Vom Schrumpfen der Halböffentlichkeit
Vorratsdatenspeicherung, Druck auf Insider, Bloggen aus dem Innenausschuss - digitale Medien und Kontrollsysteme lassen die Zonen der Halböffentlichkeit schrumpfen, in denen Politiker bisher noch recht ungestört manövrieren konnten. Ist das gut?
Der live aus dem Innenausschuss bloggende Sicherheitssprecher der Grünen, Peter Pilz, hat in Österreich eine neue Spielart von Öffentlichkeitserzeugung eingeführt.
Intimitätsbonus des Bloggers
Anstatt Mitteilungen zu versenden oder Pressekonferenzen anzuberaumen, greift er gerade bei heiklen Themen auf sein Weblog zurück, um seine Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen.
Die Form des Weblogs genießt bei vielen Zeitgenossen im Netz immer noch einen starken Intimitäts- und damit Glaubwürdigkeitsbonus: Wer bloggt, der enthüllt - oftmals Details von sich selbst, mitunter aber auch Dinge, die der Poetik eines geheimen Tagebuchs zu entstammen scheinen.
Pilz könnte auch auf althergebrachte Art und Weise sagen, was im Innenausschuss passiert ist. Dass er "live" aus den Räumlichkeiten des Parlaments bloggt, verleiht seinen Mitteilungen jedoch eine Unmittelbarkeit, die den üblichen Stellungnahmen von Politikern abgeht. Und da im Nachrichtengeschäft Geschwindigkeit alles ist, sind nun sogar die Agenturen "gezwungen", von Pilz abzuschreiben. Das garantiert dem Politiker-Journalisten einen Vorsprung in der Meinungsbildung.
Rechtlich ist Pilz abgesichert. Anlässlich der Präsidialsitzung am 29. Jänner stellte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer [SPÖ] fest, dass die Geschäftsordnung des Parlaments das Live-Bloggen zulässt.
Der RSI-Politiker
Es ist nicht auszuschließen, dass auch die anderen Parteien schon bald Dienstblogger in die Ausschüsse entsenden werden, um ihre Deutungshoheit über die Geschehnisse nicht zu verlieren. Die Karrierechancen von Parteimitgliedern, die im Zehnfingersystem tippen können, dürften damit steil gestiegen sein.
Das Live-Blog drängt auch in jene Lücke, die durch den Tod der Parteizeitung entstanden ist. Mit der Echtzeit-Bloggerei aus den Ausschüssen - warum nicht auch gleich Live-Streaming via Mobilfunk, wenn wir schon dabei sind? - schrumpft allerdings auch jene Grau- bzw. Geschäftszone, die die parlamentarische Politik durchaus für ihr Funktionieren braucht.
Geraten auch nichtöffentliche Ausschüsse zur Bühne, dann werden auch noch die allerletzten Reste halbwegs vertraulicher Aussprachen ins Küchenkabinett abgedrängt. Als Nachrichtenquelle dürften die Ausschüsse unter solchen Umständen schnell versiegen.
Freigelegte Netzwerke
Die Halböffentlichkeit als wertvolles und durchaus schützenswertes Operationsgebiet der Politik dürfte übrigens auch mit Einführung der Vorratsspeicherung sämtlicher Telefon- und Internet-Verbindungsdaten deutlich enger werden. Für diese haben wichtige österreichische Politiker im EU-Parlament gestimmt.
Wissen ist bekanntlich Macht, und das Wissen darum, welcher Politiker wann wo mit wem Kontakt aufgenommen hat, ist unheimlich wertvoll. Zu wertvoll, als dass es nicht irgendwann in die Gravitationsfelder wissbegieriger Operateure geraten würde. Jeder Politiker muss selbst wissen, ob er im Zweifelsfall ein solches Instrument in den Händen seines Gegners sehen möchte.
(futurezone | Günter Hack)