Heißer Herbst für Internet-Provider
Ein heißer Herbst 2004, dem ein sehr kostenintensives Jahr 2005 folgen könnte, kündigt sich für Europas Internet-Provider an. Vergangene Woche hat die EU-Kommission begonnen, Stellungnahmen betroffener bzw. interessierter Gruppen zu einer im Entwurfsstadium befindlichen, neuen EU-Richtlinie einzuholen.
Von der Öffentlicheit weitgehend unbeachtet arbeiten Beamte aus den Justiz- und Innenministerien von England, Frankreich, Irland und Schweden an einem so genannten "Rahmenentscheid zur Zurückhaltung von Daten" ["Draft framework decision on the retention of data"], der noch in diesem Jahr umgesetzt werden könnte.
Der vor allem in der EU-Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität entstandene Entwurf sieht eine europaweite Speicherpflicht für so genannte Verkehrsdaten aller Kommunikationen aus allen Netzen vor. Die vorgeschlagene Mindestdauer der Speicherung soll ein Jahr betragen.
Die Höchstdauer von drei Jahren könne von einzelnen Mitgliederstaaten durchaus überschritten werden, wenn dies im nationalen Interesse notwendig und mit dem Betrieb einer demokratischen Gesellschaft vereinbar sei, heißt es in Artikel 4, Absatz 1.
Das aktuelle Konsultations-Dokument der EU [PDF]Die "öffentliche Ordnung"
Die neue Richtlinie beruft sich auf einen viel kritisierten Beschluss des EU-Parlaments aus dem Jahre 2002. In Folge der Attentate von 9/11 hatte eine Mehrheit aus Konservativen und Sozialdemokraten einer de facto Aufhebung der EU-Direktive zum Datenschutz zugestimmt, wenn dies der Strafverfolgung oder der Hebung der nationalen Sicherheit diene.
Im aktuellen EU-Konsultationspapier werden die Aufhebungsgründe für eines der wichtigsten Grundrechte nur noch mit "öffentlicher Ordnung" ["public order"] umrissen.
Sollte der neue Richtlinienentwurf in dieser oder ähnlicher Form kommen, bedeutet das für Internet-Provider, aber auch Telekoms aller Art quer durch Europa einen sprunghaften Anstieg der Ausgaben für Infrastruktur.
Um die gewaltigen Datenmengen, die beim Mitloggen aller Verkehrsdaten eines Kunden anfallen, der kommenden Richtlinie entsprechend jahrelang verfügbar zu halten, bedarf es nicht nur einer erheblichen Aufrüstung im Storage-Bereich.
Die Entscheidung im EU-Parlament, Mai 2002Auch VoIP wird überwacht
Im Gegensatz zu den Telekom-Netzen, die in den vergangenen Jahren entsprechend den Überwachungsstandards des European Telecom Standards Institute [ETSI] mit normierten Schnittstellen und Protokollen vollständig erschlossen wurden, existieren für das Internet noch keine vergleichbaren Standards bzw. Infrastrukturen.
Das bedeutet erhebliche Um- und Ausbauarbeiten in den Netzen, da nun Daten erfasst und gespeichert werden müssen, die vordem oft nicht einmal angefallen waren.
Die zusätzliche, schlechte Nachricht betrifft alle Provider, die Netztelefonie [VoIP] anbieten. Auch diese, nicht eben einfach abzugreifenden Datensätze sind von der neuen Richtlinie betroffen, die entsprechenden Standards sind bereits seit längerem in Arbeit.
Wie aus der unten angefügten Timeline der Stories unschwer ersichtlich ist, hat die Initiative zur verpflichtenden Datenspeicherung ihren Ursprung weit vor 9/11. Im Cybercrime-Vertrag des Europarats ist Datenspeicherung auf Vorrat eine der wichtigsten Forderungen der Strafverfolger.
Die Überwachungsstandards für 3G-NetzeTeil zwei der Serie
"Der vorliegende Entwurf erscheint aus datenschutzrechtlicher und
kostenrechnerischer Sicht fragwürdig, weshalb wir diesen in seiner
Gesamtheit ablehnen", heißt es in einer Stellungnahme der WKÖ an die
EU-Kommission.