Filme machen mit Überwachungskameras
Für ihren Film "Faceless" hat die in London lebende österreichische Medienkünstlerin Manu Luksch ausschließlich Aufnahmen von Überwachungskameras verwendet. ORF.at sprach mit Luksch über das Filmemachen mit CCTV-Kameras, Videoüberwachung und Datenschutz.
ORF.at: In Großbritannien ist CCTV [Closed Circuit Television] beinahe allgegenwärtig. Es gibt es mehr als vier Millionen Überwachungskameras. Hat Sie diese Dichte an Geräten auf die Idee gebracht, Überwachungsbilder für Ihre filmische Arbeit zu nutzen?
Luksch: Als ich vor zehn Jahren nach London zog, wohnte ich gleich neben der Londoner City, dem Finanzzentrum. Damals wurde unter den Aktivistengruppen viel darüber diskutiert, dass das Überwachungskamerasystem in der City Leute, die diesen Stadtteil durchqueren, lückenlos beobachten kann. Ich habe damals zum ersten Mal Überwachung in so einem Ausmaß erlebt. Zehn Jahre später trifft das auf sehr viele Bezirke Londons zu.
Gleichzeitig wurde in der Londoner City - aber auch in anderen Stadtteilen - die Möglichkeit zu filmen stark eingeschränkt. Es wurden Filmverbote für bestimmte Orte verhängt. In bestimmten Zonen in der City, aber auch in den Docklands und vor Westminster und in Einkaufszentren und anderen privat verwalteten öffentlichen Räumen war es nicht mehr möglich, ohne Genehmigung Aufnahmen zu machen. Damals kam mir der Gedanke, dass es sinnvoll wäre, mit den Aufnahmen der Überwachungskameras zu arbeiten, die ohnehin ständig mitfilmen.
Also hab ich das zum Prinzip erhoben: Du darfst beim Filmemachen keine eigene Kamera mehr einbringen. Dann hat sich die Frage gestellt, wie ich an das Material der Überwachungskameras herankomme.
Manu Luksch als Datenkontrolleurin.
Für ihren Film "Faceless" sammelte Luksch fünf Jahre lang Videomaterial, das mit Überwachungskameras in London aufgenommen wurde. Die Aufnahmen setzte sie zu einer Science-Fiction-Lovestory zusammen, die in der beklemmenden Athmosphäre einer Überwachungsgesellschaft spielt, in der gesichtlose Wesen ohne Vergangenheit und ohne Zukunft durch eine vom "Neuen Apparat" getaktete Echtzeit irren. Die Erzählstimme der dystopischen Zukunftsfantasie kommt von Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton.
Podiumsdiskussion am Sonntag
"Faceless" ist noch bis zum 16. Mai im Wiener Top Kino zu sehen. Am Sonntag, dem 4. Mai, diskutiert die Regisseurin im Rahmen einer Matinee um 12.30 Uhr mit Hans Zeger [Arge Daten], Doris Kaiserreiner [Quintessenz] und Philipp Braza [Landesobmann der Wiener Schülerunion] zum Thema Überwachung. Moderieren wird Ingrid Brodnig von der Wiener Stadtzeitung "Falter".
ORF.at: Um an die Aufnahmen aus Kameras zu kommen, haben Sie sich auf das britische Datenschutzrecht berufen?
Luksch: 2001 wurde in Großbritannien eine EU-Direktive zum Datenschutzgesetz wirksam. Darin wurde festgelegt, dass jeder Bürger Zugang zu Informationen erhalten muss, die auf systematische Art über ihn aufbewahrt werden. Das traf unter bestimmten Umständen auch auf Videoüberwachungsbilder zu.
Ich hab das gleich einmal ausprobiert. Und hab ein Ansuchen abgeschickt, da musste ich ein Foto von mir beilegen und auch bekanntgeben, wann und wo ich dachte, dass mich die Videoüberwachung aufgenommen hat. Für die Aushändigung des Videomaterials dürfen die Betreiber maximal zehn Pfund verrechnen. Schließlich waren die ersten Aufnahmen in meinem Postkasten.
ORF.at: Wie haben die Betreiber der Kameras auf ihre Anfragen reagiert?
Luksch: In London sind die Betreiber von Überwachungskameras sehr weit gestreut. Es ist nicht nur der Staat, der überwacht. Jeder überwacht jeden. Das ist Technologie für jeden Haushalt. Das ist das Spin-off-Produkt der Sicherheitsindustrie, das von der englischen Gesellschaft als Lösung für bestimmte Probleme angenommen wurde.
