SPG-Novelle: Vorbei an Kontrollinstanzen
"Die IP-Adressen haben den Datenschutzrat nie passiert, weil sie nicht vorgelegt wurden", sagt dessen Vorsitzender Harald Wögerbauer [ÖVP]. Was über die Erfassung von IP-Adressen in der Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes [SPG] wirklich steht.
Kurz vor Mitternacht
Die am vergangenen Donnerstag kurz vor Mitternacht verabschiedete Novellierung des Sicherheitspolizeigesetzes war erst am Montagabend in ihrer letztgültigen Fassung bekannt. Laut Aussage des Datenschutsratsvorsitzenden Wögerbauer hat die um die Auskunftspflicht für IP-Adressen ergänzte Version des Gesetzes den Datenschutzrat erst gar nicht passiert.
Der Gesetzesentwurf war nach mehreren Wochen Frist in letzter Minute von den Sicherheitssprechern von SPÖ und ÖVP noch in einer entscheidenden Passage verändert worden.
Tourengeher, IP-Adressen
Überraschend schrieb dieser Änderungsantrag der Abgeordneten Günter Kößl [ÖVP] und Rudolf Parnigoni [SPÖ] die Auskunftspflicht für temporäre IP-Adressen durch die Netzbetreiber fest.
Das war zur formlosen Auskunftspflicht der Mobilfunkbetreiber über Handy-Standortdaten in der bekannten Vorlage noch hinzugekommen.
Im Beiblatt war als Anwendungsbeispiel für Standortdaten die Auffindung eines kommunikationsunfähigen verirrten Tourengehers mittels Handyortung dazu angeführt.
Die Parlamentarier erreichte der Abänderungsantrag am Morgen vor der Abstimmung, die als letzter Punkt auf der letzten Plenartagesordnung vor der Weihnachtspause stand. Der Zeitpunkt war kurz vor Mitternacht, die Abstimmung endete um 23.50 Uhr.
Das sagt die Endversion
In der Endversion der Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz heißt es nun in §53 (3a):
Die Sicherheitsbehörden sind berechtigt, von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste [...] und sonstigen Diensteanbietern (§3 Z2 E-Commerce-Gesetz ECG, BGBl. I Nr. 152/20) Auskunft zu verlangen über
1. Namen, Anschrift und Teilnehmernummer eines bestimmten Anschlusses;
2. Internet-Protokoll-Adresse (IP-Adresse) zu einer bestimmten Nachricht und den Zeitpunkt ihrer Übermittlung sowie
3. Namen und Anschrift eines Benutzers, dem eine IP-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war.
Das gelte, "wenn bestimmte Tatsachen die Annahme einer konkreten Gefahrensituation rechtfertigen".
"Nicht vorgelegt, nicht passiert"
Diese den Parlamentariern erst Donnerstagfrüh bekanntgemachte Passage hat aufgrund des gewählten Prozedere der Fristsetzung weder den Innenausschuss passiert noch den Datenschutzrat.
Das bestätigte der Vorsitzende des Gremiums, Wögerbauer, auf Anfrage von ORF.at: "Die IP-Adressen waren nicht in der Begutachtung. Sie wurden dem Datenschutzrat nicht vorgelegt, und daher haben sie ihn auch nicht passiert."
"Gefahrennotwehr" ohne Richter
Auch er habe den Abänderungsantrag nicht früher als die Parlamentarier erhalten, sagt Wögerbauer.
Dass in der Novelle von Beginn an kein Richtervorbehalt für die Standortermittlung eines Handys vorgesehen war, liege darin begründet, so Wögerbauer weiter, dass es sich um "Gefahrennotwehr" handle und eben nicht um strafrechtliche Ermittlungen. Im Datenschutzrat sei man sich einig gewesen: "Mit Richter geht das nicht."
Rechtsschutz, nachträglich
Auch nachträglich wird nun kein Richter die Rechtmäßigkeit der Ermittlungen von Handystandorten und temporären IP-Adressen beurteilen.
Bei der "Gefahrenabwehr" habe man das auch bisher nicht müssen, so Wögerbauer, weil der Bereich bis jetzt nicht gesetzlich geregelt war. Nachträglich werde nunmehr der Rechtsschutzbeauftragte über diese Fälle in Kenntnis gesetzt.
Der erwähnte Rechtsschutzbeauftragte ist ein Beamter des Innenministeriums.
Im Notfall Peilung
Was den im Gesetzesvorblatt in Zusammenhang mit der Auffindung vermisster Tourengeher notwendigen Ankauf eines IMSI-Catcher angehe, so sei in der dem Datenschutzrat vorgelegten Version nicht von einem solchen Gerät die Rede gewesen.
Man sei sich nur darüber einig gewesen, dass in einem Notfall die Möglichkeit der Handypeilung gegeben sein müsse, sagt der Vorsitzende des Datenschutzrates weiter.
"Abhören ist nicht erlaubt"
Ob dem Datenschutzrat bekannt sei, dass IMSI-Catcher keine Peilgeräte, sondern solche zum Abhören von Mobiltelefonen ohne Mitwirkung des Netzbetreibers seien, so lautete die letzte Frage.
"Mit dem IMSI-Catcher habe ich mich nicht auseinandergesetzt", sagt Wögerbauer. "Abhören ist jedenfalls nicht erlaubt."
Prozedere, Publikation
Der Leiter des parlamentarischen Kompetenzzentrums für E-Recht, Wolfgang Großjehringer, nannte den Montagabend als Publikationstermin.
"Weil es der letzte Punkt auf der Tagesordnung am Donnerstag war, stand das noch in der Schlange", sagte Großjehringer zu ORF.at.
Die eingelangten Dokumente trügen zuweilen handschriftliche Anmerkungen, dann müssten die elektronischen Versionen mit der Papiervorlage verglichen werden.
Im Zweifelsfall Papierversion
Obwohl man fast durchgehend elektronisch arbeite, gelte im Zweifelsfall noch immer die Papierversion, mit der zum Abschluss verglichen werden müsse.
Das dafür nötige Prozedere mit digitalen Signaturen sei kein Problem. Dem Vorhaben stehe vielmehr seine mangelnde Rechtsgrundlage entgegen.
Die Änderung der Rechtsordnung
Seit vielen Monaten sei ein Rechtskomitee der Parteien damit beschäftigt, doch sei bis jetzt jeder diesbezügliche Versuch zur Änderung der parlamentarischen Rechtsordnung insgesamt gescheitert.
Die dafür nötige Zweidrittelmehrheit sei bis jetzt nicht zustande gekommen, weil sich die Parteien bei etwas ganz anderem nicht einig werden.
Behindert werde der Start des vollelektronischen Dokumentenverkehrs im Parlament durch Unterschiede in der Beurteilung von "Untersuchungsausschüssen als Minderheitsrecht".
(futurezone | Erich Moechel)