Der gameologische Kongress, Tag 2

06.04.2008

Vier Tage wird auf der Munich Gaming über Spiele diskutiert und referiert. Der Sonntag stand im Zeichen des E-Sports. Anatol Locker beklagt das Fehlen von E-Sport-Müttern und lässt den Tag mit "Team Fortress 2" ausklingen.

Kennt jemand noch die gute alte Eislaufmutter? Diese spindeldürren Blondys mit den stramm gebundenen Pferdeschwänzen? Die durchs Eisstadion Kommandos schreien, um den verschreckten Nachwuchs auf sportliche Höchstleistung zu drillen?

Warum gibt es eigentlich keine E-Sport-Mütter? Bei den Preisgeldern, die in der Szene gezahlt werden, wäre es durchaus ein Anreiz, die Counter-Strike-spielenden Racker zur Aufbesserung der Familienkasse einzuspannen. Motto: "Wie? Du hast heute noch keine Headshots trainiert? Jetzt aber los!"

"Das ist Training und kein Spaß"

Dass Training auch im E-Sport kein Vergnügen ist, davon kann Niklas Timmermann alias sliver ein Lied singen. "Wenn ich mich auf Meisterschaften vorbereite, trainiere ich zwei Stunden am Stück einen einzigen Streckenabschnitt. Das ist Training und kein Spaß", erklärt er.

Seit 2003 ist Timmermann professioneller eSportler. 2004 gewann er in San Francisco die "Grand Finals" und kehrte mit 20.000 Dollar Preisgeld ins niedersächsische Städtchen Bramsche zurück. Im März fuhr der Zwanzigjährige auf den World Cyber Games an die Spitze der "Need for Speed Pro Street"-Cracks und wurde Europameister.

Von "echten Sportarten" nicht weit entfernt

Überhaupt: ESport hat sich von sportlichen Wettstreit der Nerds zu einer ... naja ... ernstzunehmenden Sportart gemausert - zumindest so ernst zu nehmen wie Übertragungen von Eislauf-Veranstaltungen.

Die eSportbranche generiert Stars, die außerhalb der Szene kaum jemand kennt ["FIFA-Zwillinge" anyone?], besitzt ein weltweit agierendes Ligasystem [ESL, WCG], Sponsoren [Intel, Fujitsu/Siemens, Volkswagen, Adidas], regelmäßige Sportberichterstattung in Fernsehen und Internet [ESL TV und Giga], Weltmeisterschaften und Preisgelder, bei denen so mancher 14-Jährige überlegt, ob er nicht die Schule schmeißt und stattdessen Profizocker wird. So weit ist das von anderen, "echten" Sportarten nicht entfernt.

Dickschiff der europäischen Szene ist die Electronic Sports League [ESL] mit 800.000 Mitgliedern, 1.800 Ligen und 165.000 Matches pro Monat.

Lukrative Preisgelder

Ibrahim Mazari, Sprecher der ESL, findet das Fehlen von Stars nicht schlimm: "Ich wage zu bezweifeln, dass viele Menschen außer Dirk Nowitzki andere Basketballspieler kennen. Basketball hatte zehn, Fußball etwa hundert Jahre Zeit, um populär zu werden. Der eSport ist eine junge Sportart, da werden auch die Athleten erst nach und nach bekannt."

Um in der Szene bekanntzuwerden, muss man verdammt gut spielen können. Die ESL Pro Series gilt als die Königsklasse der Turnierspiele, nur ein Prozent der Spieler schafft den Sprung in die Professionalität. Dafür kann man sich sicher sein, dass man genau beäugt wird: Knapp 15 Terabyte düsen bei den Finalspielen über die Leitungen, knapp 80.000 Zuschauer halten den Atem an, wenn's in die letzte Runde geht. Auch die Preisgelder sind lukrativ. In der Pro Series wurden bisher 1,3 Millionen Euro ausgeschüttet. Höchster Einzelgewinn: 50.000 Euro.

Zeit also, sich eine Eislaufmutter zu suchen. Eine, die einen von draußen reinruft: "Komm endlich rein und setz dich an den Computer!" Dann darf man wenigstens täglich zocken. Und muss sich nicht schämen, wenn man aus der Kurve fliegt. Schließlich trainiert man ja.

Am Sonntagabend spielen wir: "Team Fortress 2". Im "Muttiplayer"-Modus.

(Anatol Locker)