"Wir sind stolz auf unsere Fans"
Die Berliner Band Einstürzende Neubauten finanziert ihre Produktionen seit 2002 mit der direkten Hilfe ihrer Fans und fährt gut damit. Neubauten-Bassist Alexander Hacke ist davon überzeugt, dass solche Modelle auch für andere Bands funktionieren können.
Nach 20 Jahren im Musikgeschäft hatten die Einstürzenden Neubauten erst einmal genug. "Wir waren gelangweilt von dem Kreislauf, in dem man sich in der Musikindustrie befunden hat", sagt Hacke: "Man nimmt ein Album auf, dann promotet man das Album und dann geht man auf Tour, um dieses Album zu verkaufen, dann zieht man sich zurück, um ein neues Album zu machen." 2002 entschloss sich die Band, neue Wege zu gehen.
Seither finanzieren die Fans die Arbeit der Band. Für 35 Dollar bekommen sie exklusive CD-Versionen, Downloads, DVDs, eine E-Mail-Adresse und den direkten Zugang zur Band.
Webcasts aus dem Studio
Über Webcasts können sie die Neubauten im Studio erleben. "Das haben wir von der Pornoindustrie abgeschaut", sagt Hacke, der am Montag im Wiener mica [music austria] bei der Konferenz "The fan, the music and the web" das Supporter-Modell der Band vorstellte.
Alexander Hacke: "Wir wollen Eure Seelen."
Wie viele Leute die Neubauten über das Supporter-Modell unterstützt haben, will Hacke nicht sagen. Es dürften jedoch einige tausend sein. Unter den Unterstützern, die sich über die ganze Welt verteilen, seien viele Leute, die im Computer- und Internet-Geschäft tätig seien, erzählt Hacke: "Auch viele Psychoanalytiker".
ORF.at: Die Supporter können eure Arbeit auch über Webcasts verfolgen. Nehmen sie auf die Produktionen Einfluss?
Hacke: In einer Arbeitsperiode machen wir rund zehn Webcasts, zweimal jeweils 90 Minuten am Tag. Die legen wir zeitlich immer so, dass es einmal für ein europäisches und einmal für ein Überseepublikum interessant ist. Die Supporter sind schon auch kritisch und durchaus unterschiedlicher Meinung. Die können sich auch untereinander sehr über bestimmte Sachen streiten. Was ich gut finde, weil grundsätzlich jede Art von Reibung förderlich ist.
Sie helfen uns in dem Sinne, dass sie teilweise Stücke retten, die wir wegschmeißen würden, weil wir nicht wissen, wie wir weiterarbeiten sollen. Insofern kommen von denen durchaus Anregungen. Es ist hochinteressant für einen Künstler, mit dem Endkonsumenten kommunizieren zu können und nicht nur auf Spekulationen angewiesen zu sein, die man mit dem Vertreter einer Plattenfirma anstellt.
ORF.at: Wie wirkt sich das Supporter-Modell auf die Arbeitsweise der Neubauten aus?
Hacke: In der Zeit vor dem Supporter-Modell haben wir von der Plattenfirma einen Vorschuss bekommen, um eine Platte herzustellen. Dann hat man sich im Frühjahr hingesetzt, um die ersten Aufnahmen zu machen. Da wir von dem Vorschuss nicht leben konnten, mussten wir uns auch um andere Dinge kümmern, etwa gemeinsam auf Tour gehen.
Das nächste Mal, dass wir an der Platte gearbeitet haben, war meistens im Herbst. Letztlich haben wir nie mit dem Geld, das wir für eine Produktion bekommen haben, auch die Platte aufgenommen. Das Geld war immer schon weg. Wir mussten uns anders am Leben erhalten und haben dann die Platte aufgenommen, um unsere Schulden zurückzuzahlen.
Jetzt ist es so, dass wir jedem einzelnen Unterstützer ein Versprechen machen und die Fans auch bei der Stange gehalten werden müssen. Wir produzieren inzwischen viel kontinuierlicher.
ORF.at: Funktioniert dieses Modell auch für andere Bands und Musiker, die weniger bekannt sind als die Neubauten?
Hacke: Es würde sehr gut funktionieren, auch für kleinere, unbekanntere Bands. Wenn sich mehrere Bands zusammentun und sich solidarisieren und entgegen dem Diktat der Industrie eben nicht im Wettbewerb gegeneinander arbeiten, sondern zusammenarbeiten. Dann sehe ich da eine Chance, dass das auch für kleinere Bands funktioniert. Wahrscheinlich nicht für eine einzelne kleine Band.
Dass es für uns funktioniert hat, hängt mit der Art von Musik, die wir machen, und der Art von Fan, den wir uns im Laufe der Jahrzehnte herangezogen haben, zusammen. Und mit der Tatsache, dass wir unter den Ersten waren, die sowas gemacht haben.
