Im Reich der kleinen grauen Schachteln

16.12.2007

Wenn ein Autofahrer sich heutzutage verfolgt fühlt, hat das nicht unbedingt damit zu tun, dass eine deutsche Edelkarosse versucht, den Kofferraum seines Gefährts zu knutschen. Für permanente Paranoia sorgen vielmehr die zahllosen grauen Kästchen am Straßenrand. Eine Polemik.

Als Ende November ruchbar wurde, dass die deutsche Polizei im Stillen alle Autokennzeichen auf der Autobahn München - Salzburg mit Videokameras erfasst und automatisch mit ihren Fahndungslisten abgleicht, fiel das in den Medien kaum weiter auf.

Lediglich hoffnungslos altmodische Institutionen wie das deutsche Bundesverfassungsgericht mühen sich noch damit ab, derartige Schleppnetz-Fahndungsmethoden zu prüfen, schließlich geht es ja gegen zeitgenössische Butzemänner wie Autodiebe und Fußball-Hooligans.

Die Regeln

Vergangene Woche, kaum einen Monat später, durften wir vom plangemäßen ersten Einsatz einer sehr ähnlichen Anlage bei der ASFINAG erfahren, die dort künftig dazu verwendet werden wird, alle Fahrzeuge auf das Vorhandensein einer gültigen Autobahnvignette zu prüfen.

Am Beispiel der Autobahn konnten wir also wieder einmal die drei Grundregeln der Kontrollgesellschaft im 21. Jahrhundert lernen:

1. Freuen Sie sich nicht zu früh.

2. Sie sind als Nächster dran [Anm.: Gilt nicht für Ämter und Arztpraxen].

3. "Verbrecher" ist im digitalen Zeitalter schnell durch "alle" substituiert, und zwar so, dass es keiner merkt. Notfalls auch durch einen kleinen Änderungsantrag, eingebracht am Donnerstagnachmittag und durchgewunken um 23.50 Uhr.

Der Mäusebussard

Überhaupt, die Autobahn. Wo die deutsche Band Kraftwerk vor nicht allzu langer Zeit mit lyrischer Präzision noch "ein graues Band", "weiße Streifen" und "grünen Rand" besang und in dieser Beschreibung wirklich nur den einen oder anderen am Straßenrand auf Beute lauernden Mäusebussard ausließ, ist heute eine verwirrende Vielfalt an Mobiliar zu bestaunen.

Nicht nur, dass der Mäusebussard heute hinter Lärmschutzwänden hocken muss, auch direkt an und über der Fahrbahn hat sich eine verwirrende Anzahl an kleinen grauen Kästchen, Kameras und Messgeräten eingefunden. Manche von ihnen sind schnell identifiziert, etwa die Lkw-Maut-Checker und die von hinten blitzenden einäugigen Robocops, andere dagegen sehen einfach nur klein und grau und vor allem verdächtig aus.

Die graue Schachtel

Sind es Mäusebussard-Zählgeräte, die uns die stets um unser Wohl besorgten Behörden da an den Straßenrand gesetzt haben? Herbstnebel-Densitometer? Ultraschall-Igelwarnanlagen?

Für sich genommen sind alle kleinen grauen Schachteln fein und nützlich. Im Zusammenhang mit dem behördlichen Trommelfeuer an angekündigten Überwachungsmaßnahmen aber erzeugen sie in mir eine Paranoia, die mich tatsächlich beim Fahren stört.

Habe ich auch wirklich das Tempolimit eingehalten, als ich an diesem neuen grauen Kästchen vorbeigefahren bin? War ich nicht doch einen Tick schneller als erlaubt? Jeder hat etwas zu verbergen, und sei es auch nur zehn entscheidende Sekunden lang.

Die Lösung

Ich will beim Fahren aber nicht über kleine graue Schachteln nachdenken, sondern mich auf den Verkehr konzentrieren, von dem mich der Elektroschrott am Wegesrand nur allzu häufig ablenkt. Der auffällig unauffällige Krempel stört meinen Bewegungsfluss, den ich lange trainieren musste, um ein guter und rücksichtsvoller Verkehrsteilnehmer zu werden.

Illusionen über das Verschwinden der kleinen grauen Schachteln mache ich mir aber nicht. Schließlich ist es viel zu lukrativ für alle Beteiligten - außer, wie immer, die Kundschaft -, sie aufzustellen und sie das tun zu lassen, wozu sie auch immer gebaut worden sind.

Bleibt nur, das durch Technik erzeugte Problem auf gut mitteleuropäische Art durch den Einsatz von noch mehr Technik zu lösen. Ich schlage vor, jede der kleinen grauen Schachteln mit einem standardisierten Infosender auszustatten, der Eigenschaften und potenzielle Gefährlichkeit des Geräts für die vorbeifahrenden Autobahn-User preisgibt. Über den Einbau eines entsprechenden Bordempfängers und eines speziellen Head-up-Display-Projektors könnte sich der Fahrer stets einblenden lassen, welche Sorte Schachtel ihn gerade kontrolliert.

Der Overkill

Das wiederum können jene Dienste und Institutionen nicht durchgehen lassen, die darauf angewiesen sind, dass ihre kleinen grauen Schachteln anonym bleiben. Nichts ist für eine kleine graue Schachtel so wichtig wie Anonymität - ihre Anonymität, selbstverständlich.

Also wird der Verein der Freunde kleiner grauer Schachteln zum Gesetz zur Förderung der Verkehrssicherheit durch Fernortung kleiner grauer Schachteln am Donnerstagnachmittag einen Änderungseintrag einbringen, über den dann um 23.50 Uhr abgestimmt werden wird.

Und die Paranoia wird wieder von vorne losgehen. Ich weiß das genau. Darum fahre ich jetzt nur noch Bahn.

(futurezone | Günter Hack)