Bundestag für Vorratsdatenspeicherung
Mit 366 gegen 156 Stimmen hat der deutsche Bundestag die Einführung der Vorratsspeicherung von Telefonie- und Internet-Verbindungsdaten beschlossen. Bürgerrechtler kündigten an, gegen das Gesetz klagen zu wollen.
Am Freitagnachmittag beschloss der Bundestag in namentlicher Abstimmung die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung sämtlicher Telefon- und Internet-Verkehrsdaten. Mit Ja votierten 366 von 524 Abgeordneten, mit Nein 156. Es gab zwei Enthaltungen.
Die Bürgerrechtsorganisation Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung verurteilte die entsprechende Novellierung des Telekommunikationsgesetzes scharf und bekräftigte, gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde einlegen zu wollen. Die Organisation hat zu diesem Zweck von 7.000 Personen entsprechende Vollmachten erhalten.
Bewusste Verschleierung der Kosten?
Der deutsche Entwurf zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet die Anbieter von Kommunikationsdienstleistungen dazu, die Verbindungsdaten ihrer Kunden sechs Monate lang nach Versenden der Rechnung für den Zugriff durch Strafverfolgungsbehörden vorzuhalten. Telefoniedienstleister müssen die Verbindungsdaten ab Anfang 2008 bereithalten, Internet-Provider ab 2009.
Die Bundesregierung schätzt im Material zum Gesetzentwurf, dass "abhängig von der jeweiligen Größe des betroffenen Unternehmens" der Mehraufwand "zwischen einigen tausend und mehreren hunderttausend Euro" betragen könne. In welchem Zeitraum diese Kosten anfallen sollen, darüber schweigt sich die Bundesregierung aus.
Die Provider würden diese Kosten an die Kunden weitergeben. Zitat aus dem Gesetzesentwurf: "Das Verbraucherpreisniveau im Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen kann daher geringfügig steigen."
Internet wird teurer
Der deutsche Hightech-Industrieverband BITKOM hat genauer ausgerechnet, was die Data-Retention die deutschen Bürger kosten würde. Zur Umsetzung des ehrgeizigen EU-Überwachungsplans müssten Netzbetreiber und Provider bis zu 75 Millionen Euro investieren, so der Verband in einer Aussendung vom 25. Oktober. Die jährlichen Betriebskosten für die Überwachung der Bürger bewegten sich im zweistelligen Millionenbereich.
Effiziente Strafverfolger
Laut einem ursprünglich für das deutsche Justiziministerium verfassten Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, das am Donnerstagabend von der Bürgerrechtsorganisation Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung veröffentlicht wurde, arbeiten die deutschen Strafverfolgungsbehörden auch ohne Vorratsdatenspeicherung bereits so effizient, dass nur etwa zwei Prozent der behördlichen Abfragen von Verbindungsdaten wegen Löschungen ins Leere gingen.
Zypries verteidigt Maßnahme
Justizministerin Zypries verteidigte Freitagfrüh noch vor der Abstimmung im Deutschlandfunk die Vorratsdatenspeicherung. Die Sorgen der Bevölkerung beruhten auf einer sehr schlechten Informationsbasis, da viele Bürger dächten, die Inhalte der Gespräche würden gespeichert werden.
Die Speicherung sei notwendig im Kampf gegen terroristische Angriffe und Schwerkriminalität, betonte die SPD-Politikerin.
Dabei würden lediglich die Daten, wer mit wem wann telefoniert habe, für sechs Monate erfasst, so die Ministerin. Auch gerieten die Informationen nicht generell in staatliche Hände. Erst bei einem konkreten Verdacht auf eine schwere Straftat könnten sie die Ermittler anfordern.
Ärzte prüfen Klage
Die Ärzte prüfen unterdessen wegen der geplanten Ausweitung der Telekommunikationspberwachung eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. "Mit Sicherheit werden wir sehr sauber prüfen, welche Teile dieses Gesetzes verfassungsmäßig zu überprüfen sind, und wir werden uns solchen Klagen anschließen", sagte der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Frank-Ulrich Montgomery, am Freitag dem RBB-Inforadio.
Die Ärzte könnten "im Interesse unserer Patienten nicht dulden, dass derartige Eingriffe in das Urrecht des Patienten auf Vertraulichkeit vom Bundestag beschlossen werden". Montgomery wertete die Regierungspläne als Weg in den "Überwachungsstaat".
Ausgenommen von der Vorratsdatenspeicherung sind laut dem deutschen Gesetzesentwurf nur Geistliche, Strafverteidiger und die Abgeordneten selbst.
Welche Daten werden gespeichert?
In § 113a des novellierten Telekommunikationsgesetzes [TKG] ist festgelegt, welche Daten die deutschen Provider zu speichern haben.
Den Providern ist es erlaubt, die Daten in jedem beliebigen Mitgliedsland der EU zu speichern.