Auf den Aufnahmen, die ich von den verschiedenen Betreibern erhalten habe, waren alle Personen außer ich selbst gesichtslos, da die Privatsphäre von Dritten geschützt werden muss. Es ist interessant, dass die Datenkontrolleure meistens die Methode wählen, die Gesichter auszuschwärzen.
Generell bin ich auf sehr viel Unkenntnis der gesetzlichen Regelung gestoßen. Das man etwa sagt, nein, so etwas geben wir nicht heraus, oder man wollte mir die Post-Production-Kosten verrechnen. Das Ausschwärzen der Gesichter ist sicher recht aufwendig.
Die meisten Betreiber haben aber auf ein technisches Gebrechen der Anlage hingewiesen. Mittlerweile glaube ich das auch, dass die meisten Anlagen eigentlich nicht arbeiten. Viele CCTV-Kameras haben nur Placebo-Wirkung.
Ich habe auch eine Antwort bekommen, die sagt, dass ich nicht wirklich identifiziert werden kann. Welchen Zweck hat dann so eine Kamera eigentlich? Es wurden mir aber trotzdem die Aufnahmen geschickt, was eigentlich gesetzeswidrig ist. Über die Jahre wurde es zunehmend komplexer und schwieriger, die Bilder zu bekommen. Insgesamt habe ich nur zu etwa sieben Prozent meiner Anfragen Bildmaterial bekommen.
ORF.at: Mit Ihrer Arbeit an dem Film haben Sie auch die Effektivität der Datenschutzgesetze überprüft?
Luksch: Mir ging es nicht darum aufzuzeigen, dass sich kaum jemand an das Gesetz hält. Ich wollte die Frage stellen, was denn so ein Gesetz eigentlich wert ist. Gesetze symbolisieren, wie sich eine demokratische Gesellschaft arrangiert und Kompromisse formuliert. Es haben bestimmte Parteien Grund zu überwachen, und es haben Parteien, die überwacht werden, bestimmte Grundrechte. Man nimmt dann an, dass das über das Gesetz geregelt wird. Damit wird ja auch beschwichtigt. Mir geht es darum, zu zeigen, wie sehr die Gesetzeslage und das Bewusstsein der Situation der technologischen Realität unseres Alltags hinterherhinkt.
Ich habe mich aber auch immer mehr für die rechtlichen Eigenschaften von Bildern interessiert und wollte das in meiner Arbeit auch thematisieren: Bildmaterial als Träger von rechtlichen Eigenschaften und nicht Bilder als Träger von visuellen Charakteristika. Als visueller Künstler überlegst du dir alles Mögliche zu Farben und Kompositionen, aber hier ging es mir ganz konkret um die rechtlichen Eigenschaften der Bilder. Weil die auch in unserem heutigen Kulturbegriff vorrangig in der Debatte auftauchen. Wenn wir von Inhalten - etwa Musik - sprechen, geht es immer um irgendwelche Copyright-Fälle, etwa ob Teenager, die einen urheberrechtlich geschützten Song herunterladen, kriminalisiert werden sollen.
ORF.at: Bei wem liegt eigentlich das Urheberrecht für die Aufnahmen von Überwachungskameras?
Luksch: Das ist ein bisschen eine Grauzone. Ich wurde im Zusammenhang mit dem Film auf verschiedene Konferenzen zum Thema Kunst und Recht eingeladen. Viele Anwälte vertraten dort die Meinung, dass diese Aufnahmen vom Urheberrecht nicht erfasst werden, weil etwa das Gesetz einen Autor mit der Absicht der Filmerstellung vorsieht. Auf die Bilderstellung, wie sie bei der Videoüberwachung passiert, trifft das nicht zu.
ORF.at: In welchem Format bekommt man das Material. Wie war die Bildqualität der Aufnahmen?
Luksch: Ich hab sehr viel auf VHS bekommen. Einiges auf CDs mit beigelegter Software. Ganz unterschiedlich. In einem Fall hab ich alle Stills auf Papier ausgedruckt bekommen, da waren die Köpfe ausgeschnitten.
Die Bildqualität war generell eher schlecht. Bei manchen Aufnahmen hat es so ausgesehen, als ob Taubenkacke auf der Linse war. Die Kameras wurden wahrscheinliche seit Jahren nicht gewartet. Bilder von neueren Systemen waren hingegen kristallklar.
Ein Filmbesucher aus New York hat kritisiert, dass ich einen nostalgischen Look gewählt hatte. Er meinte, dass ja Videoüberwachung eigentlich schärfer als das menschliche Auge sehen kann. Bei neueren Technologien stimmt das auch. Da aber London der traurige Vorreiter der Videoüberwachung ist, und die meisten Kameras sehr alt sind, ist die Qualität der meisten Aufnahmen dementsprechend schlechter.