Wir sind ja nicht wirklich bekannt. Wir sind nicht wirklich Stars und auch nicht wirklich reich durch das, was wir machen. Wir verkaufen nicht so eine Menge Platten. Wir haben zwar "Kultstatus", aber sicherlich nicht so den Bombenerfolg.
All diese Dinge sind für uns interessant, weil sie neue Wege öffnen. Wir sind sehr stolz auf unsere Fans und sehr glücklich, dass die uns tatsächlich lieben und unterstützen wollen. Es gab auch in dem Supporter-Projekt Leute, die gesagt haben, es ist mir scheißegal, was die mit dem Geld machen. Ich will einfach die Band unterstützen, weil ich die Band gut finde.
ORF.at: Die Neubauten haben auch innovative Merchandising-Konzepte entwickelt und auf ihren Tourneen direkt nach dem Konzert Live-Mitschnitte verkauft.
Hacke: Merchandising can save your ass. Das ist sehr wichtig für uns. Da wir jede unserer Shows aufnehmen, sind wir mit zwei Kopiertowern auf Tour gegangen und haben unsere Shows direkt nach dem Konzert vervielfältigt und quasi als Souvenir ans Publikum verkauft. Das hat sehr gut funktioniert.
In Topzeiten haben wir bis zu 120 Stück am Abend verkauft. Mehr kann man nicht machen, weil wir ja nur eine begrenzte Stückzahl in dieser Zeit kopieren konnten. So ein Kopiertower macht dir sieben CDs in drei Minuten.
ORF.at: Für die Veröffentlichung eures vor zwei Wochen erschienenen Albums "Alles wieder offen" habt ihr selbst eine Plattenfirma gegründet.
Hacke: Von "Alles wieder offen" haben wir in den ersten zwei Wochen bereits mehr verkauft als von der Vorgängerplatte, die noch mit Hilfe eines Labels [Mute, Anm.] herausgebracht wurde.
Der Markt geht in Deutschland runter. Wir sind die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Wir sind auf dem sicheren Weg in die deutschen Top 40.
ORF.at: Stört es euch, dass eure Produktionen in Tauschbörsen erhältlich sind?
Hacke: In dem Moment, da wir die ersten Promoplatten rausschicken, sind die auch in Tauschbörsen, das gilt auch für unsere Supporter-Produktionen. Wir haben damit aber kein Problem. Uns kann das nicht wirklich schaden.
Der Schaden passiert in den großen Firmen mit Top-Five-Acts wie U2. Das ist mir aber egal. Sobald sich jemand mit uns in irgendeiner Form beschäftigt, ist es für uns vorteilhaft. Auch wenn er nur über uns nachdenkt. Wir wollen ja nicht euer Geld, wir wollen eure Seelen.
ORF.at: Ihr habt das Supporter-Projekt vor kurzem unterbrochen?
Hacke: Ja, wir mussten mal eine Pause machen. Also seit 2002 sind wir da durchgängig am Ackern. In der dritten Phase haben wir zehn Platten innerhalb von zwei Jahren produziert. Ein kleines Päuschen kann man sich da schon mal gönnen.
ORF.at: Wann geht's weiter?
Hacke: 2010 werden die Neubauten 30, da kann man sich dann ja überlegen, wie wir weitermachen.
ORF.at: Wie wird das Musikgeschäft dann aussehen?
Hacke: Ich weiß nicht, ob ich da der Visionär sein kann. Ich kann nur sagen, was ich so gerade mache. Ich digitalisiere meine komplette CD-Sammlung und werde sie danach am liebsten auch komplett verkaufen. Das sind immerhin knapp 2.000 CDs. Ich bin mit der Qualität von MP3 vollkommen zufrieden, 192 kBit/s ist für mich wunderbar. Ich brauch' diesen ganzen Ballast nicht mehr.
Das wird wohl nicht nur mir so gehen. 2010 werden die Leute zumindest ihre Altlasten zu großen Teilen verscheuert haben. Dann wird sich hoffentlich generell in der Form der Verpackung und in der Form der Darreichung was ändern. Die Dinge, die man anfassen kann, werden hoffentlich noch viel schöner gestaltet sein, als wir das bisher kennen.
Auch der Musikmanager Peter Jenner sieht in Modellen, die den Fans den direkten Zugang zu Bands und Musikern ermöglichen, viel Potenzial: "Die Leute wollen ihr Geld nicht den Konzernen geben. Sie wollen eine Beziehung zu den Künstlern aufbauen. Je enger diese Beziehungen sind, desto glücklicher werden die Leute sein", sagte er im Gespräch mit ORF.at.
(futurezone | Patrick Dax)