Online-Durchsuchung: Kläger optimistisch
Im Interview mit ORF.at zeigt sich Fredrik Roggan, einer der Anwälte der Kläger gegen die Online-Durchsuchung vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht, nach Verhandlungsbeginn verhalten optimistisch. Die Strategie der Polizei, VoIP-Überwachung als gewöhnliche Telefonabhörmaßnahme zu "verkaufen", betrachtet er mit Skepsis.
Am Mitwoch begann vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Verhandlung über eine Novelle des Verfassungsschutzgesetzes des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen [NRW].
Das höchste deutsche Gericht will in diesem Verfahren feststellen, ob die verdeckte Online-Durchsuchung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Eine Journalistin, eine Parlamentarierin der Linkspartei und drei Rechtsanwälte hatten gegen das neue Gesetz geklagt. Die Entscheidung des Gerichts wird für Anfang 2008 erwartet.
Am Mittwoch präsentierten IT-Sachverständige dem Gericht ihre Einschätzung der Pläne für die Online-Durchsuchung, wie sie unter anderen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble [CDU] und dem deutschen BKA-Chef Jörg Ziercke vertreten werden.
ORF.at führte ein E-Mail-Interview mit dem Anwalt Fredrik Roggan, der die Journalistin und Autorin Bettina Winsemann vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt, über dessen erste Eindrücke von dem Verfahren und über die jüngsten Vorschläge von Seiten der "Trojaner"-Befürworter zur Kontrolle der Online-Durchsuchung.
ORF.at: Wie haben Sie den Verhandlungsbeginn erlebt? Überraschend war ja, dass der Vertreter der NRW-Landesregierung zunächst die Absicht negiert hat, den Zugriff auf die Festplatten Verdächtiger zu planen, obwohl das so in dem beanstandeten Gesetz steht.
Roggan: Der Wortlaut des Gesetzes ist völlig eindeutig. Die Versuche der Uminterpretation durch den Verfahrensbevollmächtigten, Herrn Prof. Dr. Heckmann, sind vom Senat in ungewöhnlich deutlicher Form zurückgewiesen worden.
Darüber hinaus hat der Senat durch die Art der Fragen zu erkennen gegeben, dass er von der Verfassungsmäßigkeit der Regelung über Online-Durchsuchungen keineswegs überzeugt ist. Deshalb sehen wir dem Urteil, das Anfang 2008 zu erwarten ist, durchaus optimistisch entgegen.
BKA-Chef Ziercke hat am Donnerstag gegenüber Pressevertretern gesagt, dass er sich auch vorstellen könne, für die Online-Durchsuchung Kontrollmechanismen bis hin zu einem parlamentarischen Kontrollgremium einzurichten. Hans-Peter Uhl [CSU] schlug ergänzend vor, dass die G10-Kommission diese Aufgabe übernehmen könnte. Wie beurteilen Sie diese Ansätze?
Diese Vorschläge betreffen sämtlich den sogenannten prozessualen Grundrechtsschutz. Dieser ist aber nur dann ein wirksamer Schutz gegen unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Maßnahmen hinreichend bestimmt und tatbestandlich eingeschränkt sind.
Das Verfassungsschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen ist in beiderlei Hinsicht mangelhaft. Auch der vorliegende Entwurf für ein neues BKA-Gesetz sieht Online-Durchsuchungen bei viel zu weiten Voraussetzungen vor. Da helfen dann auch keine prozessualen Sicherungen der vorgeschlagenen Art.
Das bayrische LKA ist, wie aus einer Reaktion auf einen Bericht des "Spiegel" vom Montag hervorgeht, der Ansicht, dass die Internet-Telefonie der allgemeinen Telefonie unterzuordnen sei. Kann man daraus ableiten, dass es vom geltenden Recht gedeckt wäre, einen Trojaner nur zum Abhören der VoIP-Kommunikation auf dem Rechner eines Verdächtigen zu installieren?
Das ist verfassungsrechtlich bislang nicht geklärt. Zu berücksichtigen ist aber, dass technisch kein Unterschied zwischen einer Online-Durchsuchung und einer "Quellen-TKÜ" besteht [TKÜ = Telekommunikationsüberwachung; Anm.].
Jeweils muss ein informationstechnisches System, das im Besitz einer Zielperson ist, unter die Kontrolle der Sicherheitsbehörde gebracht werden.
Damit sind weitreichende Konsequenzen verbunden: Das Risiko einer Beeinträchtigung der Funktionsweise des Betriebssystems besteht dabei ebenso wie ein Eindringen in Bereiche einer Festplatte, die mit der Nutzung des Rechners zu Zwecken der Telekommunikation nichts zu tun haben.
Damit bestehen erhebliche Unterschiede zu einer "konventionellen" TKÜ. Ich habe erhebliche Zweifel, ob das Bundesverfassungsgericht eine solche Quellen-TKÜ auf der Grundlage der bestehenden gesetzlichen Grundlagen zulassen würde.
Laut dem deutschen Bürgerrechte-Weblog Netzpolitik.org haben die IT-Sachverständigen Andreas Pfitzmann [Universität Dresden] und Andreas Bogk [CCC] ihre Beiträge zur Verhandlung ins Netz gestellt.
(futurezone | Günter Hack)