Die Befreiung der Stickmaschine

22.12.2007

Mit ihrem Projekt "Radical Chic" untersucht die Wiener Designerin Raphela Grundnigg, wie sich freie Software auf die Welt der Stick- und Nähmuster übertragen lässt. Ein Bereich, in dem Insellösungen aus Stickmaschinen, Software und proprietären Dateiformaten gang und gäbe sind.

"Ich habe da ein wunderbares Stickmuster in einem außergewöhnlichen Dateiformat,

das meine Software von 'XYZ' nicht kennt. Mit welchem günstigen Programm bekomme ich das jetzt umgewandelt?" In Foren wie Hobbyschneiderin.de und anderen einschlägigen Austauschplattformen für die Textilverarbeitung sorgen Fragen wie diese für rege Diskussionen.

Die Welt des Nähens und Stickens überschneidet sich längst mit dem Bereich der Informationstechnologie. Diskussionen über Betriebssysteme, Software und Dateiformate haben auch Hobbyschneider und -näher erfasst.

"Höchst proprietärer" Bereich

"Der Bereich der Stickmuster ist höchst proprietär", sagt die Software-Entwicklerin Andrea Mayr, die als Kuratorin der von der Telekom Austria geförderten net culture labs Grundnigg bei der Befreiung der Stickmaschinen unterstützt: "Es gibt einige wenige Stichmaschinenanbieter, die alle mit geschlossenen Dokumentenformaten arbeiten."

"Radical Chic" ist eines von 18 Projekten, die von der Telekom Austria im Rahmen der im April gegründeten net culture labs unterstützt werden. Am Dienstag zogen Telekom und Kuratoren der in Wien und Dornbirn betriebenen Innovationslabors eine erste Zwischenbilanz.

"Es ist ein Urwald"

Die Formate seien untereinander nur beschränkt kompatibel, so Mayr: "Es gibt vereinzelt Programme, die in verschiedenen Formaten abspeichern können. Eine Software stickt nur in dem einen Format, andere Software stickt vielleicht noch in einigen wenigen anderen Formaten. Du musst dich wirklich durch Hunderte von E-Mails und Foreneinträgen kämpfen, um dich zu orientieren. Es ist ein Urwald, der ganz schwer zu durchschauen ist."

Grundnigg, die unter dem Label dominique raffa Kleidungsstücke entwirft, will mit dem Projekt auch "neue Kooperationsformen zwischen Code und Designern" erproben.

So sollen etwa Audiosignale maschinell in Stickmuster übersetzt werden. "Wir versuchen, unflexible Industriestandards für Interaktion und Mitwirkung zu öffnen", meint Kuratorin Mayr.

Web-Interface für stickfähiges Format

Eine unter einer General Public Licence [GPL] veröffentlichte Software aus dem Serverbereich, die mit der von ihnen verwendeten Stickmaschine eines Schweizer Herstellers über eine USB-Schnittstelle kommunzieren kann, haben Grundnigg und Mayr bereits gefunden. Ziel sei es nun, ein Web-Interface für ein stickfähiges Format zu entwickeln.

"Wir wollen im Grobbereich ansetzen und etwa Hexadezimal-Codes von Text-Files einfach umschreiben und die in ein stickbares Muster transferieren. Wir sehen uns an, wie das übersetzt wird, wie die einzelnen Veränderungen in der Stichlegung umgesetzt werden", sagt Mayr.

Davon ausgehend soll dann ein Interface entwickelt werden: Möglicherweise werde man dabei einzelne Funktionen, wie etwa die Spiegelung der Motive und Farbwechsel, auch über Buttons ausführen können, so die Entwicklerin.

Textil- und Datenverarbeitung

Als Pionier der automatisierten Herstellung von Textilmustern kann der französische Erfinder Joseph-Marie Jaquard [1752-1834] gelten, dessen Musterwebmaschine die Nockenwalze durch das Endlosprinzip der Lochkartensteuerung ersetzte.

Die Lochkarten enthielten Informationen zu den Mustern und wurden mit Nadeln abgetastet. Ein Loch signalisierte Fadenhebung, kein Loch Fadensenkung. Jaquard fand damit ein Prinzip, Muster von beliebiger Komplexität mechanisch herzustellen und entwickelte in gewisser Weise auch die "erste programmierbare Maschine" [Wikipedia].

Wegen der Weiterentwicklung der Lochkartentechnik zur Programmiersteuerungsreife gilt die "Jaquard-Maschine" auch als ein Vorläufer von Herman Holleriths Tabelliermaschinen und als ein wesentlicher Schritt in der Geschichte der Datenverarbeitung.

Überlegungen zu Geschäftsmodellen

Dabei wollen Grundnigg und Mayr auch Überlegungen in Richtung eines Geschäftsmodells rund um individualisierte Massenfertigung [Mass Customization] und eine Online-Community anstellen.

Tauschplattformen für Stickmuster gebe es auch heute schon, erzählen Grundnigg und Mayr. Auch einige Hersteller betreiben Online-Communitys. "Da kommt man aber nur rein, wenn man das Produkt tatsächlich hat", sagt Grundnigg. "Mit der Seriennummer als Zutrittscode."

Muster werden von den Herrstellern vorwiegend auf Steckkarten vertrieben, die mit den Geräten anderer Anbieter häufig nicht kompatibel sind und nicht selten proprietäre Kartenlesegeräte erfordern.

Show im April

Bestehende Stick-Communitys und -Foren beobachten Grundnigg und Mayr jedoch eher aus der Distanz. Die dort angebotenen Muster seien nicht ihre Sache, so Grundnigg, denn diese seien meist "kindliche" Motive: Schneemänner, Rosenranken und Zebras. Junge Muster, die sich mit gegenwärtigen Problematiken auseinandersetzen, gebe es kaum, so die Designerin.

Das will Grundnigg nun ändern: Arbeiten und Muster, die ihm Rahmen des Projektes entwickelt werden, sollen am 18. und 19. April 2008 im Rahmen einer Show im Wiener Kosmos Theater präsentiert werden.

(futurezone | Patrick Dax)