"Es bedarf einer Initiative der Regierung"

29.11.2007

Franz Medwenitsch, Geschäftsführer des Verbandes der Österreichischen Musikwirtschaft [IFPI Austria], spricht sich im Interview mit ORF.at für eine stärkere Protektion urheberrechtlich geschützter Inhalte im Internet aus. Dazu bedarf es, ähnlich wie in Frankreich, einer Initiative der Regierung, sagt der IFPI-Chef.

ORF.at: In Frankreich soll Internet-Nutzern bei wiederholten Urheberrechtsverletzungen der Zugang zum Netz gesperrt werden. Halten Sie ein solches Modell auch in Österreich für sinnvoll?

Medwenitsch: Die Sperre des Internet-Accounts ist sinnvoller als gerichtliche Strafen. Ich unterstütze jedes Modell, das die Kreativen vor der Enteignung ihrer Leistungen im Internet schützt. Es kann doch nicht nur die Aufgabe der Musik- und Filmbranche sein, alleine für den Schutz ihres Contents im Internet zu sorgen.

Die Internet-Provider tragen auch Verantwortung. Nicht nur gesetzlich, auch wirtschaftlich, denn sie profitieren ebenso von der illegalen wie von der legalen Nutzung des Internets.

Das französische Modell

Am Freitag unterzeichneten in Frankreich die Musik- und Filmwirtschaft, die Internet-Anbieter und die Regierung eine Vereinbarung, die bei wiederholten Urheberrechtsverstößen die Sperre des Internet-Zugangs vorsieht.

Die Internet-Anbieter haben sich darüber hinaus dazu verpflichtet, Filtertechnologien zu implementieren, mit deren Hilfe urheberrechtlich geschützte Inhalte identifiziert werden können.

ORF.at: Kritiker sprechen im Zusammenhang mit dem französischen Modell von Überwachungsmaßnahmen und einer Einschränkung der Grundrechte.

Medwenitsch: Selbstverständlich müssen die Provider ihr Netz weder nach dem französischen Modell noch sonst überwachen. Sie müssen nur reagieren, wenn sie auf illegale Aktivitäten von einer staatlichen Stelle aufmerksam gemacht werden.

Jeder hat Anspruch auf den Schutz seiner Privatsphäre und muss es sich nicht gefallen lassen, ausspioniert zu werden. Aber wer Gesetze verletzt, hat doch kein Grundrecht darauf, unerkannt zu bleiben und nicht verantwortlich zu sein. Der virtuelle Raum braucht nicht nur Freiheiten, er braucht auch Rechtsstaatlichkeit. Wie soll sich sonst das vielbeschworene Vertrauen ins Netz entwickeln?

ORF.at: Halten Sie eine Umsetzung eines vergleichbaren Modells in Österreich für realistisch?

Medwenitsch: Dass die französischen Provider ein Abkommen zum Schutz des Urheberrechts unterzeichnet haben und sich die österreichische Provider-Lobby ISPA so etwas nicht einmal vorstellen kann, spricht doch Bände.

Ohne Mithilfe der Provider kann aber das Problem des Diebstahls geistigen Eigentums im Internet nicht gelöst werden. Auch in Österreich bedarf es einer Initiative der Regierung.

"In Österreich nicht vorstellbar"

In Österreich sei eine solche Regelung nicht vorstellbar, sagte Kurt Einzinger vom Verband der österreichischen Internet-Anbieter [ISPA] gegenüber ORF.at.

Auch Peter Rantasa vom mica [music information center austria] hält von einer Internet-Sperre bei wiederholten Urheberrechtsverletzungen nichts: "Wenn die Wirtschaft die Frage der gerechten Abgeltung von Urhebern nicht in den Griff bekommt und kein Geschäftsmodell entwickeln kann, das der Markt annimmt, dann hat der Markt versagt. Das mit dem Entzug von essenziellen Bürgerrechten zu beantworten zeigt, dass kein Problemverständnis vorhanden ist, und ist unverhältnismäßig", sagte Rantasa.

ORF.at: Wie funktioniert die Zusammenarbeit der IFPI mit den Internet-Anbietern in Österreich?

Medwenitsch: In Österreich - welche Zusammenarbeit?

ORF.at: Im Gegenzug zu den Eingeständnissen an die Rechteinhaber soll in Frankreich der Kopierschutz zurückgenommen werden. Die Labels rücken vom Einsatz von Digital-Rights-Mangament-Systemen [DRM] ohnehin schon ab. Hat Kopierschutz nicht den gewünschten Effekt gebracht?

Medwenitsch: Über die Sinnhaftigkeit und Akzeptanz von DRMs entscheiden die Konsumenten. Wenn der Markt den Kopierschutz ablehnt, wird es ihn auf Sicht nicht mehr geben.

