IPv6: Klagen über zähe Umstellung
Auf der IPv6-Konferenz im deutschen Potsdam beschwören Netzexperten abermals die drohende Knappheit an Internet-Adressen herauf. Asien drohe Europa und die USA in der Entwicklung abzuhängen. Aber auch Datenschutzbedenken werden laut.
Langsam, aber unausweichlich wird es eng im Internet. Das für den Datenverkehr im Netz grundlegende Internet-Protokoll ermöglicht 3,7 Milliarden Adressen - bei einer Weltbevölkerung von 6,7 Milliarden sind das deutlich zu wenige.
In dieser Woche wollen rund 200 Teilnehmer einer Fachkonferenz in Potsdam in Deutschland die Lösung für das Problem vorantreiben: IPv6 hat mit 340 Sextillionen Adressen praktisch unendlich viel Platz, auch wenn aufgrund der Einführung von Netzwerkklassen nicht der gesamte Adressraum genutzt werden kann.
Zehn Jahre IPv6
Dieses Internet-Protokoll in der Version 6 sei schon fast zehn Jahre alt, sagte Konferenzleiter Christoph Meinel. "Man hat sich damals hingesetzt und gefragt: Wie machen wir es richtig?" Denn bereits Mitte der 90er Jahre erkannte man die Mängel der Version 4 des Internet-Protokolls - vor allem die begrenzte Verfügbarkeit von Adressen. RFC 2460, das Dokument, in dem IPv6 spezifiziert ist, wurde im Dezember 1998 von der IETF publiziert.
Danach sei IPv6 aber nicht richtig in die Gänge gekommen, so Meinel, der das Hasso-Plattner-Institut [HPI] an der Universität Potsdam leitet. Vor allem in den USA hielt sich die Begeisterung in Grenzen - die dort eingerichteten Netze verfügen ja auch über etwa 74 Prozent aller derzeit vergebenen IP-Adressen. In China und anderen asiatischen Ländern sei der Druck der Adressenknappheit aber sehr viel stärker, sagte Meinel. Daher werde IPv6 dort intensiver eingesetzt.
Die österreichischen Provider sind bereit für IPv6, ihnen fehlt derzeit allerdings noch das Geschäftsmodell. Die ICANN hat unterdessen die ersten Root-Zone-Server des DNS auf IPv6 umgestellt.
"Internet der Dinge"
"Inzwischen kommt auch in den USA und bei uns Bewegung hinein", sagt Meinel. Als treibende Kräfte nennt er den Trend zum "Internet der Dinge", also der Netzanbindung von elektronischen Geräten aller Art vom Stromzähler bis zum Kühlschrank.
Interessant ist das neue Protokoll auch für mobile Anwendungen. Für Handys und andere mobile Geräte gebe es bisher keine feste IP-Adresse, sagte der Informatiker. Das erschwert die Entwicklung von Web-Anwendungen, die ein Gerät gezielt ansprechen müssen. "Das wird alles mit IPv6 möglich", so Meinel.
Der Umstellungsprozess wird schrittweise vor sich gehen und betrifft alle Netzanbieter und -nutzer, auch den Endanwender. "Die meisten Provider beschäftigen sich noch nicht genug mit IPv6", sagte Frank Orlowski vom Internet-Austauschknoten DE-CIX in Frankfurt am Main. "Je früher man damit anfängt, umso besser."
Es dürfe keine Torschlusspanik aufkommen, aber "irgendwann gibt es nichts mehr, was noch an Adressräumen verteilt werden kann". Immerhin nutzen nach Angaben Orlowskis bereits 70 bis 80 Provider der 240 am DE-CIX angeschlossenen Netze das neue Internet-Protokoll.
Lange Übergangszeit
Der Netz-Experte erwartet, dass es eine Übergangszeit geben wird, in der beide Protokolle parallel verwendet werden können. "Irgendwann wird man dann aber das alte Netz abschalten", so Orlowski. "Das wird ein Prozess sein, der mehrere Jahre in Anspruch nimmt." Die Schätzungen für den Zeitpunkt, zu dem es keine freien IP-Adressen mehr geben wird, reichen je nach Szenario von 2010 bis 2012.
Auch der Potsdamer Informatikprofessor Meinel sieht keinen Grund für Panik: "Es ist nicht so, dass plötzlich alles schwarz wird für die, die nicht umgestellt haben." Schließlich gibt es auch die als "Tunneling" bezeichneten Möglichkeiten, Daten des einen Protokolls so zu transportieren, dass sie von einem anderen Protokoll verstanden werden. Allerdings könnte es dabei zu gewissen Leistungseinbußen kommen.
Umstellung auch zu Hause
Die Umstellung ist aufseiten der Provider mit Investitionen in neue Hardware verbunden - die neuen Router müssen dann schließlich mit IPv6 umgehen können. Meinel erwartet aber, dass das im Rahmen der ohnehin üblichen Erneuerung von Geräten ablaufen kann.
Auch der DSL-Router für das drahtlose WLAN-Netz daheim muss dann IPv6 verstehen können, aber Meinel sieht in der Bereitstellung der entsprechenden Geräte kein großes Hindernis: "IPv6 soll nicht teuer werden."
Für gewichtiger hält der HPI-Direktor die Sorgen nach dem Motto "Never touch a running system". Mancher werde sagen: "Mein Internet funktioniert doch." Solche Bedenken müssten mit einer breiten Aufklärung über die Vorteile überwunden werden, meint Meinel.
Problem Privatsphäre
Bei IPv6 werden keine dynamischen IP-Adressen mehr zugewiesen, wie es bei der Einwahl ins Netz mit einem Modem und auch bei den meisten DSL-Verbindungen der Fall ist.
Andererseits erhöht eine dynamische, also sich immer wieder ändernde IP-Adresse auch den Schutz der Privatsphäre. Meinel aber sieht in den dynamischen Adressen nur einen Notbehelf der IPv4-Ära: "Eigentlich sollten Datenschutz und Sicherheit auf anderen Methoden beruhen."
Die Konferenz wird vom deutschen IPv6-Council veranstaltet.
(AP)