Selbstverwaltung mit Einschränkungen
Am Sonntag haben die Wiener Netzkultur-Communitys im Rahmen des Fördersystems NetzNetz über die Vergabe von Fördergeldern abgestimmt. Die Mitbestimmung der Szene wurde zuletzt jedoch deutlich eingeschränkt.
Das Wiener WerkzeugH war am Sonntagnachmittag gut gefüllt. Rund 230 Wahlberechtigte stimmten über die Vergabe von 90.000 Euro an Fördergeldern der Stadt Wien im Bereich digitale Kultur ab. In "Lightning Talks" stellten zuvor rund 25 einreichende Personen und Gruppen ihre Projekte vor. Die Community darf heuer, nach einer Änderung des Vergabemodus, jedoch nur noch mit Einschränkungen bei der Verteilung der jährlich 500.000 Euro Netzkulturförderung in Wien mitreden.
Einrichtungsförderungen, die bei der Community-Vergabewahlen 2007 noch zur Abstimmung standen, vergibt die für die Förderung zuständige Kulturabteilung der Stadt Wien [MA 7] nun im Alleingang. Fördergelder für Projekte aus dem Bereich digitale Kunst, die insgesamt mit 100.000 Euro dotiert sind, und die Ausrichtung des jährlichen Festivals, der "Annual Convention" [100.000 Euro], werden von einer Jury vergeben, bei der die Community zwei von vier stimmberechtigten Mitglieder nominiert hat.
Lediglich bei der Vergabe des mit 180.000 Euro dotierten Fördertopfs für Projekte aus dem Bereich der digitalen Kultur darf die NetzNetz-Community direkt abstimmen. Empfehlungen der Communitys für die erste Tranche von 90.000 Euro wurden am Sonntag ermittelt.
Partizipation und Selbstverwaltung
Das Fördersystem NetzNetz war 2005 als partizipatives Modell angetreten und hatte sich die Selbstorganisation der Wiener Netzkultur-Communitys auf die Fahnen geschrieben. Mit der Einführung des Modells wurde die Netzkulturförderung in Wien von 290.000 Euro auf 500.000 Euro jährlich erhöht.
Die Einführung des Modells hatte auch zur Folge, dass die international anerkannte Wiener Netzkulturinstitution Public Netbase an dem Wettlauf um die nach der Community-Abstimmung vergebenen Fördergelder nicht teilnehmen wollte und 2006 nach dem Entzug der Förderungen durch die Stadt Wien ihren Betrieb weitgehend einstellte.
Seit dem Start von NetzNetz im Jahr 2006 bis Ende 2007 wurden von der Stadt Wien insgesamt 865.000 Euro an Einrichtungen und Projekte nach Empfehlungen durch das Community-Vergabesystem verteilt.
Förderungen für 23 Projekte
Empfehlungen für Förderungen wurden am Sonntag unter anderem für die von monochrom heuer zum zweiten Mal veranstaltete Konferenz Arse Elektronika [13.000 Euro], das Video- und Mediahacking-Projekt Slum-TV [10.000 Euro] des Vereins neocom, die von der quintessenz veranstalteten Big Brother Awards [10.000 Euro] und ein von [d]vision - Verein für Medientheorie und digitale Kultur im kommenden Juli geplantes Demoscene-Festival [8.600 Euro] ausgesprochen.
Die ausgewählten Projekte müssen nun binnen vier Wochen auch einen Förderantrag bei der Stadt Wien stellen.
Wahlberechtigte und Trustees
Seit dem Start des ursprünglich als Software-basiertes Community-Game konzipierten Vergabemodus wurde das Modell mehrfach modifiziert. Am Sonntag stimmten zunächst die von einem Validierungsgremium zugelassenen Wahlberechtigten über die eingereichten Projekte ab.
