Bild: Anatol Locker

Vom Niedergang der Hardcore-Gamer

07.04.2008

Während die Umsätze mit klassischen PC-Shooter-Games stagnieren, macht die Spieleindustrie gewaltige Umsätze mit "Casual Games" wie "The Sims" und "Animal Crossing". Die Entwicklungsintelligenz der Branche fließt derzeit in Gadgets wie eine Bluetooth-Waage für Nintendos Wii.

Die beste Methode, Jugendliche am Betreten einer Spieleveranstaltung zu hindern, besteht darin, eine Kasse aufzustellen und 125 Euro Eintritt zu verlangen. So geschehen auf der Munich Gaming, die über Nacht von einer Publikumsveranstaltung zum Fachkongress mutiert ist. Die Kinder müssen ja ohnehin wieder zur Schule.

Also: Schluss mit lustig! Jetzt wird wieder Geld verdient! Statt auf der profanen Praterinsel trifft man sich nun im Matthäser, einem schickeren Multiplex-Kino mitten in München. So marschierten hauptsächlich Personen in gut sitzenden Anzügen ein, die auf ihren Visitenkarten drei Buchstaben vor ihrem Namen tragen, vornehmlich CEO, COO, CFO. Menschen mit Geld also, die gerne Geld machen.

Auf der Munich Gaming diskutieren Experten und Politiker über Spiele. Anatol Locker ist für futurezone.ORF.at dabei.

Starentwickler Peter Molyneux

==Peter Molyneux vs. Günter Beckstein==

Wer die Branche kennt, dem waren die Referenten vertraut. Zum Beispiel Peter Molyneux, Dauerreisender in Sachen "Fable 2" und eloquenter Vorzeigeentwickler der Branche. Nintendo-Deutschland-Boss Bernd Fakesch. Und Electronic-Arts-Sprecher Martin Lober. UBI-Soft-Marketing Director Bernd Schüler. Director Home Entertainment Microsoft Stephan Brechtmann. Die üblichen Verdächtigen eben.

Ein Name stach aus der Liste heraus: Bayerns Ministerpräsident Günter Beckstein [CSU]. Der hatte sich 2005 als bayerischer Innenminister bei der Gaming-Gemeinde durch die markig geführte "Killerspiel"-Diskussion mächtig unbeliebt gemacht.

Inquisitionsbegriff "Killerspiel"

Uninformierte TV-Journalisten traten das Thema so lange breit, bis sich der Begriff "Killerspiele" als Inquisitionsvokabel gegen Spieler etabliert hatte. Wobei man erwähnen muss, dass gestern abend auf der Munich Gaming erstaunlich differenziert über Shooter, eSport, Gewalt in Spielen und den amerikanischen Einfluss auf europäische Gameskultur diskutiert wurde.

Eine halbe Stunde nahm sich der bayrische Ministerpräsident Zeit, um in der Eröffnungsrede zu betonen, dass die Spielebranche herzlich in Bayern willkommen sei - solange sie keine brutalen Inhalte herstelle - und dass man über Jugendschutz weiter reden müsse. Dann war man in der Gamesbranche wieder unter sich.

Klischee gegen Klischee

Großes Thema am Montag waren die "Casual Games". Der geneigte futurezone.ORF.at-Leser möge die Simplifizierung verzeihen, aber nehmen wir einen fiktiven PC-Zocker mit dem Handle "Bang". Klassischer Hardcore-Spieler, kennt jedes Spiel seit 1982, liest Magazine und Websites, kann aus dem Stegreif zwölf Stunden kompetent über sein Hobby referieren.

Auf der anderen Seite haben wir Bangs jüngere Schwester, die sich im Habbo-Hotel als "Kuschel" einloggt. Vor drei Jahren spielte sie Pferdespiele von dtp Publishing, jetzt, wie alle Mädchen, "Die Sims 2". Gerne belegt sie den Familien-DS mit "Dr. Kawashimas Gehirnjogging" und freut sich auf die Bluetooth-Waage "Wii Fit", auf die Bang keine Zehe setzen würde. "Kuschel" gibt es auch in einer männlichen Variante. In dieser Inkarnation findet ihn Bang genauso unerträglich.

"Kuschel" rettet Nintendo

Wie am Montag zu vernehmen war, ist "Kuschel" in der Spielebranche gerade en vogue. Denn "Kuschel" beschert der Branche Traumumsätze. Nintendo, eine Firma, über deren Ableben noch vor zwei Jahren ernsthaft spekuliert wurde, hat sich nach dem GameCube-Flop an die Spitze der Konsolenspiele gekuschelt.

Dieser Trend gereicht Bang und seinen Kumpels zum Nachteil. Denn Computerspielfirmen gehen, das war auf der Munich Gaming klar zu erkennen, den Weg des Geldes. Und das ist momentan bei "Kuschel" zu holen. In einer Zeit, in der ein gehypter PC-Shooter wie "Prey" zum Start 10.000 Stück verkauft, werden kaum weitere PC-Spiele für Bang entwickelt. Zum Vergleich: Das kaum beworbene Casual Game "Animal Crossing: Wild World" verkaufte 246.000 Exemplare aus dem Stand. Damit ist Geld zu machen.

"WoW" finanziert Casual Games

Zweiter Faktor, der Bang und seine Hardcore-Kumpels zur gefährdeten Spezies werden lässt: Bang verbringt seit drei Jahren seine Freizeit in "World of Warcraft", also dem MMORPG, das alle anderen PC-Spiele überflüssig macht. Quasi-Monopolist Activision Blizzard freut sich über zehn Millionen Spieler, die monatlich 13 Euro abdrücken. Bangs Geld füllt also die Kriegskasse für weitere Neuentwicklungen. Das werden Casual Games sein. Nichts für ungut, Bang!

Heute Abend spielen wir: "Crysis" - weil es vielleicht das letzte gute PC-Spiel ist.

(Anatol Locker)