Freibrief zur Überwachung ohne Gerichtsbeschluss
Nicht nur die Luxemburger Delegierten, deren Einspruch die Verabschiedung des Rechtshilfe-Übereinkommens bisher verhindert hatte, stehen dem Vertragswerk skeptisch gegenüber.
Aus wenigstens zwei weiteren Delegationen kamen schwer wiegende Bedenken, gegen Paragraf 18, was sich in der sanften Sprache der Juristen etwa so anhört: "legistisch nicht optimal", also "nicht unbedingt geglückt."
Paragraf 18, in dem nie von Polizei die Rede ist, sondern immer nur von "zuständigen Behörden", obwohl er Polizei-Agenden regeln soll, beschäftigt sich mit "Überwachung von Personen im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedsstaaten ohne deren technische Hilfe."
Parlament dagegen
Das EU-Parlament hatte mehrheitlich aber offenbar ergebnislos die
Streichung des im Paragraf 18 enthaltenen Abhör-Freibriefs
gefordert. Das Parlament hatte bei diesem Dokument nur
Anhörungsrecht, die Letztfassung braucht nicht mehr vorgelegt zu
werden.
"Zuständige Behörden"
So, wie er formuliert ist, eröffnet er "zuständigen Behörden" aus anderen EU-Staaten die Möglichkeit, bis zu zwölf Tage lang Telekommunikation auf dem Hoheitsgebiet von Österreich abzuhören, ohne dass dazu der Beschluss eines unabhängigen Gerichts in AT nötig ist.
Im gesamten Paragrafen 18 kommt der Begriff "Gericht" nur einmal indirekt vor, obwohl Abhörgenehmigungen in praktisch allen EU-Legislaturen nur mit Gerichtsbeschluss möglich sind.
Ein praktisches Beispiel
Anhand des Rechtshilfe-Übereinkommens Version 23 März [COPEN 21, 18]
Das Handy eines britischen Staatsbürgers, der sich auf österreichischem Hoheitsgebiet aufhält, wird von den britischen Behörden am Roaming-Gateway des GSM-Providers in England abgehört, weshalb auch keine technische Hilfe der österreichischen Behörden notwendig ist.
Diese müssen erst dann informiert werden, wenn die Briten "davon Kenntnis ... [haben], dass sich die Zielperson im Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedsstaats aufhält." [Artikel 18, 1b]
Wie schnell die Briten anhand der am Roaming-Gateway einlangenden Gesprächsdaten erkennen, dass ihre Zielperson auf österreichisches Staatsgebiet gewechselt ist, bleibt ihnen selbst überlassen.
Die ersten 96 Stunden
Sobald die Briten die "zuständige Behörde des unterrichteten
Mitgliedsstaats" nämlich AT informiert haben, hat diese binnen 96
Stunden zu antworten.
Freibrief für 12 Tage
Entweder wird abgelehnt, weil die Überwachung gegen nationales Recht verstößt, oder die Abhörung wird mit Auflagen genehmigt, wie die bereits abgehörten Informationen verwendet werden dürfen.
Oder es wird verlangt "die ursprüngliche Frist von 96 Stunden um ... höchstens acht Tage" zu verlängern, "damit die nach ...innerstaatlichem Recht erforderlichen Verfahren durchgeführt werden können.
Bis also der Beschluss des österreichischen Gerichts gefällt wird [nach Strafprozessordnung 149b], können die Briten maximal zwölf Tage lang sämtliche Telefonate abhören, die der britische Staatsbürger in Österreich mit Partnern aus AT und anderswo führt.
Die Serie "Abhörunion Europa"
wird morgen, Mittwoch, mit Teil III fortgesetzt, der Szenarien schildert, was passieren kann, wenn diese Rechtslage durch bilaterale Verträge und Absprachen der nationalen, jeweils "zuständigen Behörden" bereichert wird