Ein neuer Chef fürs Internet
Vint Cerfs Abgang von der der Spitze der Internet-Verwaltung ICANN hinterlässt zwar eine Lücke, gibt der ICANN aber die Möglichkeit, sich neu aufzustellen, sagen Beobachter. Cerf selbst will nun Bücher schreiben. Als sein Nachfolger wird auch ein in Wien lebender Italiener gehandelt.
Nach sieben Jahren Amtszeit tritt Cerf, einer der Väter des Internets, diese Woche von der Spitze der ICANN zurück. Am Dienstagabend wird Cerf offiziell im Kodak Theatre in Los Angeles, wo die ICANN derzeit tagt, verabschiedet.
In den 1970er Jahren hatte Cerf zusammen mit Robert Kahn das Internet-Protokoll TCP/IP entwickelt. Dafür bekam er einige Auszeichnungen, darunter die Presidential Medal of Freedom.
Turbulente Zeiten für die ICANN
Seit 2000 stand Cerf der ICANN als Vorstandsvorsitzender vor, eine Zeit, in der die ICANN einige Turbulenzen zu durchlaufen hatte. Nicht nur wurde sie wegen ihres Naheverhältnisses zur US-Regierung kritisiert, auch ihre Funktion als Internet-Verwaltung wurde, unter anderem von der UNO, scharf kritisiert.
Nicht nur die ICANN hat all das mehr oder weniger glimpflich überstanden, auch Cerf selbst konnten diese Diskussionen wenig anhaben, wie eine Umfrage zu seinem Abschied zeigt.
"Globale Ikone"
"Vint Cerf hat sich zur globalen Ikone entwickelt, die für ICANN in vieler Hinsicht sehr nützlich war. Vint kennt man überall, in den Hauptstädten der OECD-Länder wie auch in vielen Entwicklungsländern", sagte etwa die Politologin und ICANN-Kennerin Jeanette Hofmann gegenüber ORF.at.
"Es ist auf der anderen Seite aber auch schwer, Ikonen zu kritisieren oder abzuwählen. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass viele heimlich aufatmen, dass der Generationswechsel nun endlich vollzogen ist, weil Vints Amtszeit endgültig ausgelaufen ist", meint Hofmann, die im Jahr 2000 bei der ersten weltweiten Wahl zum ICANN-Vorstand kandidiert hatte.
2005 nahm Cerf den Posten eines "Chief Internet Evangelist" und Vizepräsidenten bei Google an. Den Job bei Google will Cerf behalten.
"ICANN wird das überleben"
Laut Richard Wein, Chef der heimischen Registry nic.at und zurzeit beim ICANN-Meeting in Los Angeles, ist Cerf intern die "graue Eminenz" des Internets. Cerf sei eine unglaubliche Persönlichkeit, habe eine sehr umgängliche Art und müsse niemandem mehr etwas beweisen.
Sein Abgang sei zwar ein Verlust für die ICANN, gleichzeitig könne es auch nicht schaden, "nach so langer Zeit neue Geischter zu sehen". Die ICANN habe jedoch gerade in den Anfangsjahren eine so "starke" Persönlichkeit wie Cerf, die als Person nicht angreifbar war, gebraucht. "Vint wird sicher vermisst werden, aber ICANN wird das überleben", so Wein.
"Kultstatus wie Beckenbauer"
Über die Rolle von Cerf innerhalb der ICANN sagt Wein: "Er war der ausgleichende Pol innerhalb des Boards und sein Wort hatte unglaublich viel Gewicht. Auch Paul Twomey konnte und wollte sich nicht über ihn hinwegsetzten, bei irgendwelchen Entscheidungen. Er war aber auch immer Visionär und hat schon sehr früh erkannt, dass sich einiges ändern muss bei ICANN, und das dementsprechend auch gepushed oder eingeleitet."
Kritik an Cerf habe es durchaus für seine Nähe zur US-Regierung und Twomey gegeben, so Wein. Aber: "Cerf hatte Kultstatus, so wie der Beckenbauer im Fußball. Wenn der sagt, der Ball ist eckig, wird ihm auch niemand widersprechen." Gleichzeitig habe die ICANN unter Cerf viel dazugelernt.
Auch für Michael Haberler, Vorstand der Internet Privatstiftung Austria [IPA], ist Cerf eine wichtige Frontfigur mit historischer Bedeutung und großen Beiträgen in technischer und politischer Sicht.
Abseits davon würde er den Rücktritt Cerfs aber nicht überbewerten, meint Haberler, der zudem die Rolle der ICANN zumindest für die ccTLDs [Länderdomains wie .at] als weniger relevant bezeichnet.
Cerf wünscht sich Veränderung
Cerf selbst bezeichnete seine Zeit bei der ICANN als abgelaufen. Nicht nur will er den Vorsitz der ICANN aufgeben, sondern sich auch zumindest für ein Jahr komplett aus der ICANN-Arbeit zurückziehen.
Die ICANN-Mitglieder sollten dadurch gezwungen werden, sich selbst zu organisieren und nicht im Fall des Falles auf ihn als Richtungsweiser zurückgreifen, so Cerf: "Sie sollten zeigen, dass die ICANN stark genug ist und die Änderungen verkraften kann."
Er will sich in Zukunft seiner Arbeit als "Chief Internet Evangelist" bei Google widmen, aber auch fünf Bücher sind geplant. Nur eines davon will er dem Internet und dessen Zeit vor dem großen Durchbruch in den 90er Jahren widmen.
Nachfolgerwahl am Freitag
Die ICANN selbst streute ihrem scheidenden Mitglied erwartungsgemäß Rosen. "Er hat bestimmte Starqualitäten", sagte etwa Twomey. "Er kann Türen öffnen und mit jedem reden. Es gab viel Ignoranz, Cerf konnte hingehen und sagen: Ich und meine Kollegen haben das Internet erfunden und ich sage Ihnen jetzt, wie es funktioniert."
Die ICANN wählt am Freitag aus zwei Kandidaten einen Nachfolger für Cerf: der Italiener Robert Gaetano, der für die Internationale Atomenergiebehörde [IAEA] in Wien arbeitet, sowie Peter Dengate-Trush, ein Anwalt aus Neuseeland, stehen zur Wahl.
(futurezone | AP | Nadja Igler | Günter Hack)