Netz, Blogs und Rock 'n' Roll
Social-Networking-Plattformen, personalisierte Web-Radios und MP3-Blogs zeigen Möglichkeiten auf, neue Musik zu entdecken. Der britische Psychologe David Jennings hat darüber ein Buch geschrieben. ORF.at sprach mit ihm über die neue Musiklandschaft im Netz.
ORF.at: Welche Möglichkeiten habe ich als Musikhörer, im Netz neue Musik zu entdecken?
Jennings: Wenn Sie etwa irgendwo aufschnappen, dass eine Band gut sein soll, können Sie in kürzester Zeit mehr über diese Band erfahren.
Sie haben über verschiedene Dienste Zugang zur Musik oder zu Ausschnitten der Musik, Sie können sich auf allen möglichen Seiten über Geschichte und Einflüsse der Band informieren und Sie können zu Last.fm gehen, wo Sie unter anderem erfahren können, welche Songs der Band am häufigsten gehört werden und welche Bands Ihnen noch gefallen könnten. Sie können sich auf YouTube die Videos der Band ansehen.
Es gibt auch Angebote wie foxytunes, die Videos von YouTube, Bilder von Flickr, Lyrics von Songtextseiten und Details zu Alben auf einer Seite aggregieren. Sie haben also sehr vielfältige Möglichkeiten, neue Musik zu entdecken.
David Jennings
Am Montag ist Jennings bei der Konferenz "The Fan, the music and the net: Economic aspects of a passionate relationship in a digital world" im mica [music information center austria] zu Gast, wo er darüber referiert, wie Bands und Musiker im Zeitalter von Blogs und Sozialen Netzwerken ihr Publikum erreichen.
Sein Buch "Net, Blogs and Rock 'n' Roll" ist vor kurzem erschienen. Begleitend zum Buch führt Jennings auch ein Weblog.
ORF.at: Welche Auswirkungen haben diese neuen Möglichkeiten des digitalen Entdeckens von Musik auf das Musikgeschäft?
Jennings: Während es früher nur eine relativ geringe Anzahl an Fachmedien und Gatekeeper gegeben hat, die dafür gesorgt haben, dass Musik gehört und auch weiterempfohlen wird, stehen Bands heute mannigfaltige Möglichkeiten zur Verfügung, ihre Hörer direkt anzusprechen. In England gab es noch vor einigen Jahren etwa nur vier Musikmagazine, ein oder zwei landesweite Radioprogramme und eine Reihe regionaler Radiosender, die Musik unter die Leute gebracht haben.
Heute haben auch Musiker, die kein Airplay bekommen und in den Musikmagazinen nicht erwähnt werden, zahllose Möglichkeiten, ihr Publikum zu finden.
Die traditionellen Gatekeeper können beispielsweise mit Hilfe von Last.fm und MySpace, MP3-Blogs und Podcasts umgangen werden. Das bedarf natürlich auch der Bereitschaft, seine Musik so zu lizenzieren, dass sie in diesen Kanälen gehört werden kann.
Last.fm?
In einem zunehmend breiter und unübersichtlicher werdenden Angebot an Musik im Internet sorgt Last.fm dafür, dass die richtige Musik die richtigen Leute findet. Dazu werden die Hörgewöhnheiten der Nutzer aufgezeichnet.
"Scrobbling"
Das geschieht mit Hilfe der Software Audioscrobbler. Diese meldet Songs, die auf den Computern der Nutzer abgespielt werden, an den Server von Last.fm.
Die so gewonnenen Daten dienen als Ausgangsmaterial für personalisierte Online-Radiostreams und Musikempfehlungen, die mit Hilfe kollaborativer Filtermethoden aus dem Abgleich der Hörgewohnheiten der Community gewonnen werden.
ORF.at: Die Lizenzen für Formate wie Podcasting sind häufig sehr teuer. Im Zusammenhang mit MP3-Blogs hört man immer wieder von Abmahnungen der Betreiber durch die Anwälte der Labels. Haben die Labels diese Möglichkeiten nicht erkannt?
Jennings: Ich glaube, dass die Plattenfirmen hier sehr viel versäumt haben. Das ist jedoch oft der Fall, wenn sich neue Möglichkeiten auftun. Rechtliche Rahmenbedingungen müssen erst geschaffen werden. Die Einstellung der Labels ändert sich jedoch. Vor allem unabhängige Labels beginnen, diese Möglichkeiten zu erkennen.
Die Majors hinken da ein bisschen hinterher, da sie noch über genügend Geld verfügen, ihre Produkte zu bewerben. Damit ist ihnen auch weiterhin ein gewisser Grad an Aufmerksamkeit garantiert.
Die größte Herausforderung der unabhängigen Labels ist es, überhaupt gehört zu werden. Deshalb sind sie auch eher dazu bereit, Lizenzen für Veröffentlichungen in MP3-Blogs und Podcasts zu erteilen. Für sie zählt in erster Linie die Aufmerksamkeit, die ihre Musik durch diese Medien bekommt.
