Bild: Armin Medosch

Republik der Hacker

23.03.2008

Mit klugen Konzepten aus der Hackerszene verwenden brasilianische Politiker Freie Software und Creative-Commons-Lizenzen, um Brücken über die digitale Kluft in der Gesellschaft ihres Landes zu schlagen. Treibende Kraft hinter diesen Projekten ist Kulturminister und Musikerlegende Gilberto Gil.

Wohl in keinem anderen Land der Welt wird Free Libre Open Source Software, kurz FLOSS, auf ähnliche Art und Weise propagiert wie in Brasilien. Dort ist FLOSS Chefsache des Kulturministers Gilberto Gil.

Gilberto Gil auf einer Veranstaltung im Jänner 2008 zum Thema "Pontos de Cultura" in Belo Horizonte.

Sonntag Nacht in Radio Ö1

Am Sonntag, den 23. März 2008, hören Sie um 22:30 Uhr im Ö1-Netzkulturmagazin "matrix" den Beitrag von Armin Medosch über freie Softwarekultur in Brasilien.

Aber es hatte wohl auch kaum ein Land je so einen interessanten Kulturminister wie derzeit Brasilien. Gilberto Gil trägt seine Dreadlocks ebenso gelassen wie seine schwarzen Armani-Jeans, und wurde von der englischen linksliberalen Tageszeitung The Guardian auch prompt zum Minister of Cool ausgerufen.

Bossa Nova und Exil

In Salvador de Bahia geboren, identifizierte er sich schon als kleiner Bub mit dem Jazz Samba, auch bekannt als Bossa Nova, und insbesondere mit Joao Gilberto, dessen Name er sich als Künstlername verlieh.

Als Musiker weltbekannt wurde er allerdings eher mit dem robust-rockigeren Stil des Tropicalismo Ende der 1960er Jahre. Tropicalismo vermischte die afrobrasilianischen Wurzeln mit "Negritude", der brasilianischen Variante der Black-Consciousness-Bewegung.

Solche in Popmusik verpackte politische Botschaften mochte das damals regierende Militärregime nicht tolerieren und verhaftete ihn. "Gil", wie ihn Fans und Freunde nennen, ging ins Exil nach London, was ihn noch mehr radikalisierte und woraufhin er das Konzeptalbum Espresso 222 veröffentlichte, das ihn weltbekannt machte.

Kampf um die Rechte

Seit 2002 ist Gilberto Gil in der Regierung Lula da Silvas als Kulturminister tätig. Lula, wie ihn Freunde und Gegner nennen, ist Brasiliens erster Präsident aus der Arbeiterklasse.

In Sachen digitaler Kultur lässt sich Gil von von Claudio Prado beraten, einem alten Weggefährten aus den radikalen politischen Bewegungen der 1960er. Prado wurde von Gil ins Kulturministerium berufen, wo er für die digitale Kultur zuständig ist.

Prado riet Gil, sich ernsthaft der Freien Software zuzuwenden und sich mit Creative-Commons-Lizenzen auseinanderzusetzen. Als Gils Plattenfirma ihm untersagte, seine eigenen Songs im Internet anzubieten, nahm er diesen Fall zum Anlass, eine Ausstiegsmöglichkeit zu suchen und nahm viele Songs in Live-Versionen neu auf, so dass die Rechte daran nun ihm allein gehören.

Im Rahmen der jetzt gerade laufenden Banda Larga Tour können NutzerInnen die Songs herunterladen, remixen und zu einem Wettbewerb einschicken.

Hotspots der Kultur

Im Rahmen seiner Tätigkeit als Kulturminister rief Gil das Projekt Pontos de Cultura ins Leben, frei übersetzbar als Hotspots der Kultur. Kleine Kulturinitiativen und Nichtregierungsorganisationen werden mit Computern und Multimediaausrüstungen ausgestattet und erhalten darüber hinaus Geld und Training.

Dieses Konzept wurde von Gils Berater Claudio Prado gemeinsam mit politisch aktiven Hackerkollektiven in Brasilien entwickelt. Die Regierung setzt ethischen Prinzipien, die in der Kultur der offenen Hacklabs wirksam sind, in einem großangelegten Programm zur digitalen Inklusion landesweit umgesetzt.

Hilfe zur Selbsthilfe

Über 600 solcher Kulturhotspots, die ausschließlich mit FLOSS arbeiten, soll es bereits geben. Einzigartig ist dabei nicht, dass sich die Regierung für FLOSS engagiert - das tun inzwischen auch andere - sondern dass FLOSS als Kultur und nicht nur als Technik aufgefasst wird.

Unter diesem Ansatz versucht der Minister, eine tiefgreifende Transformation der brasilianischen Kultur und Gesellschaft in die Wege zu leiten, die den Menschen Hilfe zur Selbsthilfe gibt. Dieser Ansatz wird inzwischen auch von anderen Zweigen der brasilianischen Regierung wie etwa dem Kommunikationsministerium aufgegriffen.

(matrix | Armin Medosch)