"PR-Krieg" auf YouTube

19.11.2007

Durch eine Menge professionell gemachter YouTube-Videos haben die streikenden Pointen- und Drehbuchschreiber der US-TV- und -Filmindustrie die Bevölkerungsmehrheit hinter sich. Die Bosse von ABC bis Fox werden als raffgierige Bande dargestellt. Sollte der Streik andauern, sind neue Folgen von "C.S.I." und Co in Gefahr.

Seit nunmehr zwei Wochen steigt die Zahl an Wiederholungen der beliebten täglichen TV-Shows in den USA stetig. Ebenso lange dauert nämlich schon der Streik der Pointen-, Exposee- und Drehbuchschreiber - und der dreht sich in zweifacher Hinsicht um das Internet.

Die Autoren der Fernsehshows verlangen nämlich ihren Anteil an den steigenden Erlösen aus der Online-Vermarktung von TV-Inhalten, die Eigentümer der amerikanischen Networks lehnen das ab. Das ist der Grund, warum die Writers Guild of America [WGA] in einen unbefristeten Streik getreten ist.

Austragungsort Internet

Dieser wird mit zunehmender Schärfe in einem anderen Medium ausgetragen, nämlich dem Internet. Und weil es sich um die TV-Branche handelt, ist es nur logisch, dass YouTube dabei eine Hauptrolle spielt.

Die Site geht förmlich über von Videos über den Streik, der mit Demonstrationen, Plakaten und Parolen vor TV- und Filmstudios natürlich fernsehgerecht inszeniert wird.

Die bei weitem überwiegende Mehrzahl der Clips unterstützt die Streikenden, die Schreibergilde selbst unterhält auf YouTube ein Video-Tagebuch, das mittlerweile 39 Clips umfasst.

Bosse, Stars und Satire

Die Chefs von ABC, CBS, Fox, NBC, Sony und Viacom bekommen dabei zu spüren, dass sie sich mit Mitarbeitern angelegt haben, deren Beruf es ist, pointierte Szenen zu verfassen.

Die Videos sind durchwegs professionell gemacht und lassen es nicht an Satire und Polemik fehlen, das Ausgangsmaterial stammt vielfach aus den Fernsehsendungen der Networks. Die "Stars" in den beliebtesten dieser YouTube-Streifen sind die Mächtigen des US-Fernsehens selbst.

Geschäfte mit "C.S.I."

Einer der bisher meistgesehenen Clips mit weit über 150.000 Downloads startet mit Disney-Chef Robert Iger, der anlässlich der letzten Bilanzpräsentation stolz verkündet hatte, dass sich die Einnahmen seines Unternehmens aus dem Internet-Geschäft bereits auf 1,5 Milliarden Dollar beliefen.

Folgt Rupert Murdoch, der von einem goldenen Zeitalter der Internet-Geschäfte mit TV-Inhalten schwärmt. CBS-Chef Leslie Moonves wiederum wurde erwischt, weil er in einem TV-Interview betont hatte, dass auch im Internet hervorragende Geschäfte mit der Serie "C.S.I." zu machen seien.

"PR-Krieg"

Das programmatische Video "Why we fight" der Schreibergilde wurde gar 300.000-mal angeschaut. In allen Clips werden die Film- und Fernsehbosse als geldgierige Bande dargestellt, die sämtliche Gewinne aus der Zweitverwertung der Produktionen im Internet einstreichen will, ohne deren Urheber zu beteiligen.

Nicht zu Unrecht titelte die "Los Angeles Times" am Sonntag "Streik der Autoren wird zum PR-Krieg", denn die Alliance of Motion Picture and Television Producers antwortet mit ganzseitigen Anzeigen in den großen US-Tageszeitungen, freilich ohne durchschlagenden Erfolg.

"Public Relations Blitz"

Wie verschiedene Umfragen übereinstimmend zeigen - unter anderem solche der TV-Stationen selbst -, liegt die Zahl der Unterstützer für den Standpunkt der Studios jeweils unter zehn Prozent der Befragten. Eine landesweite Umfrage der Pepperdine University - sie wird in allen US-Medien zitiert - sieht sogar eine Zweidrittelmehrheit der Bevölkerung aufseiten der Streikenden.

Die Medienkritiker der "New York Times" und "Baltimore Sun" sahen am Wochenende ebenfalls die Autoren auf der Siegerstaße, der Hauptgrund dafür: der "Public Relations Blitz" der drehbuchschreibenden Zunft im Internet.

"Saturday Night Show"-Team gefeuert

Die Senderkette NBC kündigte vor dem Wochenende das komplette Team der ohnehin kriselnden "Saturday Night Show", die Comedy-Stars des Senders, Jay Leno und Conan O'Brien, müssen ebenso um ihre Pointenschreiber fürchten.

Leno war wie andere TV-Prominente unter den Streikposten zu sehen.

Gefährdete Serien

Klarerweise hat es zuerst die beliebten täglichen Shows erwischt, doch bei Fortdauer des Streiks könnten auch die TV-Serien des nächsten Jahres gefährdet sein.

Die Aussicht darauf wird sich jedenfalls in den Börsenkursen der Film- und Fernsehproduzenten der nächsten Zeit widerspiegeln. Das PR-Desaster der Medienmächtigen könnte sich so in harten Zahlen manifestieren und letztlich alle oben zitierten Jubelprognosen der Studiobosse Lügen strafen.

22 Wochen

Nachdem die letzte Runde der Gespräche zwischen den beiden Lagern nicht nur ohne Ergebnis, sondern auch ohne Vereinbarung eines neuen Verhandlungstermins geendet hatte, kam am Wochenende wieder etwas Bewegung in den verfahrenen Arbeitskampf.

Per E-Mail vereinbarten beide Seiten die Wiederaufnahme von Gesprächen am 26. November. Der letzte Arbeitskampf zwischen Autoren und Medieninhabern 1988 hatte insgesamt 22 Wochen lang gedauert.

Warnung vor Reality-TV

Genau davor warnt eine ganze Anzahl von Bloggern und plädiert für ein Ende des Streiks. Die nicht satirefreie Begründung: "Bitte nicht schon wieder".

Als sich die Studios im Streikjahr 1988 einem empfindlichen Mangel an Autoren gegenübersahen, erfanden sie ein Genre, das weitgehend ohne Schreibteams auskommt, nämlich "Reality-TV".

(futurezone | Erich Moechel)