Genf: Kein Konsens über OOXML erzielt

berichte
01.03.2008

OOXML-Gegner erklären das Problemlösungstreffen der ISO/IEC in Genf für gescheitert, Microsoft bezeichnet es hingegen als erfolgreich. Als sicher kann gelten, dass die fragwürdigen Vorgehensweisen bei dem Treffen den Ruf der ISO beschädigt haben.

Nach einem ersten ausführlichen Bericht des US-Patentanwalts Andy Updegrove hat das von Microsoft geschaffene Office-Dateiformat Office Open XML aka Ecma 376 aka DIS 29500 eine wichtige Hürde nicht geschafft. Updegrove ist Unterstützer des Open-Source-Lagers und Befürworter des bereits ISO-standardisierten Dateiformats ODF.

1.100 Probleme für fünf Tage

Auf dem Problemlösungstreffen [Ballot Resolution Meeting; BRM] der ISO/IEC, das vom vergangenen Montag bis zum heutigen Freitag in Genf stattgefunden hat, hätten die über 100 Delegierten aus 32 Ländern lediglich 20 wichtige und 200 nebensächliche Tagesordnungspunkte der über 1.100 eingereichten Einsprüche gegen die Standardisierung des Formats bearbeiten können. Nur wenige der behandelten Fragen hätten das Gremium ohne Änderungen passiert.

Die Delegierten hätten dann beschlossen, eine Gesamtabstimmung auch über die nicht behandelten offenen Fragen durchzuführen, was Updegrove als ein Eingeständnis der Diskussionsleitung wertet, den Standard nicht mit der gewohnten Sorgfalt im Fast-Track-Verfahren verabschieden zu können. Die Delegationen der nationalen Standardisierungsorganisationen seien am Mittwoch dazu aufgefordert worden, die ausstehenden ca. 900 Punkte auf der abzuarbeitenden Liste entweder einzeln oder aber kollektiv zu akzeptieren, Ablehnung zu signalisieren oder sich der Stimme zu enthalten.

Unregelmäßigkeiten in der Abstimmung

Sitzungsleiter Alex Brown habe auch die Delegierten der Länder zur Abstimmung gebeten, die nur Beobachterstatus [Observing Members] im Ausschuss haben. Dies, so Updegrove, verstoße gegen die Satzung von ISO/IEC SC34, nach der nur die Stimmen der Vollmitglieder [Participating Members] zählen.

Nach Updegroves Informationen haben sich von den P-Members vier für OOXML und vier dagegen ausgesprochen. Zwei verweigerten die Wahl, 15 enthielten sich der Stimme.

Abstimmung ohne Diskussion

Von den O-Members stimmten zwei dafür, die restlichen Probleme ohne weitere Diskussion für erledigt zu erklären, weitere zwei verweigerten sich der Wahl und drei enthielten sich. Eine "Microsoft-freundliche" Zählweise, so Updegrove würde also so aussehen, dass sich nur vier Mitglieder gegen OOXML ausgesprochen hätten. Alle anderen hätten in einem Aufwasch 98,4 Prozent der Probleme als erledigt erklärt.

Tatsächlich, so Updegrove, seien aber nur 20 der ausstehenden wichtigen Fragen zu OOXML tatsächlich diskutiert worden. Demnach habe sich erwiesen, dass OOXML nicht im "Fast Track"-Verfahren standardisiert werden könne.

Microsoft: BRM ist voller Erfolg

Der Microsoft-XML-Experte Jason Matusow sieht das BRM naturgemäß völlig anders als sein Antagonist Andy Updegrove. In einem ersten Blogeintrag vom Freitag bezeichnet Matusow das Treffen als Erfolg, Sitzungsleiter Alex Brown habe ein "sehr erfolgreiches Meeting" geleitet.

Generell geht Matusow nicht so stark ins Detail wie Updegrove. Matusow zufolge hätten sich die anwesenden Experten darum bemüht, einen Konsens über den Standardisierungsprozess und die Lösung der ausstehenden technischen Fragen zu finden. Die Delegierten hätten die "überwältigende Mehrheit" der Vorschläge akzeptiert. Es habe keine Überraschungen oder neue Vorschläge gegeben.

Am Ende, so Matusow, sollten die Kunden die Wahl haben, welches Dateiformat ihren Ansprüchen am besten gerecht werde. Office Open XML sei im Standardisierungsprozess gereift und nun eine "attraktive Alternative".

ISO-Prozess "Bullshit"

Sun-Mitarbeiter und ODF-Befürworter Tim Bray, der für die kanadische Standardisierungsorganisation am BRM teilgenommen hat, bezeichnet in seinem Weblog-Eintrag das Treffen als "Desaster", den ganzen Prozess als "vollkommenen und totalen Bullshit". Es sei nicht möglich gewesen, alle Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge an OOXML in derart kurzer Zeit durchzuarbeiten. Der Vorsitzende, Alex Brown, sei für ihn "ein guter Kerl in einer miesen Situation" gewesen.

OOXML sei nun etwas besser als jene Version, die im September 2007 von vielen nationalen Standardisierungsorganisationen abgelehnt worden sei, allerdings sei das Format "immer noch nicht besonders gut", da die Zeit gefehlt habe, die wichtigsten Probleme zu lösen.

Kein gutes Haar lässt Bray hingegen an der ISO und der ECMA, die Microsofts Standard in den Prozess eingebracht hatte. Der ganze Fast-Track-Prozess sei "schrecklich missbraucht" worden. Bray glaubt nicht, dass Microsoft im Lauf der nächsten 30 Tage auf Grundlage des BRM eine neue Version des immerhin 6.000 Seiten umfassenden Standardisierungsdokuments vorlegen könne.

Auf nach Tasmanien

Die OOXML-Befürworter wie Doug Mahugh und Jason Matusow und Kritiker wie Andy Updegrove und die Autoren des Open-Source-Blogs Groklaw werden sich in den kommenden Wochen sicherlich einen Schlagabtausch um die Interpretation der Vorfälle auf dem BRM liefern.

Die Standardisierungsorganisationen haben nun 30 Tage Zeit, um die von ihnen vorgebrachten Probleme mit OOXML als erledigt zu erklären oder das Format in eine längere Standardisierungsrunde zu schicken.

Tim Bray erwartet, wohl nicht zu unrecht, dass am Montag die Versuche politischer Einflussnahme auf die nationalen Standardisierungsgremien beginnen werden und gibt diesen einen Tipp mit auf den Weg: "Schlaue nationale Standardisierer sollten ihre Entscheidung am 3. März zwischen 8:30 und 9:00 Uhr fällen und sich anschließend auf lange Urlaubsreisen nach Tasmanien oder Nunavut begeben."