Bundesrat stimmt Data-Retention zu
Tritt am 1. Jänner in Kraft
Trotz massiver Proteste von Bürgerrechtlern und Datenschützern müssen Telefon- und Internet-Verbindungsdaten in Deutschland künftig ein halbes Jahr lang von den Diensteanbietern gespeichert werden. Der Bundesrat billigte das entsprechende Gesetz am Freitag in Berlin. Es tritt am 1. Jänner in Kraft.
Die ebenfalls neu gefasste Überwachung der Telekommunikation wird auf schwere Straftaten beschränkt. Aber auch einzelne Geheimnisträger wie Anwälte, Ärzte und Journalisten dürfen nach Abwägung der Verhältnismäßigkeit abgehört werden.
Ein Antrag des Landes Berlin, per Vermittlungsausschuss auch für diese Berufsgruppen einen besonderen Schutz durchzusetzen, fand keine Mehrheit in der Länderkammer.
Data-Retention
Telekommunikationsunternehmen müssen sechs Monate lang speichern, wer mit wem wann telefoniert hat. Bei Mobilfunkgesprächen wird auch gespeichert, von wo aus telefoniert wurde. Damit wird eine EU-Richtlinie umgesetzt. Gespeichert werden Rufnummer, Uhrzeit, Datum der Verbindung und - bei Handys - der Standort zu Beginn des Gesprächs. Beim Internet werden Daten zum Zugang [IP-Adresse] sowie zur E-Mail-Kommunikation und Internet- Telefonie erfasst. Der Kommunikationsinhalt oder der Aufruf einzelner Internetseiten werden nicht gespeichert.
Die im AK Vorrat organisierten deutschen Bürgerrechtler hatten angekündigt, gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde einzulegen. Wie AK-Vorrat-Mitglied Ralf Bendrath am Donnerstag im Weblog Netzpolitik.org bekanntgab, will die Organisation sofort nach Publikation des Gesetzes im Bundesgesetzblatt eine Pilotklage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen und per einstweilige Verfügung verhindern, dass die neuen Regeln in Kraft treten.
Danach sollen die Klagsschriften aller anderen Mitkläger nachgereicht und vom Gericht zu einem einzelnen Verfahren zusammengefasst werden. Laut Aussagen des AK Vorrat haben sich schon mehr als 13.000 Bundesbürger der Verfassungsbeschwerde angeschlossen und bei den Anwälten der Organisation ihre Vollmacht eingereicht. Laut Bendrath gehen derzeit täglich Hunderte Vollmachten besorgter Bürger bei den Anwälten des AK Vorrat ein.
Telekomüberwachung
Sie wird auf schwere Straftaten begrenzt. Gestrichen werden alle Straftaten, die mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Aufgenommen werden weitere Straftaten: Korruptionsdelikte, gewerbs- oder bandenmäßiger Betrug, schwere Steuerdelikte, Menschenhandel, Verbreitung von Kinderpornografie, schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, gemeinschaftliche Vergewaltigung oder sexueller Missbrauch, Verbreitung und Anwendung von Dopingmitteln sowie Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch.
Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen müssen von einem Richter angeordnet werden. Einen absoluten Schutz haben Strafverteidiger, Seelsorger und Abgeordnete. Andere Gruppen wie Ärzte, Journalisten und die übrigen Anwälte erhalten einen relativen Schutz. Maßnahmen gegen diese Gruppen sind nur nach Abwägung der Verhältnismäßigkeit zulässig.
Der Bundesrat stimmte allerdings nicht der Forderung des Rechtsausschusses zu, die Informationen aus der Data-Retention, die eigentlich zur Verfolgung von Schwerverbrechen und Terrorismus angelegt werden sollen, auch für zivilrechtliche Fälle wie zur Jagd auf Tauschbörsennutzer zur Verfügung zu stellen.
SPD dafür, Opposition dagegen
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Alfred Hartenbach [SPD], sagte vor dem Bundesrat, Verkehrsdaten würden bereits jetzt gespeichert. Und auch künftig würden nicht die Inhalte der Gespräche und sonstige Kontakte archiviert, sondern lediglich, welche Verbindung zu einer bestimmten Zeit bestand.
FDP-Fraktionsvize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte in Berlin, mit der Entscheidung des Bundesrats werde "der Paradigmenwechsel im Datenschutz Realität". Sie werde zusammen mit ihren Parteifreunden Burkhard Hirsch und Gerhart Baum Verfassungsbeschwerde einlegen. "Die Liberalen lehnen diese Vorratsdatenspeicherung ab und unterstützen den gesellschaftlichen Protest auf allen Ebenen", fügte Leutheusser-Schnarrenberger hinzu.
Grüne und FDP unterstützen AK Vorrat
Auch der Grünen-Rechtsexperte Jerzy Montag sagte, er wünsche der geplanten Massenverfassungsbeschwerde einen durchschlagenden Erfolg. "Wir werden in erster Reihe dabei sein", betonte er. Den Bürgern sei vorgegaukelt worden, ihre Daten der Telekommunikations- und Internet-Nutzung würden zur Terrorbekämpfung benötigt.
Die Koalition wolle die Daten aber an alle Geheimdienste weiterreichen und "selbst Lappalien wie Beleidigungen damit verfolgen", kritisierte Montag. Leider habe sich auch im Bundesrat keine Mehrheit gefunden, die Totalerfassung der Kommunikationsumstände zu verhindern oder ihre Verwendung zu beschränken.
Demonstration des Anwaltsvereins
Vor der Entscheidung im Bundesrat hatten Mitglieder des Berliner Anwaltsvereins gegen die Neuregelung demonstriert. Rund 70 Juristen versammelten sich nach Veranstalterangaben vor dem Gebäude der Länderkammer und hielten den ankommenden Ministerpräsidenten Schilder mit dem Spruch "Anwaltsgeheimnis schützen" entgegen. Auch der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hatte zu einer Demonstration vor dem Bundesratsgebäude aufgerufen.
(dpa | AFP | futurezone)