"Handyfresser" als Menschenfreund

16.10.2007

Im "Kleingedruckten" der Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz wird der "IMSI-Catcher", ein GSM-Überwachungsgerät, das im Volleinsatz mehrere Funkzellen samt Notrufen gleichzeitig lahmlegen kann, als Peilgerät zur Rettung Vermisster dargestellt. Mobilfunker fürchten um die Integrität ihrer Netze.

So gut wie in jedem Novellierungsentwurf zu Gesetzen, in denen die Befugnisse der Polizei geregelt werden, war seit den späten 90er Jahren eine Passage enthalten, durch die bestehende Befugnisse der Polizei in Sachen Telefonüberwachung erweitert werden sollten.

Versteckt waren diese Versuche, die Polizei zu ermächtigen, auch ohne richterliche Genehmigung auf den Telefonverkehr zugreifen zu können, stets in der Umgebung von Verbrechensvorbeugung oder Opferschutz.

"Vorbeugende Gefahrenerforschung"

War es 1999 die "vorbeugende Gefahrenerforschung" in der Novelle zum Polizeibefugnisgesetz, so ist es 2007 die Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes.

Genauer gesagt sind es die Erläuterungen dazu, denn der Gesetzestext suggeriert ziemlich anderes, als in den Erläuterungen dazu steht - wenn man das "Kleingedruckte", nämlich "Vorblatt und Erläuterungen", liest.

Fälschungen und Features

Die "IMSI-Catcher" genannten GSM-Überwachungsgeräte, die seit Jahren auch in Österreich in Verwendung sind, sollen auf eine rechtliche Grundlage gestellt werden.

Das geschieht, ohne das Gerät oder den Vorgang überhaupt beim Namen zu nennen, geschweige denn zu beschreiben, was dieses Gerät tatsächlich macht.

Es zieht den gesamten Handyverkehr in einer Funkzelle und darüber hinaus ab, fälscht Kennungen, beeinträchtigt auch die Telefonie nicht betroffener Anbieter und blockiert einkommende Anrufe, um nur einige "Features" zu nennen.

Notwendige Anmerkung

Wir ersuchen höflich um Nachsicht, dass die relativ komplexen technischen Vorgänge auf die absolut relevanten Teile reduziert werden mussten.

Die "IMSI"

Im Gesetzesentwurf wird das Gerät als eine Art Peilanlage zur Rettung Abgängiger dargestellt.

Die SIM-Card jedes Handys enthält die International Mobile Subscriber Identity [IMSI], eine einmalige 15-stellige Zahl, die sich aus den Codes für Netzbetreiber und Länderkennung sowie der "Mobile Subscriber Number" - nicht ident mit der Handynummer - zusammensetzt.

Die Netzwerksicherheit

Um das elektronische Verfolgen eines Handys durch Unbefugte zu erschweren, wird diese Nummer so selten wie möglich über das Netz versandt.

Sobald sich ein Handy einbucht, erhält es daher eine temporäre Identität [TMSI], die erst in der Datenbank des Netzbetreibers mit der IMSI verknüpft wird.

Der Catcher, der gemeine Funkmast

Der IMSI-Catcher funktioniert ganz ähnlich wie die normalen Handy-Basisstation auf dem gemeinen Funkmast.

Er bringt alle Handys eines Netzbetreibers in einem relativ großen Umkreis dazu, sich bei ihm einzubuchen, indem er sich als sendestärkste Basisstation des Netzbetreibers ausweist.

Verschlüsselung abgeschaltet

Sodann erzwingt das Überwachungsgerät die eingebuchten Handys, ihre IMSI herauszugeben - daher der Name - und schaltet die GSM-Verschüsselung ab, womit die Gespräche abhörbar werden.

Gegenüber der Basisstation gibt sich der IMSI-Catcher als normales Handy aus, das mit dem anderen Teilnehmer des abgehörten Gesprächs telefoniert.

"Mitgeführte Endeinrichtung"

Im Entwurf zur Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes heißt es nun: In Hinkunft soll der polizeiliche Hinweis darauf, dass eine Person gefährdet ist, die Mobilfunkanbieter verpflichten, die Standortdaten eines Handys sowie die Mobilteilnehmerkennung [IMSI] "unverzüglich" herauszugeben. [Paragraf 53, Absatz 3a"].

