Roaming im politischen Grenzbereich

03.10.2007

Durch die Übernahme des weißrussischen Mobilfunkproviders MDC bewegt sich ein Unternehmen, das noch zu mehr als einem Viertel dem österreichischen Staat gehört, plötzlich auf einem sicherheitstechnisch sensiblen Markt der letzten Diktatur Europas.

Mit exakt 27,73 Prozent ist die österreichische Staatsholding ÖIAG an der Telekom Austria Group [TA] beteiligt. Diese wiederum hat sich am Mittwoch mit 730 Millionen Euro 70 Prozent am weißrussischen Mobilfunkanbieter MDC gesichert.

Damit betritt ein Unternehmen, an dem die Republik Österreich beteiligt ist, einen sensiblen Markt der letzten Diktatur Europas - eine durchaus delikate Konstellation. Immerhin greifen Sicherheitsorgane bei ihrer Tätigkeit gerne auf die reichhaltigen Informationen zurück, die ein Mobilfunknetz zu bieten hat.

Geheimpolizei und Todesstrafe

Die Menschenrechtssituation im Weißrussland des Präsidenten Alexander Lukaschenko ist äußerst prekär. Wie zahlreiche Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Reporter ohne Grenzen zeigen, regiert Lukaschenko die ehemalige Sowjetrepublik mit Methoden aus der Breschnjew-Ära. Aus dem Rechtssystem der UdSSR hat das Land auch die Todesstrafe übernommen, die, so der Amnesty-Bericht 2006, weiterhin vollstreckt wird.

Lukaschenko selbst darf nach den umfangreichen Manipulationen anlässlich der Präsidentschaftswahl 2006 nicht in die EU einreisen.

Bisher operiert die TA außer auf ihrem Heimatmarkt noch in Slowenien, Kroatien, Serbien, Bulgarien und Mazedonien.

"Chancen gut abgesichert"

"Die Telekom Austria hat bereits sehr viel Erfahrung im Aufbau und Betrieb der Infrastruktur in osteuropäischen Ländern gesammelt", sagt ÖIAG-Sprecherin Elisabeth Leeb auf Anfrage von ORF.at.

"Mit der Akquisition von MDC übernimmt die Telekom Austria eine Vorreiterrolle in Weißrussland. Das politische Risiko kann nie vollständig abgesichert werden. Vor dem Hintergrund dieses breiten Know-hows der Telekom Austria sind die Chancen dieses Investments aber sehr gut abgesichert."

Auch TA-Sprecherin Elisabeth Mattes gibt sich auf Anfrage von ORF.at diplomatisch. "Wir sind in Weißrussland ein willkommener Partner", sagt Mattes, "die Regierung ist an einem starken Wirtschaftswachstum interessiert. Wir sollen dabei helfen, den Mobilfunksektor in Weißrussland zu entwickeln."

Noch keine Kontakte zum Regime

Bisher seien die Kontakte zur Regierung vor allem über den Voreigentümer, die zypriotische SB Telecom Limited des Syrers id Samawi gelaufen, so Mattes. Man habe im Vorfeld des Geschäfts auch umfangreiche Marktforschung betrieben, Kontakt von der TA zu staatlichen Stellen habe es noch keine gegeben. Samawi unterhält ausgezeichnete persönliche Beziehungen zu Lukaschenko.

Agenturberichten zufolge hat sich TA-Chef Boris Nemsic mit der Aussage zurückgezogen, dass es nicht seine Aufgabe sei, die politische Situation in Weißrussland zu kommentieren. Er habe sich noch nicht mit Lukaschenko getroffen. Lukaschenkos Regime hingegen kann mit dem TA-Deal die von der Welthandelsorganisation [WTO] geforderte Offenheit für ausländische Investoren demonstrieren.

"Ganz normaler Telekommarkt"

Nemsic, so die APA, freue sich darüber, dass in Weißrussland die Roaming-Gebühren nicht reguliert seien. Ansonsten handle es sich um "einen ganz normalen Telekommarkt". Nemsic erwartet, dass sich Weißrussland und die anderen GUS-Staaten wirtschaftlich auf die EU zubewegen werden.