Die Anbieter von öffentlich zugänglichen Telefondiensten speichern:
1. die Rufnummer oder andere Kennung des anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie im Falle von Um- oder Weiterschaltungen jedes weiteren beteiligten Anschlusses,
2. den Beginn und das Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone,
3. in Fällen, in denen im Rahmen des Telefondienstes unterschiedliche Dienste genutzt werden können, Angaben zu dem genutzten Dienst,
im Fall mobiler Telefondienste ferner:
a) die internationale Kennung für mobile Teilnehmer für den anrufenden und den angerufenen Anschluss,
b) die internationale Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes,
c) die Bezeichnung der durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzten Funkzellen,
d) im Falle im Voraus bezahlter anonymer Dienste auch die erste Aktivierung des Dienstes nach Datum, Uhrzeit und Bezeichnung der Funkzelle,
5. im Falle von Internet-Telefondiensten auch die Internet-Protokoll-Adresse des anrufenden und des angerufenen Anschlusses.
Die Anbieter von Diensten der elektronischen Post speichern:
1. bei Versendung einer Nachricht die Kennung des elektronischen Postfachs und die Internet-Protokoll-Adresse des Absenders sowie die Kennung des elektronischen Postfachs jedes Empfängers der Nachricht,
2. bei Eingang einer Nachricht in einem elektronischen Postfach die Kennung des elektronischen Postfachs des Absenders und des Empfängers der Nachricht sowie die Internet-Protokoll-Adresse der absendenden Telekommunikationsanlage,
3. bei Zugriff auf das elektronische Postfach dessen Kennung und die Internet-Protokoll-Adresse des Abrufenden,
4. die Zeitpunkte der in den Nummern 1 bis 3 genannten Nutzungen des Dienstes nach Datum und Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone.
Die Anbieter von Internet-Zugangsdiensten speichern:
1. die dem Teilnehmer für eine Internet-Nutzung zugewiesene Internetprotokoll-Adresse,
2. eine eindeutige Kennung des Anschlusses, über den die Internet-Nutzung erfolgt,
3. den Beginn und das Ende der Internet-Nutzung unter der zugewiesenen Internet-Protokoll-Adresse nach Datum und Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone.
Soweit Anbieter von Telefondiensten die in dieser Vorschrift genannten Verkehrsdaten für die in § 96 Abs. 2 genannten Zwecke auch dann speichern oder protokollieren, wenn der Anruf unbeantwortet bleibt oder wegen eines Eingriffs des Netzwerkmanagements erfolglos ist, sind die Verkehrsdaten auch nach Maßgabe dieser Vorschrift zu speichern.
Freibrief für Geheimdienste
Die Internet-Verbindungsdaten sollen erst ab 2009 erfasst werden.
Der § 113b TKG legt fest, wozu die die gespeicherten Daten verwendet werden dürfen. Die Befugnisse der Behörden sind darin außerordentlich weit gefasst. Sie dürfen "zur Verfolgung von Straftaten", "zur Abwehr von ergeblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit" und "zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes" auf die Daten zugreifen.
Angesichts der Vorgeschichte der Vorratsdatenspeicherung überrascht die Zugriffsmöglichkeit für Geheimdienste nicht. Wie Recherchen von ORF.at ergeben haben, sind bei der Definition der Data-Mining-Mechanismen für die Vorratsdatenspeicherung Geheimdienstler federführend.
Der Salzburger SPÖ-Nationalratsabgeordnete und Vorsitzende des Konsumentenschutzausschusses, Johann Maier, hat Anfang November eine schriftliche Anfrage zur Einflussnahme der Geheimdienste auf die österreichische Gesetzgebung zur Data-Retention an das Infrastruktur- sowie an das Justizministerium gestellt.
Neuregelung der Telefonüberwachung
Auch die Telefonüberwachung in Deutschland wird mit dem zur Abstimmung kommenden Entwurf neu geregelt. Der Katalog der nach Paragraf 100a der Strafprozessordnung [StPO] zulässigen Überwachung wird auf schwere Straftaten begrenzt. Gestrichen werden alle Straftaten, die mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind.
Aufgenommen werden weitere Straftaten: Korruptionsdelikte, gewerbs- oder bandenmäßiger Betrug, schwere Steuerdelikte, Menschenhandel, Verbreitung von Kinderpornografie, schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, gemeinschaftliche Vergewaltigung oder sexueller Missbrauch, Verbreitung und Anwendung von Dopingmitteln sowie Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch.
Verdeckte Ermittlung
Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen müssen von einem Richter angeordnet werden. Nach Abschluss der Maßnahmen sind die Betroffenen zu benachrichtigen. Sie erhalten nachträglichen Rechtsschutz. Alle Erkenntnisse aus verdeckten Ermittlungsmaßnahmen müssen sofort gelöscht werden, wenn sie weder zur Strafverfolgung noch zur gerichtlichen Überprüfung der Maßnahme erforderlich sind.
Einen absoluten Schutz haben Strafverteidiger, Seelsorger und Abgeordnete. Andere Gruppen wie Ärzte, Journalisten und die übrigen Anwälte erhalten einen relativen Schutz. Maßnahmen gegen diese Gruppen seien, so der Entwurf, nur nach Abwägung der Verhältnismäßigkeit zulässig.
(futurezone | dpa | APA | AFP)