"Spontaner Kauf mit einem Klick"
Der Musikindustrie-Dissident und Medienunternehmer Tim Renner ist davon überzeugt, dass sich Downloads im Internet und in mobilen Netzwerken verkaufen lassen. Mit ORF.at sprach er über die Fehler der Branche, Tauschbörsennutzung und Flatrate-Modelle.
ORF.at: Die Umsätze der Musikkonzerne sinken seit Jahren. Was hat die Branche falsch gemacht?
Renner: Der größte Fehler war es, dass das eigene Geschäftsmodell nicht angegriffen wurde, bevor es andere getan haben. Das gilt generell in sich wandelnden Industrien. Es ist immer schlau, sich selbst anzugreifen, bevor die anderen loslegen. Und es wird immer wieder gerne dann verpasst, wenn man selbst ein erfolgreiches Geschäftsmodell betreibt. Telekommunikationsunternehmen tun sich auch schwer, Skype-ähnliche Angebote zu machen.
Genauso hätte die Musikindustrie ihr Geschäftsmodell angreifen müssen, das durch die CD und den Zwangsverkauf von zwölf Titeln, obwohl Leute nur zwei bis drei Titel wollen, in den 90er Jahren ja sehr erfolgreich war. Die Industrie hätte von attraktive MP3-Angebote machen müssen und Musik ohne Kopierschutz verkaufen müssen. Es wurden viele Fehler gemacht.
Renner, der in seiner Jugend als Journalist tätig war, "rutschte" 1986 im Zuge einer Undercover-Recherche in die Plattenindustrie. Damals stieg er beim Label Polydor ein, dessen Mutter PolyGram 1998 mit Universal Music fusionierte. 2001 übernahm er die Leitung von Universal Music Deutschland. 2004 verließ er das Unternehmen.
Seine Erfahrungen in der Musikindustrie hielt er in seinem 2004 erschienen Buch "Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm!" fest. Derzeit erprobt Renner mit seinem Unternehmen Motor Entertainment neue Geschäftsmodelle in der Musikwirtschaft. Am Donnerstag war Renner beim Mobile Music Day in der Donau-Universität Krems zu Gast wo er Möglichkeiten des mobilen Musikverkaufs skizzierte.
ORF.at: Kann man Downloads heute überhaupt noch verkaufen?
Renner: Ich bin da eigentlich Optimist. Ich glaube, man würde sie wieder verkaufen können, wenn man den Kauf attraktiver und einfacher macht. Die Zielgruppe sind in der Regel nicht die Kids, sondern Leute über 25.
Es muss die Möglichkeit geben, dass dort, wo ich mit Musik in Berührung komme, ein spontaner Kauf durch einen Klick möglich ist. Das geht nur ohne Digital Rights Mangament [DRM] und im Zusammenspiel mit Mobilfunkbetreibern. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, sehe ich durchaus Wachstumsmöglichkeiten für Downloads.
Auf der anderen Seite sehe ich auch eine Bereitschaft für Flatrate-Modelle zu bezahlen, wenn diese fair gestaltet sind.
ORF.at: Universal Music, der Konzern, für den Sie früher tätig waren, will mit seinem Konzept TotalMusic Musik von Hardware-Herstellern und Internet-Providern finanzieren lassen. Nokia hat mit "Comes with Music" vor kurzem eine Umsetzungsmöglichkeit präsentiert. Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten eines solchen Modells?
Renner: Die Nokia-Geschichte von Universal hat zwei maßgebliche Nachteile. Der eine ist, dass mein Besitz der Musik nach einem Jahr endet und die Songs dann weg sind.
Der zweite maßgebliche Nachteil ist, dass offenbar nur Musik von Universal im Angebot ist. Die Kunden finden nicht das, was sie interessiert. Sie kaufen ja nicht nach Label, sondern nach Künstler. Ich gebe der Sache wenig Chancen. Aber immerhin bewegt sich ein großer Konzern, und vielleicht ziehen dadurch ja die anderen nach.
