Mit Geduld und Spucke
Am Montag ist 23andme gestartet, ein US-Dienst, bei dem jedermann Teile seines Erbguts analysieren und übers Web anzeigen lassen kann. Mitgründerin des Dienstes ist Anne Wojcicki, die von ihrem Mann Sergej Brin via Google 2,9 Millionen Euro Startkapital erhalten hat. Doch auch andere Unternehmen steigen ins lukrative Geschäft mit Gentest-Portalen im Web ein.
Ende Mai 2007 ließ eine kleine Meldung aufhorchen, nach der Google für 2,9 Millionen Euro eine Minderheitenbeteiligung an der Biotech-Firma 23andme erworben habe. Es gehöre zu Googles Zielen, so Unternehmenssprecher Jon Murchison seinerzeit, dass sich Menschen auch ihre genetischen Informationen erschließen können.
Am Montag eröffnete das im April 2006 von den beiden Biologinnen Wojcicki und Linda Avey gegründete Unternehmen nun seinen Dienst dem Publikum. Das Angebot: Für 999 US-Dollar [knapp 700 Euro] liest 23andme anhand einer Speichelprobe 600.000 Single Nucleotid Polymorphisms [SNPs] ein, also Variationen von Basenpaaren, die Aufschluss über bestimmte Eigenschaften des Organismus geben können, von dem sie stammen. Vorerst steht das Angebot nur US-Bürgern offen.
Speichel auf Reisen
Der Kunde bekommt von 23andme ein Schächtelchen zugesandt, in dem ein vorbereitetes Speichelprobenset steckt. 2,5 Milliliter Speichel wandern dann via Paketdienst ins Labor der Firma, wo sie von einem Laborchip analysiert werden, der 550.000 SNPs erkennt. Dazu kommt noch ein von 23andme selbst entwickelter Genotyping-Prozess, der weitere 30.000 dieser Basenpaare auseinanderhalten kann.
Der Name "23andme" geht auf die 23 Chromosomenpaare zurück, aus denen das menschliche Genom besteht.
Celebrity Skin
Gut einen Monat später, so verspricht 23andme, kann der Kunde dann über eine gesicherte Web-Verbindung auf die ermittelten Daten zugreifen. Im Bereich "Gene Journal" zeigt das System an, welche Gesundheitsschwierigkeiten der Kunde aufgrund seiner bekannten genetischen Dispositionen zu erwarten hat.
Das Unternehmen betont allerdings, dass diese Analyse keine medizinische Diagnose ersetzen soll. 23andme verspricht seinen Kunden auch, stets die aktuellen Ergebnisse aus der Genforschung in sein System einzuarbeiten - das bereitstehende Material wird also ständig neu interpretiert.
In das Angebot von 23andme ist auch eine Aufbereitung der ermittelten Daten nach geografischen Gesichtspunkten inkludiert. Somit sollen die Kunden feststellen können, aus welchen Regionen der Welt ihre Vorfahren kommen. Auch ein "Celebrity Feature" darf nicht fehlen, mit dessen Hilfe der Kunde nachsehen kann, welcher Berühmtheit er genetisch nahestehen könnte.
Zeig' mir Deinen Stammbaum
Weiters enthält das Angebot die Möglichkeit, die Daten mehrerer Familienmitglieder analysieren und miteinander verknüpfen zu lassen. "Genetisches Familienporträt" nennt 23andme dieses Feature. Die Nutzer können sich auch dafür entscheiden, ihre Daten mit jenen anderer User zu verknüpfen und nachzusehen, wer mit wem welche Eigenschaften teilt - eine Art Last.fm für Stammbaumfreunde.
Schließlich bietet 23andme eine Möglichkeit, auf die Hypochonder schon lange gewartet haben: Im "Genome Explorer" kann der Kunde seine Gendaten durchforsten und auch gezielt nach SNPs suchen, etwa wenn wieder eines dieser Basenpaare mit einer bestimmten Krankheit korelliert wurde.