Also: die Standortdaten "eines Handys" und nicht die Standortdaten "des Handys der gefährdeten Person".

Warum die Übermittlung der IMSI notwendig ist, wird in den Erläuterungen damit erklärt, dass "erforderlichenfalls technische Mittel zur Lokalisierung einer von einem Menschen mitgeführten Endeinrichtung zum Einsatz gebracht werden können".

Technischer Unfug samt Verpeilung

Als Beispiel wird in den Erläuterungen der "immer wieder vorkommende Fall des am Abend nicht zurückgekehrten Tourengehers oder Wanderers genannt, der zwar ein Mobiltelefon mitführt, aber infolge eines Unfalls selbst zu telefonieren nicht mehr imstande ist".

Technisch gesehen ist das glatter Unfug. Um einen Vermissten mit intaktem, eingeschaltetem Handy zu finden, braucht es weder eine IMSI noch Peilgeräte für die Polizei, sondern eine Kreuzpeilung, die nur der Netzbetreiber selbst durchführen kann.

Die Verortung

Je nach Dichte des Netzes kann von mehreren Masten aus das abgängige Handy geortet werden, in gut ausgebauten Teilen beträgt die Abweichung nur wenige Meter, auf dem Lande kann es entsprechend mehr sein.

Handelt es sich um ein Handy mit eingebautem GPS-Empfänger, stehen die Koordinaten ohnehin exakt fest.

Richter nicht gebraucht

Dagegen ist ein anderes Szenario anhand der vorliegenden Gesetzesnovelle sehr realistisch. Ein IMSI-Catcher ist zwar zur exakten Standortfeststellung eines Handys ungeeignet, weil nicht dafür konstruiert.

Ist aber die Funkzelle bekannt - etwa weil die Netzbetreiber "umgehend" Auskunft geben müssen -, in der ein bestimmtes Handy eingebucht ist, kann der IMSI-Catcher physisch vor Ort gebracht werden, um das Handy anhand der IMSI umgehend zu identifizieren und die Telefonate abzuhören.

Das soll nun ohne Prüfung durch einen unabhängigen Richter möglich sein, wenn "Gefahr im Verzug" ist.

Notrufe im schwarzen Loch

Dass ausgerechnet eine Notfallsituation dazu herangezogen wird, um den Einsatz eines IMSI-Catchers auch rechtlich abzusichern, befindet Klaus Steinmaurer, Chef der Rechtsabteilung von T-Mobile Österreich, für paradox.

"Der Catcher ist wie ein schwarzes Loch, das alle Gespräche aufsaugt", sagte Steinmaurer am Montag zu ORF.at. Sollten die Geräte mit voller Sendeleistung von bis zu 40 Watt gefahren werden, werde der Funkverkehr in den umliegenden Zellen zusammenbrechen, so Steinmaurer weiter, "das ist im Ernstfall eine ganze Region. Klarerweise sind auch alle Notrufnummern blockiert."

Die Funkzellen-Blockade

Eines kann das Überwachungsgerät nämlich außerdem nicht: in den jeweiligen Funkzellen eingehende Anrufe aus dem Netz von der Basistation an die Handys weiterleiten.

"De facto stört er die Funknetze", sagt Steinmaurer, und dass derlei Gerät, das für die Netzbetreiber selbst normalerweise unsichtbar ist, nun ohne richterliche Genehmigung eingesetzt werden soll, hält er schlicht für gemeingefährlich.

DieZahl der IMSI-Catcher

Während der Abgeordnete Peter Pilz [Grüne], der am Montag eine Pressekonferenz zum Thema hielt, von drei IMSI-Catchern ausgeht, die bei der Polizei momentan im Einsatz sind, liegen ORF.at andere Informationen vor.

Gewöhnlich gut informierte Quellen nennen eine mehrfach höhere Zahl an einschlägigen Geräten, die in Österreich eingesetzt werden.

Die Novelle soll bei nächster Gelegenheit im Ministerrat verabschiedet werden, heißt es.

(futurezone | Erich Moechel)