Ablenkungsmanöver Polizei-Trojaner
Am Mittwoch eröffnet das deutsche Verfassungsgericht die erste Verhandlung über die Rechtmäßigkeit von Online-Durchsuchungen. Der deutsche Datenschützer Patrick Breyer hält die Diskussion für ein Ablenkungsmanöver, um die weit bedrohlichere Vorratsdatenspeicherung ungestört durchzuziehen. In Österreich läuft alles zum Verwechseln ähnlich ab.
Die Verhandlung vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht zur Online-Durchsuchung - allgemein bekannt als "Bundestrojaner" - ist auch für Österreich interessant.
Zum einen ist es der erste einschlägige Fall einer Beschwerde, der von einem deutschen Höchstgericht behandelt wird. Zum anderen sind die Gesetze zum Schutz persönlicher Daten und der Privatsphäre inhaltlich in Deutschland wie in Österreich sehr ähnlich.
Konkret geht es heute ab 10.00 Uhr in Karlsruhe um die Änderungen am Verfassungsschutzgesetz des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, mit denen die dortige CDU-Landesregierung dem Verfassungsschutz erlauben will, über das Netz auf die Rechner Verdächtiger zuzugreifen. Eine Journalistin sowie Politiker der Linkspartei und drei Anwälte hatten gegen die Änderungen geklagt.
In der heute beginnenden Verhandlung holt das Gericht erst Expertenmeinungen ein. Mit einem Urteil ist erst Anfang des kommenden Jahres zu rechnen.
Im Windschatten
Die Vorhaben des deutschen und des österreichischen Innenministers, Schadsoftware als Ermittlungsinstrument einzusetzen, gleichen einander ebenso auffällig wie ihre Argumente. In beiden Ländern wird die Diskussion publikumswirksam in allen Medien geführt und durch immer neue Wortmeldungen politischer oder beamteter Befürworter regelmäßig frisch angefacht.
Die deutsche Bundesregierung nutzte die kontroverse Diskussion aus, um in ihrem "Windschatten sehr viel praxisrelevantere und breitenwirksamere Ermächtigungen kaum bemerkt zu beschließen", schrieb Breyer, Sprecher des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, am Dienstag an ORF.at.
Die wirkliche Bedrohung
"Insbesondere die Vorratsdatenspeicherung wird ein Vielfaches des Schadens jeglicher Einzelmaßnahmen verursachen, weil sie das Verhalten der gesamten Bevölkerung erfasst und zum Abbruch vertraulicher Kommunikationsbeziehungen auf breiter Ebene führen wird. Betroffen werden nicht nur Informanten von Journalisten sein, sondern alle", so Breyer.
Ganz anders als die Speicherung sämtlicher Verkehrsdaten aller Telefonanschlüsse komme die Online-Durchsuchung tatsächlich nur in Einzelfällen zur Anwendung.
Das Manuelle, das Automatisierte
Während von der "Einbringung" eines Trojaners auf einen zu überwachenden Rechner bis zur Überwachung alles "manuell" geschehen muss, entsteht ein ebenso hoher Personalaufwand wie für einen "großen Lauschangriff".
Dagegen lassen sich aus den im Zug der Vorratsdatenspeicherung angesammelten Telekom-Verkehrsdaten auf Knopfdruck umfassende Kommunikations- und Weg-Zeit-Profile ziehen. Dieser Vorgang ist hochautomatisiert, da die betreffenden Daten dafür bereits aufbereitet und einheitlich geordnet sind. Den Rest erledigen genau für diesen Zweck adaptierte Software-Suites verschiedener Hersteller.
Breyer über die Aussichten
"Ich bin sicher, dass die Verfassungsbeschwerde Erfolg haben wird, weil das angegriffene Gesetz nicht annähernd der Sensibilität der heimlich auszulesenden Daten gerecht wird", sagt Breyer.
"Da Computer in Wohnräumen stehen, sind mindestens die strengen Voraussetzungen einer akustischen Wohnraumüberwachung zu fordern. Unabhängig davon fehlt weiterhin der Nachweis, dass dem schwerwiegenden Grundrechtseingriff überhaupt ein nennenswerter Nutzen für unsere Gesellschaft gegenübersteht. Allenfalls erleichterte Ermittlungen in Einzelfällen lassen sich damit erzielen, nicht aber eine höhere Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger."
Die "Hacker-Paragrafen"
Jene Gesetzespassagen, die den Strafverfolgern beim Einsatz von Trojanern im Wege stehen, haben dieselben Strafverfolger vor nicht einmal drei Jahren hüben wie drüben durchgedrückt.
In Deutschland wie in Österreich wurden "Hacker-Paragrafen" in die Gesetze eingefügt, Überwindung von Sicherheitsmechanismen, Eindringen in einen fremden Rechner sowie Veränderung der Daten sind seither strafwürdiges Delikt.
Das Deja-vu
Als in den späten 90er Jahren einschlägige EU-Beschlüsse fielen und standardisierte Überwachungsschnittstellen Einzug in die Telefonienetze Europas hielten, diskutierte man darüber öffentlich so gut wie nicht.
In Deutschland wurde vielmehr eine langatmige und verbissene Debatte über den Lauschangriff abgehalten, der wie der Polizei-Trojaner zeit- und personalaufwendig und eben nicht zu automatisieren ist.
(futurezone | Erich Moechel)