Ein Konsensmodell für die ICANN
Bei seinem Abschied als Vorsitzender der Internet-Adressverwaltung hat Vint Cerf angedeutet, dass die ICANN sich eine neue internationale Organisationsform suchen werde. ORF.at hat beim neuen ICANN-Vize Roberto Gaetano nachgefragt, wie diese aussehen könnte.
Der in Wien lebende italienische IT-Experte Gaetano wurde am 2. November auf dem letzten ICANN-Kongress in Los Angeles einstimmig zum Vizechef der Internet-Adressverwaltung gewählt. Nachfolger des langjährigen ICANN-Vorsitzenden Cerf wurde der neuseeländische Patentanwalt Peter Dengate Thrush.
Der 57-jährige Mathematiker Gaetano arbeitet für die UNO-Atombehörde IAEA und engagiert sich seit 1997 in verschiedenen Gremien der ICANN, vor allem in der Domain Name Supporting Organization [DNSO], in deren Vorstand er lange tätig war. Als Vertreter des European Telecommunications Standards Institute [ETSI] wirkte Gaetano an der Gründung des Council of Internet Registrars [CORE] mit.
Karriere via Nutzervertretung
Für die ICANN-Nutzervertretung At-Large Advisory Committee [ALAC] saß Gaetano drei Jahre lang im Vorstand der Internet-Adressverwaltung, allerdings als nicht stimmberechtigtes Mitglied. 2006 wurde Gaetano als vollwertiges Mitglied vom ICANN-Nominierungskomitee in den Vorstand gewählt. Sein Mandat läuft bis 2009.
Zum ersten Mal in ihrer Geschichte steht kein US-Amerikaner an der Spitze der Internet-Adressverwaltung. ORF.at hatte die Gelegenheit zu einem kurzen Mail-Austausch mit Gaetano zu aktuellen ICANN-Themen. Gaetano betonte, dass die in dem Mail-Wechsel geäußerten Statements seine persönliche Meinung wiedergäben und nicht offizielle Stellungnahmen der ICANN darstellten.
ORF.at: Herr Gaetano, was betrachten Sie als wichtigste Aufgabe der ICANN im kommenden Jahr?
Roberto Gaetano: Meiner Meinung nach besteht die wichtigste Aufgabe, die die ICANN 2008 zu lösen hat, darin, neue Top Level Domains [TLDs] zu schaffen. Und zwar vor allem solche, die mit nichtlateinischen Zeichensätzen wie Arabisch, Chinesisch und Kyrillisch geschrieben werden können, also IDN-TLDs [Internationalized Domain Names].
ORF.at: Vint Cerf schrieb in seiner Abschiedsbotschaft, dass die ICANN verschiedene Optionen für eine Internationalisierung der Organisation prüfen werde.
Gaetano: Wir wägen diverse Möglichkeiten ab, die ICANN zu "internationalisieren", aber zu diesem Zeitpunkt gibt es noch keine Antwort auf diese Frage.
Meiner Ansicht nach ist es wichtiger, zu erklären, warum wir diesen Wandel anstreben und was wir mit diesem Wandel erreichen wollen, als ein Rätselraten darüber anzustellen, in welcher Form wir dieses Ziel erreichen sollen.
Der zentrale Aspekt ist meiner Meinung nach, dass die ICANN sich dergestalt verändert, dass sie ihre Legitimität nicht mehr von einer oder mehreren Regierungen bezieht, sondern zu einem Modell gelangt, in dem diese Legitimität aus einem Konsens der beteiligten Interessengruppen erwächst.
Diese Herangehensweise wäre auch mit den Statuten der ICANN vereinbar, nach denen wir uns an einen Entscheidungsfindungsprozess zu halten haben, in dem die Themen in den verschiedenen Interessengruppen der Internet-Gemeinschaft formuliert werden und dann im Konsens Lösungen gefunden werden.
Aus diesem Grund haben wir auch einige der vorgeschlagenen Lösungen für eine Neuausrichtung der ICANN verworfen, beispielsweise Organisationsformen, in denen die ICANN von mehreren Regierungen getragen werden würde.
ORF.at: Welches Organisationsmodell würden Sie persönlich bevorzugen?
Gaetano: Es gibt schon Beispiele von Organisationsformen mit vielen guten Elementen, die wir übernehmen können. Eines davon wäre das Public-Private-Partnership-Modell der ETSI [European Telecommunications Standards Institute], wo alle Interessengruppen ihre Anregungen zu Gehör bringen können.
ORF.at: Auf dem letzten ICANN-Treffen ist es wieder nicht gelungen, einen Konsens über den Umgang mit Whois-Daten zu finden. Glauben Sie, dass dieses Problem beim nächsten Meeting gelöst werden kann?
Gaetano: Ich glaube nicht, dass wir das Whois-Problem beim nächsten ICANN-Meeting werden lösen können. Der Name Council hat eine Resolution angenommen, in der empfohlen wird, das Problem weiter zu beobachten. Daher glaube ich, dass es noch länger dauern wird, bis wir es lösen können.
Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass das Whois-Problem in den Händen der Generic Names Supporting Organization [GNSO] liegt und nicht in jenen des Vorstands. Der Vorstand wird nur dann in Aktion treten, wenn es darum geht, den in der GNSO erreichten Konsens abzusegnen. Die derzeit laufende Untersuchung der GNSO-Strukturen [GNSO Review] soll ja unter anderem dafür sorgen, dass ein effizienterer Weg gefunden wird, um schneller zu einem Konsens zu gelangen und zu vermeiden, dass Situationen entstehen, in denen es zu lange dauert, Entscheidungen zu treffen.
Die GNSO ist eine der drei "Supporting Organizations" der ICANN. Sie ist für die Verwaltung der generischen Top Level Domains [gTLDs] wie .net, .com und .org zuständig.
Derzeit gibt es einen Konflikt in der GNSO darüber, ob die bisher frei verfügbaren Informationen über Domain-Inhaber im Whois-System durch einen "Operational Point of Contact" [OPOC] ersetzt werden sollen und unter welchen Bedingungen die Informationen über den Domain-Inhaber preisgegeben werden sollen. Die Content-Industrie und Copyright-Inhaber hätten gerne einen möglichst unbürokratischen und direkten Zugriff auf diese Informationen, um beispielsweise Copyright-Verletzer schneller klagen zu können. Datenschützer wiederum plädieren für einen möglichst restriktiven Zugang zu den Whois-Informationen.
(futurezone | Günter Hack)