"Kinder brauchen Monster"
Bei einem Meeting der europäischen Spieleindustrie am Mittwoch in Brüssel hat unter anderem ein Referat des britischen Pädagogen Andrew Burns für Gesprächsstoff gesorgt. Für ihn sind Gewalt und der Umgang damit essenzieller Teil des Erwachsenwerdens.
In seinem Vortrag "Playing with Monsters: The value of fictional terrors" im Rahmen der ISFE Expert Conference 2008 dokumentierte Burns, dass Kinder und Jugendliche seit jeher nicht ganz so gewaltfrei aufwachsen, wie man es ihnen eigentlich wünschen würde.
Das sei einerseits durch die jeweilige Kultur bedingt, andererseits würden aber Kinder auch von sich aus immer wieder Gewalt suchen - und das durchaus zu ihrem Vorteil.
Auch das reale Kinderspiel werde neben kooperativen Spielen, bei denen es um Hilfe und Zusammenarbeit geht, immer wieder von Gewalt beherrscht, etwa bei "Räuber und Gendarm" und "Cowboy und Indianer". Das sei ein normaler Vorgang, bei dem die Kinder lernen würden, mit Gewalt, aber auch mit ihrer eigenen Macht und deren Ausübung umzugehen. Das wiederum sei essenzieller Teil des Erwachsenwerdens.
"Kinder und Gewalt gehören zusammen, die symbolische Gewalt ist seit langem ein essenzieller Teil der Kinderkultur", so Burns These.
Vor Burns hielt Edward Castronova einen Vortrag zur Ökonomie in virtuellen Welten. Auch er sprach das Thema Angst und Verbote neuer Kulturtechniken an und beendete seinen Votrag mit dem Aufruf: "Tell them to play" - man solle sich einfach selbst einen Eindruck davon verschaffen, worum es beim digitalen Spielen gehe.
Monster als Kultur wertschätzen
Als ein Beispiel für "anerkannte" Gewaltdarstellungen nannte Burns Märchen. Monster würden dabei in unterschiedlichsten Formen auftreten, ob als Hexe, böse Stiefmutter oder wie in einer ursprünglichen Form von "Rotkäppchen" auch als das Kind selbst, das das Blut der Großmutter trinkt, nachdem diese vom Wolf getötet wurde.
"Monster verursachen Nervenkitzel, sie regen die Fantasie an, sie formen unsere Ängste und bereiten uns auf die realen Monster unserer heutigen Zeit vor", ist Burns überzeugt. Man sollte Monster daher, egal ob in Buchform oder als digitales Spiel, in dieser Funktion wertschätzen und nicht von vornherein verdammen.
Moderierter Umgang mit Gewalt
Allerdings, so Burns, sei nicht jedes Kind, so wie Erwachsene, gleich fähig, mit Angst und Gewalt umzugehen: Manche Kinder hätten tagelang Alpträume und Angst vor der bösen Hexe aus dem Märchen, andere wiederum könnten Fantasie und Realität besser auseinanderhalten oder verarbeiteten das Erlebte anders. Darum sei es wichtig, den Kindern beizubringen, wie man mit diesen Ängsten umgeht, und sie dabei zu begleiten.
Videospiele sollten zudem entsprechend gekennzeichnet werden, so Burns, wobei er darauf hinwies, dass manche Kinder durch den alltäglichen Gruppenzwang viel zu früh mit Spielen konfrontiert werden, die gar nicht für ihre Entwicklungsstufe geeignet sind.
Laut einer Studie der Universität Frankfurt halten Altersbeschränkungen für Online-Computerspiele Jugendliche nicht vom Spielen ab. Im Gegenteil: Nach Meinung von Soziologen schaffen sie gerade die Anreize dazu, sie zu konsumieren.
Reding für bessere Kennzeichnung
Auf die Kennzeichnung wies auch EU-Kommissarin Viviane Reding hin, die im Anschluss an Burns Vortrag der Konferenz einen kurzen Besuch abstattete. Sie lobte in ihrer Rede das aktuelle PEGI-System für die Kennzeichnung von Spielen, urgierte aber, dass sich die Industrie und der Handel gemeinsam besser darum kümmern sollten, dass Spiele auch nur an Kinder verkauft werden, die für das jeweilige Spiel das passende Alter haben.
Es gehe wie bei allen Massenmedien darum, die Kinder vor unpassenden Inhalten zu schützen, so Reding. Sie wolle der Industrie keine Regulierung auferlegen, sondern hoffe, dass sie sich selbst regulieren könne. Dafür habe die Industrie gemeinsam mit dem Handel nun zwei Jahre Zeit.
Reding sagte weiters, dass Verbote als solche nicht zielführend seien, egal ob bei Videospielen oder auch in anderen Bereichen: "Es ist besser, die Kinder zu lehren, die Werbung richtig zu lesen, anstatt diese zu verbieten."
Erst Ende April forderte die EU-Kommission die Videospielebranche zu einer besseren Selbstregulierung sowie einer Ausweitung des PEGI-Systems auf.
(futurezone | Nadja Igler)