Jedem Validierten standen 100 Punkte zur Verfügung, die auf maximal zehn Projekte verteilt werden konnten. Die Wahlberechtigten wählten am Sonntag auch Trustees [Vertrauenspersonen], die entsprechend den ihnen zugeteilten Punkten dafür sorgen sollten, dass einzelne Projekte nicht über- oder unterdotiert wurden. Die Ergebnisse der Trustee-Sitzung, gleichsam das Endergebnis der Wahl, werden nun an die MA 7 weitergereicht.
"Im Einvernehmen mit der Community"
Während Kritiker angesichts der Rücknahme der Community-Partizipation durch die Stadt Wien einmal mehr von einem Scheitern des selbstverwalteten Fördersystems sprechen, will man seitens der MA 7 davon nichts wissen.
An der Selbstverwaltung habe sich nichts geändert, sagt Sylvia Fassl-Vogler, Referatsleiterin für Film, Kino und Neue Medien bei der MA 7. Von einem Scheitern des Modells könne keine Rede sein: "Der Vergabemodus wurde nach langen und intensiven Gesprächen im Einvernehmen mit der Community geändert."
Jurywahl statt Community-Abstimmung
Für Andreas Leo Findeisen, Dozent für Medientheorie an der Akademie der bildenden Künste und Mitglied des NetzNetz-Koordinationsteams, wurde der Handlungsspielraum der Community zwar eingeschränkt, ein Hybrid aus Mitbestimmung und Juryvergabe sei jedoch bei vier Fünftel der gesamten Fördersumme weiterhin gegeben, meinte Findeisen.
Der Vergabeprozess bei den Einrichtungsförderungen wurde zuletzt strittig beendet, sagte Findeisen. Die Stadtverwaltung habe daraufhin den Budgetteil der Einrichtungen wieder in die eigene Regie übernommen.
Die Änderungen im Vergabemodus bei der digitalen Kultur führt Findeisen auf Beschwerden "einer Handvoll Netzkünstler" zurück, die sich bei der Stadt über die Vergabepraxis der Communitys beklagt hatten. Einige Medienkünstler hätten sich mit NetzNetz nicht wirklich anfreunden können, sagte Fassl-Vogler: "Wir wollten für diesen Teil der Szene etwas anderes finden." Herausgekommen ist schließlich die Vergabe über eine Jury, deren Mitglieder jeweils zur Hälfte von der Stadt Wien und den NetzNetz-Communitys bestimmt wurden.
Die Jury besteht aus den von NetzNetz vorgeschlagenen Kandidaten Annette Schindler, die das digitale Kunst- und Kulturzentrum plugin in Basel leitet, und Florian Cramer, dem Leiter des Piet-Zwart-Instituts für Neue Medien in Rotterdam. Von der Stadt Wien wurden der Industriedesigner Gerin Trautenberger und die an der Manchester Metropolitan University lehrende Medienkünstlerin Andrea Zapp in die Jury, die am 5. und 6. Mai erstmals tagen soll, entsandt.
"Keine Community, sondern ein Grabenkampf"
Kritik an dem Fördersystem gibt es seit den Anfängen von NetzNetz im Jahr 2005. Verteilungskämpfe würden an die Community ausgelagert, die Stadt stehle sich aus der politischen Verantwortung, kritisierte etwa die IG Kultur.
NetzNetz sei "keine Community, sondern ein Grabenkampf", meinte der Medienkünstler Emanuel Andel am Sonntag. "Irgendjemand muss die Entscheidung fällen, wer das Geld bekommt. Wenn die Leute, die das Geld bekommen, selbst darüber abstimmen, ist es klar, dass die sich zerfleischen werden", so Andel. "Das liegt am System."
NetzNetz sei von Beginn an schlecht konzipiert gewesen, sagte der Medienkünstler, Autor und Kurator Armin Medosch, der sich eine Zeit lang an den Diskussionen über das Fördermodell beteiligte: "Der Fokus war darauf ausgerichtet, wie man ein Community-Game, über das die Fördergelder verteilt werden, gestalten soll. Was mit den Förderungen erreicht werden sollte, wurde hingegen ebenso wenig diskutiert wie die Frage, wer eigentlich mitmachen darf und wie der Erfolg oder Misserfolg einer Förderung evaluiert werden soll."
