Biometric Chic

19.02.2008

US-Heimatschutz und EU-Innenminister machen Druck. In schneller Folge setzen sie neue biometrische Kontrollsysteme für Reisende durch. Obwohl sie mit diesen Mechanismen tief in die Intimsphäre der Bürger eingreifen, regt sich kaum Widerstand. Denn die Popkultur hat uns schon lange beigebracht, dass Biometrie cool ist.

Wenn ich wissen will, was jenseits der großen Einkommensschlucht so vorgeht, hole ich mir Tyler Brules Jetset-Magazin "Monocle" vom Bahnhofskiosk. Dort erfahre ich dann, was ich beim Kauf eines Privatjets zu beachten hätte und in welchen Kopenhagener Restaurants ich niemals speisen werde. Die Innenarchitektur dieser Parallelwelt für Consultants und Manager fasziniert mich wie ein Autounfall. Ich kann nichts dagegen tun, ich muss einfach hinstarren.

Im Gadget-Friedhof der Februar-Ausgabe von "Monocle" fand mein Feierabendblick zwischen den angepriesenen finnischen Underground-Wodkas und einer flauschigen Marcel-Proust-Ausgabe ein Gerät, das auf den ersten Blick gar nicht dorthin gehörte: einen Iris-Scanner von Panasonic. Das Magazin preist den japanischen Elektronikkonzern als Technologieführer auf dem Gebiet der biometrischen Identifikation und empfiehlt der geneigten Leserschaft, endlich die altmodisch-analogen Türschlösser zu ihren Wohnlandschaften durch ein biometrisches Zugangssystem zu ersetzen.

Das Premium-Feature

Umgehend erinnert sich der aufmerksame Leser an die Ankündigungen von EU-Justizkommissar Franco Frattini, der in ganz Europa ein Iris-Scan-System als Premium-Kontrollanlage für die "Monocle"-Klientel der Vielflieger einrichten möchte. Wer den Behörden seine intimsten Daten übergibt, darf schneller durch die Kontrollen, so sein Versprechen.

In den USA überlässt der Heimatschutz den Aufbau solcher Vielfliegerprogramme übrigens privaten Sicherheitsfirmen. Für 100 US-Dollar im Jahr darf man sich von Verified Identity Pass [flyclear.com] biometrisch erfassen lassen und wird dann an separaten Checkpoints durchgewunken. Solcherart verifizierte Bewegungsprofile von Top-Managern und Politikern sind sicher interessant und in gewissen Kreisen äußerst wertvoll.

Jedermann sein eigener Agent

Womit wir schon im Reich der Spionage angelangt wären, in dessen popkulturellen Spiegelungen die biometrische Kontrolle schon seit Jahrzehnten en vogue ist. Agentenfilme und Science-Fiction-Thriller waren es, die den Biometric Chic etablierten. Wer erinnert sich nicht an den James-Bond-Film "Never say Never Again" [1983], in dem sich ein von den üblichen Superschurken gefügig gemachter NATO-Pilot die Augen zurechtoperieren lässt, damit ihn die Scannersysteme einer Atombasis für den US-Präsidenten halten?

Oder an den stimmenaktivierten Aufzug, der Harrison Ford alias Rick Deckard in seine "Blade Runner"-Wohnung emporhebt? Auch Tom Cruise ließ sich in dem für die aktuelle Politik schon fast als stilbildend zu bezeichnenden Precrime-Spektakel "Minority Report" neue Augen einoperieren, um den allgegenwärtigen Iris-Scannern seiner Welt zu entgehen. Philipp K. Dick soll übrigens tatsächlich einmal als paranoid gegolten haben.

Die Unix-Gesellschaft

Seit Ali Baba "Sesam öffne dich!" murmelte und damit Zutritt zu gewaltigen Schätzen erlangte, halluziniert die Popkultur der Welt tausendundeinen Traum von dämonisch automatisierten biometrischen Zugangskontrollen - und deren kluger Umgehung. Hunderte Filme und Romane haben uns gelehrt, dass die richtigen Augen, die richtige Stimme, das richtige Gesicht jener goldene Schlüssel sein können, der Zutritt verschafft. Und man braucht nicht Jeremy Rifkin gelesen zu haben, um zu wissen, dass Zutritt alles ist, in einer Gesellschaft, die dabei ist, sich nach dem hierarchisch abgestuften Administrationssystem eines Unix-Rechners zu formen.

Zudem darf nicht vergessen werden, dass biometrische Identifikationssysteme auf ein weiteres kostbares Gut der postindustriellen Gesellschaften setzen. Sie verleihen dem erfassten Subjekt eine vermeintlich sichere Identität. Sie schaffen eine Mechanik, die ihm jederzeit sein Selbst bestätigen kann. Auf die Urfrage "Wer bin ich?" antwortet das System mühelos "Du!" Die derzeit herrschende Generation von Salonsituationisten hat in ihrer formativen Phase für diese Antwort noch indischen Gurus ziemlich viel Geld überweisen müssen. Da wundert es nicht, dass gerade sie dem Biometric Chic verfallen ist.

Der Mensch als Zeichen

Deshalb fühlen wir uns geschmeichelt, wenn die Superstar-Technologie der biometrischen Identifikation in unseren Alltag tritt. Wir dürfen uns am Flughafen ein paar Sekunden lang wie kleine James Bonds fühlen, statt wie lebendiges Frachtgut. Andererseits ist da noch diese Erinnerung an frühere Identifikationsmethoden, Tätowierungen, zum Beispiel, nur dass bei der biometrischen Identifikation nichts mehr in den Menschen eingeschrieben werden muss, sondern er selbst als Code verstanden wird – vielleicht jenes Detail, das über die Akzeptanz dieser Technik entscheidet. Doch wohin bringt dieser Code seinen Träger?

In seiner jüngst erschienenen Autobiographie "The Miracles of Life" hat der britische Schriftsteller James G. Ballard geschildert, wie sich im Zweiten Weltkrieg die bewachten und umzäunten Wohnviertel der Europäer in seiner Geburtsstadt Shanghai nach Einnahme der Stadt durch japanische Truppen ohne weitere Modifikationen in Gefangenenlager umfunktionieren ließen.

Drinnen und draußen

Ballard, der große Chronist des Wahnsinns der Mittelschichten, ließ es sich nicht nehmen, in diesem Zusammenhang auf Parallelen zu unseren heutigen "gated communities" hinzuweisen, die wiederum Vorbild für eine Sicherheitspolitik sein dürften, wie sie der "Forza Italia"-Mann Franco Frattini und sein US-Pendant Michael Chertoff betreiben.

Man kann also nie wissen, ob es am Ende besser sein wird, drinnen oder draußen zu sein. Und in bester kafkaesker Tradition wird man auch niemals Sicherheit darüber erlangen, ob hinter der biometrischen Kontrolle nun die Freiheit liegt oder das Gefängnis. Oder ob man letzteres nicht doch schon betreten hat, als man sich freiwillig erfassen ließ.

(futurezone | Günter Hack)