Aber auch die Majors werden sich in diese Richtung bewegen. Vielleicht nicht in dem Ausmaß, wie es die unabhängigen Labels machen, aber ich bin sicher, dass es bald Lizenzen geben wird, die die Veröffentlichung von Musik der Majors in Blogs und Podcasts erlauben.
MP3-Blogs?
MP3-Blogs, die neben kurzen Rezensionen die besprochenen Alben und Songs auch zum Download anbieten, lassen sich in gewisser Weise auch mit Fanzines vergleichen.
Im Gegensatz zu Fanzines sind MP3-Blogs aber eher ein kollektives Phänomen. Da sich über die in die Weblog-Software eingeschriebenen Möglichkeiten leicht Netzwerke bilden lassen, entsteht so ein dezentraler Meinungsaustausch über Musik, der sich gegenseitig befruchtet, und es bilden sich Netzwerke von Experten für Genres und musikalische Spielarten aller Art.
In ihrer Summe können sie als ein kollektives Sensorium für neue Musik betrachtet werden.
ORF.at: Wie verändern die neuen Technologien das Selbstverständnis der traditionellen Medien Radio und Musikmagazin?
Jennings: In den USA gehen die Musikradioprogramme zurück und werden durch Talkradio-Formate ersetzt. In Großbritannien spielt das Radio immer noch eine wichtige Rolle. Das Radio, aber auch Musikmagazine versuchen jedoch mit ihren Online-Auftritten an diese partizipativen Medien anzudocken.
Wir sehen etwa bei der BBC, dass Wikipedia, AllMusic und Musicbrainz als Ergänzungen zum eigenen Angebot beworben werden. Sie versuchen mit dem Strom zu schwimmen. Sie lassen auch das Publikum bei ihrem Angebot mitreden, etwa bei der Erstellung von Playlists.
Die traditionellen Kanäle können dank ihrer Resourcen aber auch Sachen machen, die Blogger nicht leisten können, etwa wenn Martin Scorsese eine Dokumentation über Bob Dylan macht.
ORF.at: Der US-Soziologe Clay Shirky hat in seinem Aufsatz "The Music Business and the Big Flip" davon gesprochen, dass Musik künftig zuerst veröffentlicht werden könnte und erst danach kollaborative Filtermethoden im Netz dafür sorgen, dass sich die Spreu vom Weizen trennt. Das wäre nicht nur ein Angriff auf die Definitionsmacht der Labels, die bisher weitgehend darüber bestimmt haben, was wir zu hören bekommen. Das wäre eine wirkliche Revolution, meinte Shirky.
Jennings: Ich glaube, dass wir die gegenwärtigen Entwicklungen im Nachhinein durchaus als Revolution begreifen werden. Das Musikgeschäft bewegt sich in eine Richtung, in der elektronische Musikempfehlungen eine größere Rolle spielen werden. Die Qualität der Filter wird besser werden.
Musik, die wir mögen, wird von Diensten wie Last.fm und Pandora aus der Masse des Angebots herausgefiltert werden. Aber auch menschliche Filter werden weiterhin eine Rolle spielen.
In Großbritannien gab es viele Leute, die gesagt haben, im Web 2.0 werde es Leute wie John Peel [legendärer BBC-Discjockey, 2004 verstorben, Anm.] nicht mehr geben. Das ist Unsinn. Auch im Zeitalter der Musikempfehlungssysteme werden gute DJs weiterhin gefragt sein.
ORF.at: Können Bands und Musiker über Social-Networking-Sites und MP3-Blogs den Durchbruch schaffen, oder eignen sich diese Formate eher für den Erfolg in der Nische?
Jennings: Es wird relativ wenige Bands geben, die ihren Erfolg ausschließlich der Internet-Variante von Mundpropaganda verdanken.
Es gibt heute schon einige Legenden, beispielsweise die über die Arctic Monkeys, die angeblich über MySpace und Filesharing-Netzwerke den Durchbruch geschafft haben. Tatsächlich haben sie im Netz für einiges Aufsehen gesorgt, allerdings wurden die Mainstream-Medien sehr bald darauf aufmerksam. Sie haben über die Band berichtet, bevor sie noch eine Platte veröffentlicht hatte.
Der Erfolg der Arctic Monkeys geht also auch auf die Berichterstattung in den Mainstream-Medien zurück. Er verdankt sich einer Kombination verschiedener Plattformen.
ORF.at: Im Zusammenhang mit automatisierten Musikempfehlungsdiensten wie Last.fm und Pandora stellen sich auch Fragen in Zusammenhang mit dem Datenschutz. Last.fm-Nutzer geben etwa einen tiefen Einblick in ihre musikalischen Präferenzen. In Verbindung mit anderen Daten lässt sich daraus einiges ableiten.