"Bandbus"-Effekte
In Diskussionen auf der NetzNetz-Mailingliste wurde auch davor gewarnt, dass durch das Modell ein "Bandbus" entstehen könnte: Wer die meisten Freunde hat, wird für sich das meiste herausholen. "Die Notbremse wurde jedoch nicht gezogen", meint Medosch. "Das Fördermodell hat sich zu einem Selbstbedienungsladen für einen kleinen Ausschnitt der Szene entwickelt."
"An Ergebnissen messen"
Findeisen teilt diese Meinung nicht und verweist auf einschlägiges Zahlenmaterial. Im Jahr 2006 erhielten 31 Förderwerber erstmals eine Förderung, rechnet Findeisen vor.
Auch zur Vergabewahl für Projekte aus dem Bereich der digitalen Kultur am Sonntag seien acht von 19 Einreichungen von erstmalig Förderansuchenden gestellt worden. Zahlen für 2007 liegen noch nicht vor.
Bei NetzNetz handle es sich um einen Modellversuch, der an seinen Ergebnissen zu messen sei, so Findeisen. Diese ließen sich mittlerweile durchaus belegen. Findeisen nennt unter anderem Einrichtungen wie den Wiener Hacker-Space Metalab, der sich zum "internationalen Vorzeigeprojekt" entwickelt habe, und das ebenfalls auf eine NetzNetz-Empfehlung hin geförderte Festival zur Visualisierung elektronischer Musik, sound:frame.
"Verfehlte Förderpolitik"
"Wien ist Ende der 1990er Jahre im Bereich digitale Kultur nicht zuletzt wegen der Aktivitäten der Public Netbase im internationalen Vergleich gut dagestanden", sagt Medosch. Das Potenzial sei auch heute noch da, werde jedoch aufgrund der verfehlten Förderpolitik nicht realisiert: "In Wien gibt es derzeit keine strategisch unterstützte Kulturpolitik für digitale Kultur."
Es fehle nicht nur an Events von internationalem Format, sondern auch an einem Treffpunkt, wo Projekte vorgestellt werden und eine Auseinandersetzung stattfinden könne. Positiv sei lediglich zu vermerken, dass Netzkulturinitiativen wie Metalab und Funkfeuer, die definitiv keine Kunstprojekte seien, über NetzNetz erstmals Geld bekommen konnten.
"Zusammenarbeit zwischen Projektwerbern"
NetzNetz habe dazu geführt, dass viele Projekte erstmals gefördert wurden und die Szene angekurbelt wurde. Das Fördersystem habe auch zur Zusammenarbeit der verschiedenen Projektwerber geführt, meinte Simon B. Häfele von sonance.artistic.network.
Häfele vermisst jedoch einen Mechanismus im Fördersystem, der es Projekten, die eine gewisse Größe erreicht haben, ermöglicht, weitergeführt zu werden: "Das ist nicht angedacht."
Die vermeintliche Selbstverwaltung der Communitys ist für ihn ohnehin seit längerem Makulatur: Die Stadt Wien habe wiederholt in die Community-Entscheidungen eingegriffen. "Das System war eigentlich nie selbstverwaltet."
Die Vergabewahl sei mit einer Juryempfehlung an das Kulturressort zu vergleichen, sagte Fassl-Vogler: Die Letzverantwortung über die zu fördernden Projekte lag immer bei der MA 7. Seitens der MA 7 bemühe man sich jedoch, die Entscheidungen der Community zu respektieren.
Und wie geht es mit NetzNetz weiter? Für Fassl-Vogler soll sich an der Zusammenarbeit zwischen Stadt und Szene vorerst nichts ändern: "Der Fahrplan wird gemeinsam abgestimmt."
(futurezone | Patrick Dax)