Wangenabstrich-Export nach Island
23andme ist allerdings nicht das erste Unternehmen, das diese Art von Gentest mit Web-Auswertung anbietet. Am Freitag ging das isländische Unternehmen deCODE mit seinem Dienst deCODEme ans Netz. Im Gegensatz zu 23andme sind die Dienstleistungen von deCODEme auch von Österreich aus zugänglich, der Bezahlvorgang wird über PayPal und Kreditkarte abgewickelt.
1998 hatte deCODE einen äußerst umstrittenen, für zwölf Jahre geltenden Exklusivvertrag mit der isländischen Regierung über die Einrichtung einer nationalen Gendatenbank abgeschlossen, die alle Bürger Islands umfassen sollte. Das entsprechende Gesetz wurde von deCODE selbst formuliert und das Unternehmen war auch das einzige, das sich um die Errichtung der Datenbank beworben hatte.
Das Unternehmen betrachtet seine Datenbank als sein geistiges Eigentum. Dafür sollten die Isländer kostenlos Zugang zu jenen Medikamenten erhalten, die mit Hilfe der Datenbank geschaffen werden würden.
Wahrung der Privatsphäre
Nun rühmt sich deCODE auf seiner Website einer "über zehnjährigen Erfahrung in der Genforschung" sowie "der weltweit größten Sammlung von DNA-Proben" und schreibt: "Die Wahrung Ihrer Privatsphäre ist von äußerster Wichtigkeit für uns."
Die Dienste von deCODEme kosten 985 US-Dollar, bewegen sich also in der Liga jener von 23andme. Auch deCODEme weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei dem Test um keine medizinische Dienstleistung handle, diese biete man separat auf Anfrage von Ärzten und Krankenhäusern an.
Dennoch prüft deCODEme die eingesandte Probe - in diesem Fall einen Abstrich von der Wangenschleimhaut - gegen 17 bekannte Krankheitsmarker und stellt nach zwei bis vier Wochen Bearbeitungszeit das Risiko dar, etwa an Asthma oder einem Diabetes-Typ zu erkranken. Insgesamt will deCODE über eine Million SNPs pro Probe erfassen und prüfen. Die bereits bestehende Gendatenbank des Unternehmens dient als Grundlage für die Modelle zur Risikoberechnung.
Die restlichen Möglichkeiten ähneln dem Angebot von 23andme: Den Herkunftscheck gibt es genauso wie die Möglichkeit zum Vergleich von Genprofilen. In seinen AGBs verpflichtet sich deCODE allerdings nur dazu, die Daten ein Jahr lang zu speichern, und behält sich vor, für eine Verlängerung der Speicherfristen zusätzlich Geld zu verlangen.
Im Kleingedruckten
Sowohl deCODE als auch 23andme versprechen ihren Kunden, dass sie die persönlichen Daten und die Informationen aus den Genanalysen nicht weitergeben werden. Allerdings behält sich deCODE in seinem "Service Agreement" vor, die Userdaten zu statistischen Zwecken auszuwerten. Dazu gehört auch das Verknüpfen genetischer Varianten mit User-Angaben.
DeCODE schreibt, dass die Daten nicht an Versicherungsunternehmen, Spitäler, Regierungsagenturen und Privatunternehmer weitergegeben werden. Im nächsten Absatz der AGBs folgt aber der Hinweis, dass der User selbst dafür verantwortlich sei, wem er seine Daten zeigen wolle. Jeder kann sein Profil freischalten, um "Friends" seine Gene zu zeigen. Wie in den gängigen Sozialen Netzwerken können die Nutzer einander zum Gen-Plausch einladen.
Bei den Haftungsansprüchen der Kunden hält sich deCODE zurück. "Obwohl deCODE modernste Methoden zum Genotyping anwendet und nach höchsten Qualitätsstandards arbeitet", heißt es im Service-Agreement, "gibt deCODE keinerlei Garantie darauf, dass der Scan des genetischen Materials erfolgreich sein oder korrekte Resultate liefern wird." Da Island nicht der Europäischen Union angehört, greifen hier übrigens auch EU-Bestimmungen zu Kunden- und Datenschutz nicht.
