Verfassungsklage gegen Datenspeicherung

31.12.2007

An die 30.000 Bürger reichen in Deutschland heute Klage gegen die verpflichtende Speicherung von Telefonie- und Internetdaten vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht ein. Das entsprechende Gesetz tritt am 1. Jänner 2008 in Kraft.

Mit der größten Massen-Verfassungsbeschwerde in der Geschichte Deutschlands versuchen Kritiker das Gesetz zur Speicherung von Telefon- und Internet-Daten alias Data Retention bzw. Vorratsdatenspeicherung zu Fall zu bringen.

An die 30.000 Bürger haben sich per schriftlicher Vollmacht der Klage angeschlossen, die am Montag vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in Karlsruhe eingereicht wird.

Das Inkraft-Treten

Das Gesetz, das Bundespräsident Horst Köhler vor wenigen Tagen unterzeichnet hatte, tritt am 1. Jänner in Kraft. Per einstweiliger Verfügung soll die Vorratsdatenspeicherung nun schnellstmöglich unterbunden werden.

Das Gesetz zur Telekommunikationsüberwachung bestimmt, dass die Telekommunikationsdaten aller Bürger zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität für sechs Monate gespeichert werden.

Über das Festhalten

Telekommunikationsunternehmen müssen festhalten, wer mit wem wann telefoniert hat, oder wer wann welche IP-Adresse zugeteilt hatte und wer an wen E-Mails verschickt hat.

Beim Handy wird auch der Standort der angewählten Funkzelle bei Beginn der Mobilfunkverbindung dauerhaft gespeichert. Damit kann ein Bewegungsprofil des Telefonierenden erstellt werden. Gespeichert werden die so genannten Verkehrsdaten: Rufnummern, IP-Adressen sowie die Uhrzeit und das Datum der Verbindungen.

Einstweilig

Vorerst gilt für die Regelung noch eine Übergangsfrist. Solange die Unternehmen die Infrastruktur für die Datenspeicherung vor allem von Internet-Daten nicht aufgebaut haben, seien sie bis Anfang 2009 nicht gebunden, wie ein Sprecher des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung mitteilte.

Dennoch soll das Gesetz per einstweiliger Verfügung möglichst rasch auf Eis gelegt werden. Bei der Kommunikation im Internet müssen die Unternehmen ab Frühjahr 2009 auch speichern, dass eine bestimmte Internet-Protokoll-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt online war.

Die offizielle Lesart

Bei der Internet-Telefonie werden die Rufnummern, die Zeitpunkte der Kommunikation und die IP-Adressen gespeichert.

Polizei und Staatsanwaltschaft haben dem Gesetz zufolge nur dann Zugriff auf die Daten, wenn dies zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. Darin muss der Richter genau festlegen, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss.

So die offizielle Lesart.

Die Musikindustrie

Zugang zu diesen Daten, die für die Verfolgung von Schwerverbrechen gespeichert werden müssen, verlangt auch die Musikindustrie, um Tauschbörsennutzer besser verfolgen zu können.

Telefonseelsorge, Journalisten

Der deutsche Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kritisiert, dass diese Datenspeicherung auf Vorrat die Bürger unter "Generalverdacht" stellt.

Laut Schaar könne der Staat nun nachvollziehen, wer mit wem telefoniert hat, sei es mit der Telefonseelsorge oder einer Suchtberatungseinrichtung. Geprüft werden könne etwa auch, welche Anrufe ein Journalist entgegengenommen hat, um einem Informanten auf die Spur zu kommen. Anhand der Verbindungsdaten könnten so ganze Kommunikationsprofile gewonnen werden.

Ex-Innenminister klagt auch

Schaar, prominente Innenpolitiker der FDP, die Grünen und viele weitere Experten halten das Gesetz für klar verfassungswidrig.

Neben der Massen-Verfassungsbeschwerde vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, einem bundesweiten Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internet-Nutzern, gibt es weitere angekündigte Klagen von FDP-Politikern wie dem früheren Bundesinnenminister Gerhart Baum.

Die Inhalte der Kommunikation

Die deutsche Bundesregierung setzt mit der Regelung eine umstrittene EU-Richtlinie um. Nach Ansicht von Kritikern geht das deutsche Gesetz aber weit über die EU-Richtlinie hinaus.

Neu geregelt wird in dem Gesetz zudem die inhaltliche Überwachung der Telekommunikation zur Strafverfolgung.

Berufsgeheimnisse

Kritisiert wird hierbei, dass Berufsgeheimnisträger wie Journalisten oder Ärzte bei Überwachungsmaßnahmen nicht besser geschützt werden.

Zwar gilt für sie ein Beweisverwertungsverbot ihrer Verbindungsdaten. Doch die dienen der Polizei in Strafverfahren laut Humanistischer Union sowieso nur als erster Ansatz für ihre Ermittlungen und spielen später als Beweismittel keine Rolle mehr.

Das Land AT

In Österreich haben die Grünen eine Unterschriftenaktion "gegen die Ausweitung der polizeilichen Überwachung auf Handys und Internet" gestartet, die es binnen weniger Tage auf fast 17.000 Unterzeichner im Internet gebracht hat.

Deutschland wie Österreich sind in der weltweiten Datenschutz-Rangliste von Privacy International gleich um zwei Kategroeien zurückgestuft worden.

(futurezone | AFP | DPA)