ORF.at: Sie haben auch ein Manifest für CCTV-Filmemacher verfasst. Lässt sich das auch auf die österreichische Rechtslage übertragen?
Luksch: Das Manifest formuliert einerseits diese Einschränkung, dass du keine eigene Kamera verwenden darfst. Aber eigentlich ist es eine humorvolle Einschränkung, die auch Möglichkeiten bieten soll. Sie ist eigentlich als Werkzeug gedacht, um mit der Videoüberwachung umzugehen.
Wir haben dazu in Graz einen Workshop mit einem Juristen gemacht, um zu überprüfen wie sich das Manifest auf die österreichische Situation umlegen lässt. Theoretisch kann man das Manifest durchaus übersetzen. Es gibt jedoch einige Details, die den großen Unterschied in der Praxis ausmachen. In Österreich können die Überwachungsvideos zwar eingesehen werden, ein Recht auf eine Kopie leitet sich daraus jedoch nicht ab. Man kann die Videos jedoch ablichten. Man könnte die Bilder vom Monitor abfilmen.
Darüber hinaus umfasst die übliche Aufbewahrungsperiode in Großbritannien 31 Tage. In Österreich beträgt die Speicherdauer meistens nur 48 Stunden. Das könnte für CCTV-Filmemacher schwierig werden.
Es ist jedoch wichtig, Diskussionsprozesse in Gang zu setzen. Es werden so viele unterschiedliche Daten von Individuen gesammelt, ohne dass diese Daten von den Betroffenen kontrolliert werden können. In gewisser Weise bilden diese Daten eine Parallelexistenz. Es kann aber auf sie zugegriffen werden, um der realen Person gegenüber einen Vorwurf zu formulieren.
ORF.at: Berufen sich auch andere Filmemacher auf das Manifest?
Luksch: Ich bekomme viele E-Mails von Leuten, die sich dafür interessieren und auch praktische Fragen haben. Mittlerweile haben sich aber auch die Videoüberwachungssysteme stark verändert.
Bei vielen Anlagen werden die Daten drahtlos über Funk übertragen. Es gibt mehrere Künstler, die Video-Sniffing betreiben. Sie zapfen die Funkwellen an und fangen die Signale ab. Das hat den Zweck, diese Bilder in die öffentliche Sphäre zu bringen und so die Debatte voranzutreiben. Es geht darum, einen Raum für den Diskurs zu schaffen.
ORF.at: Die Videoüberwachungssysteme werden intelligenter und verfügen über Technologien zur Gesichts- und Bewegungserkennung. Daneben werden die Systeme auch zunehmend vernetzt. Ist die "traditionelle" Videoüberwachung mittlerweile nicht ein Anachronismus?
Luksch: Ich finde es interessant, darüber nachzudenken, was passiert, wenn die Kameras wirklich mit künstlicher Intelligenz ausgestattet und vernetzt sind. Für mich ist diese ganze Entwicklung jedoch eine Einbahnstraße. Es ist das Grundverkaufsmuster für diese Lösungen, dass sie vorgeben, die Gesellschaft sicherer zu machen.
Aber die Architektur, die durch solche Lösungen geschaffen wird, ist eine totalitäre. Sie verschlingt aber Unmengen an Ressourcen, die für andere Lösungen genutzt werden könnten.
ORF.at: Lassen sich solche Systeme noch visualisieren?
Luksch: Generell kann man schon zu Lösungen kommen, etwa durch die Arbeit mit Datenverknüpfung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Dafür eignet sich das lineare Filmformat aber nicht. Künstlerische Arbeit kann aber sehr viel zur Demystifizierung beitragen.
ORF.at: Früher war ja das Fernsehen so etwas wie ein Verhaltensregulativ, in dem es bestimmte Verhaltensweisen und Rollenbilder propagiert oder vorgegeben hat. Man hat ja gesagt, dass das Fernsehen eine zeitgemäße Form der Beichte ist, bei dem man die eigene Existenz mit einem Ideal abgleicht. Jetzt hat sich das umgedreht. Das Verhalten breiter Bevölkerungsschichten wird zunehmend durch Kameras reguliert.
In London wachsen Überwachungskameras und Fernsehen im Shoreditch TV zusammen. In einer Wohnanlage im Stadtteil Shoreditch wird die Videoüberwachung in den Fernsehkanal der Anrainer gespeist. Das läuft dort im Fernsehen und wird offenbar auch gesehen. Da mischt sich der homogenisierende Effekt von Fernsehen und Videoüberwachung auf eine komische Art und Weise.
Zur Videoüberwachung in Österreich:
(futurezone | Patrick Dax)