Wirtschaftliche Interessen
Birgit Merz, Sprecherin der Österreichischen Ärztekammer, zeigt sich diesem Angebot gegenüber skeptisch: "Ich selbst wäre sehr vorsichtig mit der Weitergabe persönlicher Daten über das Internet. Patientendaten sind sehr sensibles Material, für das sich Versicherer und Arbeitgeber natürlich sehr interessieren. Am Ende kommt es noch dazu, dass wir alle nach unseren Genprofilen gefragt werden und daraus dann resultiert, welche Arbeit wir bekommen und wie viel wir für die Versicherung zahlen."
Dazu käme, dass die Patienten mit der Interpretation der Daten letztlich doch alleine gelassen würden. "Da sagt einem keiner, was das bedeutet, dass dieser oder jener Tumormarker aufscheint. Das Abfragen einzelner Parameter ist keine ganzeitliche Diagnose. Kein Internet-Tool der Welt kann den persönlichen Arztbesuch ersetzen", sagt Merz. "Als Privatperson nutzen mir diese Sites jedenfalls weniger als den Firmen, die dahinterstehen."
Während die Ärzte für den Datenschutz bei der elektronischen lebenslangen Gesundheitsakte [ELGA] kämpfen, bietet sich arglosen Nutzern nun im Netz eine Art MySpace für Gendaten an.
Von der genetischen Beratung
Bleibt die Frage nach dem Wert der so ermittelten Daten über den bloßen Thrill hinaus. "Es gibt schon bestimmte Merkmale im Genom, von denen man weiß, dass sie über gesundheitliche Risiken Aufschluss geben", sagt der Biologe Helge Torgersen, Assistent am Wiener Institut für Technikfolgenabschätzung, "aber Sie brauchen immer die Interpretation dazu. Und da fängt es an, schwierig zu werden."
Ein Gen sei eine Anleitung, die in ein Netzwerk zahlreicher anderer genetischer Informationen eingebettet ist. "In einigen Fällen kann man von den genetischen Markern ganz gut Rückschlüsse darauf ziehen, ob jemand eine bestimmte Veranlagung hat und wie er auf bestimmte Medikamente reagiert. Aber in vielen Fällen sind diese Verbindungen noch ziemlich weich." Es gebe nur eine Handvoll Erbkrankheiten, die derart gut erforscht seien, dass man sie direkt auf bestimmte Gendefekte rückführen könne.
Kein "Gattaca-Szenario"
Auch die rechtlichen Aspekte seien noch ungeklärt. "Die Frage ist, ob diese Dienstleistung unter das Label der genetischen Beratung fällt. Hierzulande ist in diesem Fall vorgeschrieben, dass ein Genetiker die Untersuchung durchführt und die Patientenberät. In Österreich würde sich so eine Firma strafbar machen", so Torgersen.
Dass die Verbreitung von Versandhaus-Gentests wie jenen von 23andme und deCODE letztlich auf ein Szenario wie im Film "Gattaca" hinauslaufen wird, in dem alle Protagonisten permanent auf genetische Defekte überprüft werden, hält Torgersen für überzogen. "Das ist Quatsch, weil wir durch die Genomsequenz keineswegs so stark bestimmt sind, wie das da suggeriert wird", sagt der Biologe. Es gebe noch große Lücken in der Forschung. "Es steckt nicht alles in der Sequenz", sagt Torgersen und verweist auf das Forschungsgebiet der Epigenetik, das sich mit genetischen Steuerungsmechanismen befasst, die nicht in der DNA-Sequenz codiert sind.
Die neuen Gentest-Portale sind jedenfalls ein deutlicher Hinweis auf die neuen Herausforderungen, die im Zuge der weiteren Globalisierung des Dienstleistungsmarkts auf Patienten, Datenschützer und Mediziner zukommen werden.
(futurezone | Günter Hack)