Trojaner an den Grenzen des Rechtsstaats
Zum Beginn der Verhandlung über die Klage deutscher Parlamentarier, Anwälte und Journalisten gegen die Online-Durchsuchung macht Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier klar, dass das Bundesverfassungsgericht ein Grundsatzurteil zu diesem Thema anstrebt.
Das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe will grundsätzlich über die Zulässigkeit von Online-Durchsuchungen entscheiden. Das machte Papier am Mittwoch in einer Anhörung über das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz deutlich. Es erlaubt als bisher einziges Gesetz das heimliche Ausspähen privater Computer.
Wo die Privatsphäre endet
Nach Papiers Worten geht es - auch vor dem Hintergrund geplanter Befugnisse des Bundeskriminalamts [BKA] - um die Klärung der Frage, wie weit hier der verfassungsrechtliche Schutz der Privatsphäre reicht.
"Diese Fragen werden möglicherweise weit über die hier konkret streitgegenständlichen Vorschriften hinaus Bedeutung erlangen", sagte der Vorsitzende des Ersten Senats in Karlsruhe. Ein Urteil wird erst für das kommende Jahr erwartet.
Grundrechtseingriff befürchtet
Auslöser des Verfahrens sind die Verfassungsbeschwerden einer Online-Journalistin, eines Mitglieds der Partei Die Linke und dreier Rechtsanwälte - darunter der FDP-Politiker Gerhart Baum. "Ein heimlicher Komplettzugriff auf die Festplatte ist ein Grundrechtseingriff von neuer Qualität", kritisierte der einstige Bundesinnenminister in der Verhandlung. "Der Computer hat sich in den letzten Jahren zu einem Inbegriff der Privatheit entwickelt." Eine Online-Durchsuchung greife stärker in die Privat- und Intimsphäre der Menschen ein als der Große Lauschangriff.
Der deutsche Datenschützer Patrick Breyer hält die Diskussion über die Online-Durchsuchung für ein Ablenkungsmanöver, um die weit bedrohlichere Vorratsdatenspeicherung ungestört durchziehen zu können.
Waffengleichheit im Gefahrenraum
Dagegen sind Online-Durchsuchungen aus Sicht des deutschen Innenministeriums zur Gewährleistung der Sicherheit zwingend erforderlich. Entscheidendes Medium bei der Vorbereitung von Anschlägen sei das Internet, sagte Staatssekretär August Hanning.
In den letzten Jahren seien sieben Anschläge verhindert worden. "Die Bundesrepublik Deutschland ist Teil eines weltweiten Gefahrenraums und kann jederzeit Ziel eines terroristischen Angriffs werden."
Der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Lutz Diwell, betonte, durch besondere Verfahrensvorschriften könnten die Rechte der betroffenen Computernutzer geschützt werden. Denkbar sei zum Beispiel eine Vorschrift, nach der mehrere Richter über die Anordnung der Überwachung entscheiden müssten.
ORF.at sprach mit dem Salzburger Richter und Experten für Internet-Recht Franz Schmidbauer über die Möglichkeiten, eine Online-Durchsuchung so auszuführen, dass die Indizien vor Gericht auch gültig sein können. Fazit: Letztlich kann die Online-Durchsuchung niemals so gut gegen Manipulationen abgesichert werden wie eine Hausdurchsuchung.
Eindringlich warnte BKA-Chef Jörg Ziercke vor den Möglichkeiten, die das Internet für Terroristen und organisierte Kriminalität biete. Dort werde inzwischen verschlüsselt kommuniziert. "Verschlüsselung schafft verfolgungsfreie Räume."
Ohne einen Zugriff auf Computerfestplatten, aber auch auf ausgelagerte Speichersysteme im Internet könnten die Ermittler nicht in die Terrornetzwerke eindringen. Auch der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, pochte auf "Waffengleichheit" zwischen Sicherheitsbehörden und Terroristen.
Zugriff auf Festplatten "weginterpretiert"
Für überraschte Gesichter auf der Richterbank sorgte der juristische Vertreter der nordrhein-westfälischen Landesregierung, Dirk Heckmann. In Nordrhein-Westfalen solle mit der Online-Durchsuchung ausschließlich die Kommunikation im Internet überwacht werden, sagte der Professor.
"Es geht hier nicht um das Auslesen des gesamten Festplatteninhalts." Papier reagierte mit der Frage, "ob wir vom gleichen Gesetz ausgehen". Die Formulierung im Gesetz spreche "ganz klar" vom heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme. "Das haben Sie, glaube ich, ein bisschen weginterpretiert." Als Heckmann einräumte, dass die Norm "suboptimal formuliert" sei und deutlicher gefasst werden könne, versprach der Gerichtspräsident: "Wir werden uns bemühen, ihnen zu helfen".
Den Streit ausgelöst hatte im Frühjahr eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs [BGH], der zufolge es bisher in Deutschland keine Rechtsgrundlage für das heimliche Ausforschen von Computerfestplatten gebe. Bei der Online-Durchsuchung soll ein Programm - Trojaner genannt - in den Rechner des Verdächtigen eingeschleust werden, um von dort Daten zu kopieren oder die Internet-Kommunikation mitzulesen.
Der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble [CDU] drängt mit aller Macht darauf, geheime Computerdurchsuchungen mit Polizei-Trojanern zu legalisieren. Der Staat besorge damit das Geschäft von Kriminellen, sagt Datenschützer Thilo Weichert im Gespräch mit ORF.at.
Wirtschaft befürchtet Imageschaden
Der deutsche Bundesverband Informationswirtschaft Telekommunikation und neue Medien [BITKOM] hat in einer Aussendung vom Mittwoch Bedenken angemeldet.
Wenn deutsche Anbieter von Sicherheitssoftware dazu gezwungen werden könnten, Hintertüren für staatliche Ermittlungssoftware einzubauen, könnte dies den guten Ruf deutscher Softwarehäuser im Ausland gefährden. Diese Hintertüren könnten auch von Kriminellen missbraucht werden, so BITKOM-Chef Bernhard Rohleder. Andererseits stehe der Verband der Politik als Ratgeber zur Verfügung.
(dpa | AFP | futurezone)