Branche skeptisch gegenüber DRM

Branchenbeobachter sagen das baldige Ende von Kopierschutztechnologien im Online-Musikhandel voraus. DRM werde von den Kunden als Einschränkung wahrgenommen, die Kompatibilitätsprobleme der unterschiedlichen Kopierschutzformate behinderten das Wachstum des Online-Musikmarktes und sorgten für Zulauf in Online-Tauschbörsen, sagte etwa Frank Taubert, Geschäftsführer des digitalen Musikvertriebs 24-7, vor kurzem bei einer Konferenz in Wien. Er rechnet damit, dass DRM im Download-to-own-Bereich in spätestens sechs Monaten verschwunden sein werde.

ORF.at: Nach Statistiken von Big Champagne und anderen Marktforschungsunternehmen nutzen weltweit mehr als zehn Millionen Menschen zu jedem Zeitpunkt Online-Tauschbörsen, wohl auch zum Tausch nicht lizenzierter Inhalte. Der Musikvertrieb im Netz sei nicht mehr zu kontrollieren, meinen Experten. Wäre es nicht sinnvoller, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die darauf abgestimmt sind?

Medwenitsch: Wenn die weltweit zehn Millionen stimmen, dann ist Filesharing deutlich zurückgegangen. Die Erfahrung zeigt: Die Suche nach neuen Geschäftsmodellen ist ein Prozess von "Trial and Error". Tabus darf es dabei keine geben.

Aber die Basis für jedes Geschäftsmodell muss eine Lizenz sein, also die Erlaubnis der "Content Creators" zur Verwendung ihres Contents. Wer dieses Grundprinzip infrage stellt, setzt die Axt an die Wurzel der Kreativbranchen.

ORF.at: Welchen Geschäftsmodellen geben Sie im Online-Musikhandel eine Zukunft?

Medwenitsch: Internet-Geschäftsmodelle sind kaum prognostizierbar. Wer hat etwa den Erfolg von YouTube vorhergesehen?

Persönlich glaube ich an die Zukunft von Abomodellen, wenn es gelingt, das etwa bei Fernsehen und Handy bewährte Abomodell auch für den Kauf von Musik marktfähig zu machen.

ORF.at: Einer Art Grundgebühr für Musik aus dem Netz können Sie nichts abgewinnen?

Medwenitsch: Das ist nichts anderes als die kollektive Enteignung der Kreativen gegen ein Almosen. Der Online-Markt wächst, es wird investiert, es entstehen neue Jobs und Wertschöpfung.

Eine staatlich verordnete Flatrate würde diese positive Entwicklung sofort zerstören. Die Kultur-Flat - ein Thema für pseudopolitische Schwärmer.

Pro und kontra Pauschalgebühr

Nach Meinung des Musikmarktexperten Gerd Leonhard wird die Branche jedoch an einer Pauschalgebühr für Musik aus dem Netz nicht vorbeikommen. Es werde keine andere Möglichkeit geben, die drei Milliarden Leute in digitalen Netzwerken zum Bezahlen von Inhalten zu bewegen, sagte er im Gespräch mit ORF.at. Auch der Musikmanager Peter Jenner [Pink Floyd, Billy Bragg] machte sich im Interview mit ORF.at für eine Gebühr für Netzmusik stark.

ORF.at: In den USA wird heuer mit einem weiteren Rückgang auf dem Tonträgermarkt von rund 20 Prozent gerechnet. Wie sieht es in Österreich aus?

Medwenitsch: Deutlich weniger dramatisch. Wir nähern uns der Situation an, dass die Rückgänge im Tonträgerverkauf durch Zuwächse im Digitalmarkt, also dem Musikvertrieb über Handys und Internet, kompensiert werden können.

ORF.at: Sie haben sich im Zuge der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für einen Zugriff der Rechteinhaber auf die dabei gesammelten Daten und für eine längere Speicherzeit ausgesprochen. Die Vorratsdatenspeicherung, die in die Grundrechte der Bürger eingreift, wird mit der Bekämpfung des Terrorismus begründet. Ist es nicht unverhälnismäßig, bei vergleichsweise geringen Vergehen auf diese Daten zugreifen zu wollen?

Medwenitsch: Ist es nicht auch unverhältnismäßig, dass Urheberrecht dann gar nicht mehr geschützt ist? Wo bleibt da das Grundrecht auf Eigentum, wo das Schutzbedürfnis der Kreativen? Soll wirklich nur mehr Terrorismus im Internet verfolgbar und alles andere erlaubt sein, weil durch Datenschutz anonymisiert? Das ist doch keine Perspektive.

In der hitzigen Diskussion wird leicht vergessen, dass es die Vorratsdatenspeicherung schon heute gibt. Sie ist erlaubt, wenn der Provider die Daten zur Rechnungsstellung gegenüber seinen Kunden braucht. Was für das Schreiben einer Rechnung erlaubt ist, muss doch auch zur Verfolgung von Gesetzesverletzungen erlaubt sein - und zwar nicht nur von Terrorismus. Dass es eine gesetzliche Ermächtigung braucht, um auf diese Daten zugreifen zu können, verstehe und unterstütze ich.

(futurezone | Patrick Dax)