronic Frontier Foundation [EFF]. Da das verfassungswidrig ist, hat EFF die AT&T geklagt.

Privates in Zeiten von Web 2.0

Auf der anderen Seite scheinen die Menschen die Achtung ihrer eigenen Privatsphäre immer mehr zu vernachlässigen, wenn sie über die Werkzeuge des sogenannten Web 2.0 eine Menge persönlicher Daten im Internet preisgeben.

"Selbst schuld!" zu rufen, wenn jemand unerwartet seine persönlichen Daten auf der Startseite von Slashdot oder dergleichen wiederfinde, sei jedoch unfair, meint O'Brien. Sogar technisch sehr versierte Leute seien oft überrascht, dass kleine Stückchen an Informationen, die sie weitergegeben hatten, plötzlich in ganz anderen Zusammenhängen miteinander verknüpft würden.

Als extremes Beispiel nennt O'Brien das Usenet, das in den frühen 80er Jahren von einem vergleichsweise kleinen Kreis benutzt worden war.

20 und mehr Jahre alte Einträge im Usenet wurden allerdings aufgehoben und sind nun über Google für alle Welt auffindbar. Die damaligen Nutzer konnten nicht wissen, dass es in der Zukunft so mächtige Suchmaschinen geben wird - und sie haben keine rechtliche Handhabe dagegen.

Anregen zum Nachdenken

Es wäre schön, würden die Gesetze in den USA die Privatsphäre so schützen wie jene in Europa, meint O'Brien. Neue Gesetze seien aber nicht unbedingt die Lösung, denn die Technik entwickle sich so schnell, dass die Gesetze immer hinterherhinken würden.

Deshalb sei es wichtiger, dass die Leute auf der Straße über den Einfluss der Technik auf die Privatsphäre nachdenken würden.

Programmierer von Datenbanken zum Beispiel könnten die letzten Beschützer der Privatsphäre werden, so O'Brien, weil die Art und Weise, wie sie Datenbanken gestalten, einen Einfluss darauf haben kann, welche Daten für welche Zwecke nützbar seien.

Privatsphäre im Wandel

Dass Menschen in aller Öffentlichkeit am Handy über Privates reden oder persönliche Daten im Internet posten, dürfe nicht zum Argument gegen den Schutz der Privatsphäre werden, sagt Rikke Frank Joergensen von der Nichtregierungsorganisation European Digital Rights.

Für sie bedeutet das Thema der Ars Electronica – "Goodbye Privacy" - neue Argumente für den Kampf gegen Überwachungsmaßnahmen zu finden.

Auswirkungen sind vielen unklar

Was Privatsphäre in verschiedenen Zusammenhängen meint, wie sich die Bedeutung gewandelt hat und welche Auswirkungen dieser Wandel auf die Gesellschaft hat, wurde bei der Ars Electronica reichlich diskutiert.

Vielfach wurde jedoch klar, dass die Menschen großteils erst zu verstehen beginnen, wie die neuen Technologien ihr Leben diesbezüglich beeinflusst haben. Der große, qualitative Unterschied zu früher sei, so Joergensen, dass heute alles aufgezeichnet werde und persönliche Daten damit gespeichert, abgerufen, vernetzt und ausgetauscht werden könnten.

Gespeichert, für immer

Das große Problem ist, dass man meist nicht weiß, wer veröffentlichte oder anfallende Daten aufzeichnet und verwendet. Zuletzt sorgte Google mit seiner Datensammlung über die Nutzer für Aufregung.

Mithilfe von Google und anderen Suchmaschinen kann jeder Internet-Nutzer veröffentlichte Informationen sammeln, vernetzen und weitergeben - nicht immer zum Vorteil der betroffenen Person.

Nehmen wir an, Heinz stellt das Video einer wilden Party bei Kurt für seine Freunde auf die Video-Sharing-Website YouTube. Ein paar Jahre später schließt Kurt sein Lehramtsstudium ab und bewirbt sich um eine Stelle in einer Schule. Die Direktorin lässt ihr Büro nach Kurts Vorleben googeln und findet unter anderem dieses Video, auf dem Kurt nicht gerade jugendfrei zu sehen ist – und schon ist der Job weg.

Vimeo: Not everybody should see everything

Jakob Lodwick, Gründer der Video-Website Vimeo, die vor YouTube entstanden ist, ist sich dieser Gefahren bewusst.

Vimeo bietet deshalb die Möglichkeit, auszuwählen, wer ein bestimmtes Video sehen darf. Die Plattform soll in erster Linie Videoproduzenten eine einfache Veröffentlichungsmöglichkeit bieten – auf Wunsch für einen exklusiven Kreis.

Video sei ein wunderbares Medium, sagt Lodwick, der seit seiner Kindheit filmt. Weil sie nicht das Geld für Videokameras hatten, hat eine Gruppe junger Obdachloser gemeinsam mit Mitgliedern der Künstlergruppe Mediashed in South-End-On-Sea südlich von London einen Videofilm mit Überwachungskameras gemacht.

Hacken gegen die Endzeitstimmung

Sie haben nach Kameras gesucht, die die Bilder über Funk übertragen, nicht verschlüsselt sind und deshalb gehackt werden können. Vor diesen Kameras haben sie Szenen gespielt und das Video mit einem billigen Videoscanner abgesaugt.

Bei ihren Projekten würden immer sehr einfache Medien für sozial schwache und benachteiligte Menschen genutzt, so Graham Harwood, Mitglied der Künstlergruppen Mediashed und Mongrel.

Bei diesem Projekt sei es aber auch darum gegangen, ein unterdrückendes Medium – wie die in England omnipräsenten Überwachungskameras – in etwas Positives umzukehren. Mit diesen Dingen zu spielen, nehme ihnen die Endzeitstimmung, die sie oft begleiten würden.

Mehr dazu in "matrix", am Sonntag 9.9.2007, 22.30 Uhr, Ö1, von der Ars Electronica in Linz zum Thema "Goodbye, Privacy".

(Sonja Bettel)