Marcin Kotlowski, Sprecher von Infrastrukturminister Werner Faymann [SPÖ], will das Geschäft auf Anfrage von ORF.at nicht kommentieren. "Das operative Geschäft ist Sache des Vorstands", verdeutlichte Kotlowski die Position des Ministeriums, "Mediale Zurufe erachten wir nicht als notwendig. Das ist nicht unser Stil."

Im weltweiten Index der Pressefreiheit 2006 der Organisation Reporter ohne Grenzen liegt Weißrussland [Belarus] auf Platz 151 von 168 zwischen dem Jemen und Libyen.

Geschäftsrisiko Diktatur

Heinz Patzelt, Generalsekretär von amnesty international Österreich, sieht das TA-Engagement nicht ganz so unbeschwert wie ÖIAG und TA. "Aus unserer Sicht sind Geschäfte in einem Staat wie Weißrussland schon möglich", sagt Patzelt im Gespräch mit ORF.at, "es gibt aber einige Dinge zu beachten."

Der TA müsse klar sein, dass sie unter lokalen Bedingungen arbeite, die weit unter dem westeuropäischen Standard liegen. Es dürfe auch gegenüber den Behörden keinen vorauseilenden Gehorsam geben. "Das Geschäft wird zu interessanten Spannungsverhältnissen führen", sagt Patzelt voraus, "weil die TA die lokalen gesetzlichen Bestimmungen beachten muss."

Der Bürgerrechtler erinnert an die Aktivitäten und Probleme US-amerikanischer Dienstleister wie Yahoo und Google in China, die von den Behörden immer wieder gerne zur Verfolgung von Dissidenten hinzugezogen werden.

Amnesty mahnt zur Offenheit

Patzelt mahnt die TA zur Offenheit: "Wenn sie menschenrechtsverletzende Maßnahmen nicht verhindern können, müssen sie ihre Kunden zumindest darüber informieren."

Die Öffnung der Handelsbeziehungen könnte der Bevölkerung in Ländern wie Weißrussland auch guttun. "Man muss aber verantworten, was sich in Sachen Menschenrechte im Unternehmen tut", so Patzelt, "und man darf keinen geschäftlichen Vorteil aus der menschenrechtsverletzenden Situation ziehen."

Mehr zum Thema in oe1.ORF.at

Dass die Telekom Austria den zweitgrößten weißrussischen Mobilfunkbetreiber MDC übernimmt und nicht ein russischer Konkurrent, dürfte kein Zufall sein: Denn bei solchen Deals hat die Führung in Minsk immer ein Wörtchen mitzureden. Zuletzt hatte es zwischen Moskau und Minsk Streitigkeiten wegen Erdöls und Erdgases gegeben.

Verfolgte Journalisten

Rubina Möhring, Präsidentin der österreichischen Sektion der Bürgerrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen, weist auf die konsequente Verfolgung kritischer Journalisten in Weißrussland hin. "Wie wir wissen, hat die Regierung von Weißrussland eine andere Auffassung von Demokratie als wir", sagt Rubina Möhring auf Anfrage von ORF.at. "Journalisten haben es sehr schwer, dort zu arbeiten. Einige weißrussische Medien müssen mittlerweile aus Angst vor Repressalien in Russland gedruckt werden."

Reporter ohne Grenzen hat erst Ende September den Fall des polnischen Radiokorrespondenten Ivan Roman dokumentiert, der für seine Berichterstattung über die Nachlässigkeit einer weißrussischen Polizeieinheit im September 2007 von der Staatsanwaltschaft massiv eingeschüchtert worden war. Auch die Korrespondenten anderer ausländischer Radiosender wurden vor die Behörden zitiert.

"Das ist ein krasser Verstoß gegen die Pressefreiheit", sagt Rubina Möhring, die nicht ausschließen will, dass Kritiker in Weißrussland von den Behörden mit ähnlichen Methoden verfolgt werden wie Dissidenten in China. Dort hatten die Behörden wiederholt auf die Daten westlicher Internet-Dienstleister zugegriffen, um Kritiker zu identifizieren. "Jeder Konzern, der eine Kooperation in einem solchen Land eingeht", sagt Möhring, "trägt auch eine entsprechende Verantwortung."

(futurezone | Günter Hack | Nayla Haddad | APA)