Jennings: Ich sehe hier ein großes Risiko. Es gibt einen sehr bekannten Onliine-Film, "EPIC 2014", der davon handelt, dass sich Google und Amazon zusammenschließen. Gemeinsam wissen Google und Amazon - dann Googlezon - fast alles über Sie.
Googlezon kann Ihre Wünsche antizipieren und weiß auch Dinge, von denen Sie nicht wollen, das sie jemand über Sie weiß. Unternehmen, die sich bei der Verwertung und Monetarisierung dieser Daten zu weit nach vorn wagen, werden hoffentlich auf Widerstand stoßen. Die Leute werden von solchen Diensten abwandern.
ORF.at: Apropos abwandern. Sollte es nicht auch möglich sein, meine Daten und mein Profil mitzunehmen, wenn ich zu einem anderen Dienst wechseln will?
Jennings: Ja, die Nutzer von Plattformen sollten mehr Kontrolle über ihre Daten haben. Googles "OpenSocial"-Initiative könnte ein erster Schritt in diese Richtung sein.
Mit der Ende Oktober gestarteten Plattform OpenSocial will Google eine Art Standard für Programmierschnittstellen in Sozialen Netzwerken etablieren.
Zu den Kooperationspartnern Googles zählen unter anderem die Netzwerke LinkedIn, Hi5.com, Frindster, Ning, Xing, Plaxo, Newsgator, MySpace und das hauseigene Orkut.
ORF.at: Mit Musik-Playern wie Microsofts Zune und MusicGremlin, die es erlauben, Musik drahtlos über WLAN weiterzugeben, verlagern sich die Möglichkeiten digitaler Musikempfehlungsmechanismen auch in den realen Raum. Die Resonanz auf diese Geräte, die vorerst nur in den USA erhältlich sind, ist jedoch verhalten. Woran liegt das?
Jennings: Diese Geräte sind nicht sehr populär und erfüllen offenbar nicht die Erwartungen der Nutzer. Wenn die Weitergabe von Musik mit iPods möglich wäre, würden wohl viele Leute davon Gebrauch machen.
Musik wird ja auch auf USB-Sticks und gebrannten CDs weitergegeben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das durchsetzt. Mit Mobiltelefonen ist das ja auch möglich. Die Mobilfunkanbieter setzen auch schon teilweise auf solche Superdistributionsmodelle.
Dabei stellen sich natürlich auch Lizenzfragen. Vor kurzem hat sich etwa Warner Music in Großbritannien geweigert, seinen Katalog im Nokia-Musikshop anzubieten. Warner Music warf Nokia vor, die nicht lizenzierte Weitergabe von Musik zu unterstützen.
ORF.at: Wie entdecken eigentlich Sie neue Musik?
Jennings: Ich ziehe dazu viele verschiedene Quellen heran. Ich höre bestimmte Musikprogramme der BBC, ich habe zwei Musikmagazine abonniert. Und ich nutze das Netz zum Entdecken neuer Musik.
Es gibt einen Dienst namens Music.of.interest, der es erlaubt, Notizen über Bands zu machen, auf die man gestoßen ist, und der dann Soundclips, Links und andere Inhalte zu den Bands automatisch sammelt. Manchmal gehe ich auch direkt zu Last.fm und klicke mich durch Profile durch.
Wenn ich neue Bands finde, versehe ich sie mit dem Schlagwort "check out" und lasse mir danach die Musik vorspielen. Ich gehe aber auch oft zu Live-Auftritten und lerne so neue Sachen kennen.
ORF.at: In welche Richtung werden sich elektronische Mundpropaganda im Netz und automatisierte Musikempfehlungssysteme entwickeln?
Jennings: Ich glaube, dass es im Netz auch weiterhin anarchisch zugehen wird. Aber auch die mobilen Geräte werden ihre Empfehlungssysteme verfeinern. Für den iPod gibt es bereits ein Programm, das gemeinsam mit dem Sportartikelherseller Nike angeboten wird. Dabei wird die Musik beim Jogging auf das Lauftempo abgestimmt.
Solche Sensoren wird es künftig auch in weiteren Varianten geben. Ihr iPod wird über einen Sensor wissen, ob Sie gerade im Auto fahren oder laufen. Der Musikplayer wird über solche Sensoren auch wissen, ob sie gerade traurig oder glücklich sind. Die Leute werden es aber genauso mögen, wenn sich der iPod im Shuffle-Modus genauso unbeholfen anstellt, wie er es heute tut.
Es wird auf verschiedene Persönlichkeitsprofile abgestimmte Szenarien geben. Die Musikfans werden auch weiterhin aktiv im Netz nach Neuigkeiten suchen, etwa im MP3-Blog-Aggregator HypeMachine. Andere werden mit dem Angebot automatisierter Dienste zufrieden sein.
(futurezone | Patrick Dax)