ORF.at: Wie sieht Ihr Musiknutzungsverhalten aus?
Renner: Das ist sehr dadurch geprägt, was ich im sozialen Rahmen oder im Radio höre. Das sind meine beiden wichtigsten Informationskanäle. Wenn ich etwas gehört habe, was mir gefällt, dann kaufe ich es entweder spontan im Laden ums Eck, wenn es eine schöne Vinyl-Ausgabe gibt, oder sofort im Internet.
ORF.at: Tauschbörsen reizen Sie da nicht? Oft sind die Sachen, auf die man scharf ist, offiziell ja noch gar nicht erhältlich. Mich juckt es da manchmal schon.
Renner: Das ist auch richtig so. Sie reagieren auf ein Eigentor der Musikwirtschaft, das noch aus einer einer anderen Zeit stammt. Der Grund, dass das Radio und Presse vorher die Platten bekommen, besteht ja darin, dass man auf einen Punkt möglichst viele Platten verkaufen muss, um so möglichst hoch in die Charts einzusteigen. Das wird immer noch gemacht, obwohl die Charts zunehmend irrelevant werden.
Als Fan bin ich schwer enerviert, wenn ich manche Sachen noch gar nicht haben kann. Es wird in Zukunft zwingend sein, dass der Radioday gleichzeitig auch das Veröffentlichungsdatum im Internet ist. Alles andere ist kompletter Wahnsinn.
ORF.at: Sie nutzen keine Tauschbörsen?
Renner: Ich benutze Tauschbörsen in derselben Situation wie Sie. Wenn ich genervt bin, dass ich bestimmte Sachen nicht bekommen kann.
Und ich benutze auch Tauschbörsen, um schlicht und einfach zu wissen, wie Konsumenten Tauschbörsen erleben. So kann ich sehen, was ich besser machen muss. Damit ich Sachen, die in Tauschbörsen unbequem sind oder die nerven, vielleicht anders bieten kann.
ORF.at: Die Lobbyverbände der Musikkonzerne wollen künftig Internet-Anbieter bei der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen verstärkt in die Pflicht nehmen. In Frankreich wird sogar damit gedroht, Nutzern bei wiederholten Urheberrechtsverletzungen den Internet-Anschluss zu kappen. Stimmen da die Relationen noch?
Renner: Ich kenne kein Strafrecht der Welt, dass Straftätern, die sich vorher über Telefonie zu der Straftat verabredet haben, den Zugang zu Telefonie verbieten würde. Ich halte das für Sarkozy-Populismus.
Wenn ein Internet-Anbieter einen Nutzer ausschließen muss, verwehrt er ihm den Zugang zu Kommunikation und Handel. Das ist ein solch tiefer Einschnitt in die Bürgerrechte, dass ich Zweifel habe, ob sich das in weniger autokratisch geführten Ländern durchsetzen lässt.
ORF.at: Mit Motor Entertainment betreiben Sie in Berlin ein Medienunternehmen, das aus Radiostationen, einem Musikverlag, einem Label, einer Booking-Agentur, einer Künstleragentur, einem Online-Medium und einem IPTV-Sender besteht. Muss man so breit aufgestellt sein, um heute im Musikgeschäft Geld zu verdienen?
Renner: Muss man nicht. Aber wir begreifen uns ja nicht als klassisches Medienunternehmen, sondern sind auch ein bisschen ein in die Jahre gekommenes "Jugend forscht". Wir wissen noch nicht, wie es wirklich geht, wir finden es jedoch sehr charmant, alle Kanäle zu nutzen, um herauszufinden, wie es gehen könnte.
Der Vorteil der Digitalisierung besteht darin, dass Sachen, die früher sehr teuer waren, wie etwa die Produktion von Radio oder TV, sich vergleichsweise günstig computeroptimiert herstellen lassen. Ergo tun wir es, um geschlossene Modelle anbieten zu können. Unsere ersten Erfahrungen zeigen uns, das wir auf einem guten Weg sind.
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(futurezone | Patrick Dax)