Internet of Things - Die erweiterte Realität
Auch wenn das Konzept des vernetzten Kühlschranks aus den 1990er Jahren unter älteren Netzbewohnern mittlerweile ein alter Witz ist, schreitet die Informatisierung unserer Alltagsgegenstände unaufhaltsam voran. Wenn Blumentöpfe schon mit Facebook Kontakt aufnehmen, kann auch der smarte Kühlschrank nicht mehr weit sein.
Kakaobohnen können im Prinzip sehr lange gelagert werden, doch wenn größere Mengen in einem Lagerhaus gebunkert werden, besteht die Gefahr, dass die Bohnen zu faulen und zu brennen beginnen. Um das zu verhindern, wird in Kakaolagern regelmäßig manuell die Temperatur gemessen. Das ist arbeitsintensiv und fehleranfällig.
Die holländische Firma Ambient entwickelte deshalb für einen Lagerhausbetreiber ein drahtloses Sensornetzwerk, bei dem Stangen mit integrierten Temperaturfühlern, die in den Bohnenhaufen stecken, alle fünf Minuten die Temperatur messen und die Daten über ein Mesh-Netzwerk an den Betreiber schicken. Wenn die Temperatur steigt, wird gewarnt.
Allgegenwärtige Rechner
Das Kakao-Messsystem ist ein Vorbote zukünftiger Sensor- und Mini-Computernetzwerke, die auch als "Internet der Dinge" bezeichnet werden. Mithilfe von Microcontrollern, RFIDs, Kurzstreckenfunk, Echtzeitlokalisation und Sensoren soll die physische Welt in Zukunft eng an den Cyberspace angeknüpft werden.
Die Idee eines Internets der Dinge ist fast 20 Jahre alt. Mark Weiser, Wissenschaftler am Forschungszentrum Xerox in Palo Alto in Kalifornien, schrieb im Jahr 1991 in seinem Aufsatz "The Computer for the 21st Century", dass die tiefgreifendsten Technologien jene seien, die aus dem Blickfeld verschwinden, weil sie sich in das Gewebe des Alltags hineinweben würden. In diesem Aufsatz verwendete Mark Weiser erstmals den Begriff "Ubiquitous Computing" – also das allgegenwärtige Rechnen.
Computer würden im 21. Jahrhundert nicht mehr die grauen Kästen sein, die auf unseren Schreibtischen stehen, sondern im Hintergrund verschwinden, zu einer ruhigen Technologie werden. Mark Weiser arbeitete bis zu seinem Tod im Jahr 1999 gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen bei Xerox PARC an dieser Idee, die von zahlreichen anderen Forschern aufgegriffen und teilweise unter anderen Namen und etwas anderen Schwerpunkten weiterentwickelt wurde. Neil Gershenfeld vom MIT Media Lab in Boston sprach beispielsweise von "Things that Think", gebräuchlich wurden auch die Begriffe "Ambient Intelligence", "Pervasive Computing" oder "Internet of Things".
Versteckte Helferlein
Heute sind im Haushalt, im Büro und im Auto bereits in zahlreichen Gegenständen Microcontroller "versteckt", sie sind großteils bloß noch nicht miteinander oder dem Internet verbunden. Ein Navigationsgerät im Auto, das sich von selbst die neuesten Daten über Baustellen und Staus holt, zeigt aber schon, wohin es gehen könnte.
Am Institut für Pervasive Computing der ETH Zürich zum Beispiel werden auf spielerische Weise mögliche Anwendungen erdacht und entwickelt. Realisiert wurde zum Beispiel schon ein Prototyp eines Schlüssels, der sich, wenn er verloren wurde, beim Eigentümer melden kann. Der smarte Schlüsselanhänger nützt dafür die Mobiltelefone vorbeigehender Menschen, um seine Position bekanntgeben zu können.
Kommunikative Blumentöpfe
Inaki Vazquez und seine Kolleginnen und Kollegen von der Universität Deust in Bilbao arbeiten an "Social Devices", also Gegenständen, die nicht nur miteinander und dem Internet vernetzt sind, sondern auch eine Art soziales Verhalten entwickeln. Sie haben zum Beispiel einen Blumentopf gebaut, der mit Facebook verbunden ist und die Aktivitäten eines Freunde-Netzwerks durch verschiedene Lichter anzeigen kann.
Der Vorteil solcher Dinge sei, dass man keinen PC benötige, um das Internet zu nützen, sagt Vazquez. Statt vor einem Spaziergang die Wettervorhersage im Internet abzurufen, um festzustellen, ob man den Regenschirm mitnehmen sollte, könnte man ja gleich den Regenschirm mit dem Wetterdienst verbinden, meint er.
Software für smarte Geräte
Jan Rellermeyer und seine Kollegen vom Institut für Pervasive Computing der ETH Zürich wollen erreichen, dass sich technikaffine Nutzer derartige Anwendungen selberschreiben können. Sie arbeiten deshalb an einer Software-Struktur für das Internet der Dinge und nützen dafür das OSGi-Modell. OSGi biete die Möglichkeit, mit einem Klick Anwendungen auf Geräte zu bringen und es sei für jeden, der Java könne, sehr leicht, neue Anwendungen zu schreiben, meint Jan Rellermeyer. Ken Gilmer von Bug Labs Inc. ist Mitglied des Teams und bringt mit BUG auch gleich die passenden Hardware-Module mit ein.
Für die Verwirklichung des Internets der Dinge sind aber noch eine Reihe von Fragen zu klären und eine Menge Probleme zu lösen. Dazu zählen die Bereiche Protokolle, Standards und Plattformen, Bandbreiten, Energieeffizient, Preis, Sicherheit, Privatsphäre und Datenschutz – und nicht zuletzt, ob die potenziellen Anwender die "intelligenten" Dinge überhaupt haben wollen, und ob sie sie einfach benutzen können.
Heute in Radio Ö1
Beim "Internet der Dinge" sollen zahlreiche Objekte miteinander vernetzt werden und auf Informationen aus dem Internet zugreifen können. Was noch zu tun ist, um diese Vision zu realisieren, wurde von 26. bis 28. März bei der ersten internationalen Konferenz "Internet of Things" in Zürich diskutiert. Matrix berichtet am Sonntag um 22.30 Uhr auf Radio Ö1.
(matrix | Sonja Bettel)