Olympische Disziplin Überwachung
Alle Welt spricht von der Internet-Zensur durch die chinesische Regierung. Doch auch Mobilfunknetze wollen kontrolliert werden. Die geeignete Ausrüstung dafür entwickeln die europäischen Großkonzerne Ericsson und Nokia Siemens Networks.
Wann immer in der letzten Zeit von Zensur und Überwachung bei den kommenden Olympischen Spielen die Rede ist, dann geht es stets um die "Große Firewall", mit der Chinas regierende Kommunisten das gesamte Land abgeschottet haben.
Praktisch nie wird thematisiert, dass auch damit gerechnet werden kann, dass die zu den Spielen angereisten Athleten, Delegationen und Journalisten in China rund um die Uhr überwacht werden.
Genauer gesagt deren Mobiltelefone. Die dafür nötige Überwachungsausrüstung können die chinesischen Machthaber bei ihren Lieferanten aus Europa kaufen. Die Spur führt dabei zu den weltgrößten Netzwerkausrüstern Ericsson und Nokia Siemens.
Internet, Blogging, Medien
Erst in der vergangenen Woche hat das Europäische Parlament eine Entschließung zur Menschenrechtslage in der Welt und zur Menschenrechtspolitik der Europäischen Union verabschiedet.
Darin zeigte man sich "beunruhigt über die Einschränkungen der Freiheit chinesischer und internationaler Medien, einschließlich des Internets, des Blogging und des Zugangs zu Informationen für die chinesische und internationale Presse".
"Observierungs- und Militärtechnologie"
Deshalb fordern die Parlamentarier "den Rat und die Kommission auf, Gemeinschaftsregeln für den Handel mit Drittländern bezüglich Gütern, einschließlich Software, Hardware und anderer ähnlicher Produkte, auszuarbeiten, deren einziger Zweck darin besteht, eine allgemeine Überwachungstätigkeit durchzuführen".
Gelten sollte "dies auch für die Observierungs- und/oder Militärtechnologie für Länder", die "Menschenrechte systematisch verletzen".
Einmal China und retour
Will heißen: Man fordert Kontrollen für den Export von Überwachungstechnologie in Länder wie China. Was aber ist, wenn die Überwachungstechnologie den umgekehrten Weg geht, nämlich aus China nach Europa kommt?
2002/2003 hatte Ericsson sein AsiaPacificLab in Melbourne geschlossen, das bis dahin für die Entwicklung eines ganz speziellen Produkts zuständig war: des Ericsson Intercept Management System [IMS].
Mittlerweile unterhält der weltgrößte Telekom- und Mobilfunkausrüster Ericsson in China neben gut fünf Dutzend Joint Ventures, Tochterunternehmen und Niederlassungen auch mehrere Forschungs- und Entwicklungszentren.
Europäische Überwachungsstandards
Beim IMS handelt es sich um ein umfassendes Überwachungssystem für Festnetz- und GSM-Telefonie, das an die im European Telecom Standards Institute [ETSI] entwickelten Überwachungsschnittstellen in Telefonienetzen aller Art andockt.
In Europa werden derlei Systeme als Instrumente für Strafverfolger zum Zweck von "Lawful Interception", also Überwachung auf richterliche Anordnung, in Fest- und Mobilfunknetzen installiert.
"1 - n Law Enforcement Monitoring Facilities"
Doch dabei bleibt es nicht, wie ein Blick auf die Systemspezifikationen zeigt. Das Ericsson Intercept Management System kann laut Manual "1 - n Law Enforcement Monitoring Facilities" [LEMFs] beliebig viele Überwachungs- und Auswertungszentren parallel mit Verkehrsdatensätzen und Sprachtelefonaten bedienen.
Als strikte Regel gilt dabei, dass die LEMFs technisch strikt getrennt werden müssen, so dass eine überwachende Partei keinerlei Kenntnis davon hat, wie viele andere "Agenturen" parallel dazu welche Anschlüsse überwachen.
Eine Frage der Policy
Wie diese Systeme eingesetzt werden, zur Verbrechensbekämpfung auf richterliche Anordnung oder als Instrumente zur permanenten Überwachung aller Telefonieteilnehmer, ist allein eine Frage der Richtlinien, die im betreffenden Netz gelten.
Ist etwa der erste Kanal der ETSI-Überwachungsschnittstelle überbrückt, der den Zugang für "Law-Enforcement" zum Netz regelt, dann kann ein dort angedockter Geheimddienst nach Belieben schalten und walten. "Handover Interface" zwei liefert Standort-, Verbindungsdaten und SMS, an Kanal drei gibt es die zugehörigen Telefonate live zum Mithören.
Die Kontrolle
Angesichts des bekannt repressiven Umgangs der chinesischen Behörden mit dem Internet liegt es auf der Hand, dass die technisch weit einfacher und effizienter zu überwachenden Telefonnetze ebenso vollständig unter Kontrolle des Regimes stehen.
Findet dann noch die Technologieentwicklung wie im Falle Ericsson - eine Anfrage von ORF.at läuft seit Montagmittag - im eigenen Lande statt, ist es weniger wahrscheinlich, dass ein fremder Geheimdienst ebenfalls Zugang zu einer der "n"-Schnittstellen in China hat.
Iran und China
Vor 14 Tagen hatte der "Spiegel" berichtet, der deutsche Bundesnachrichtendienst [BND] habe auf Überwachungssysteme von Nokia Siemens in iranischen Mobilfunknetzen zugegriffen.
Eine Woche davor hatte futurezone.ORF.at eine dreiteilige Serie veröffentlicht, in der fortgeschrittenes Überwachungsequipment von Nokia Siemens analysiert wurde.
Es ist davon auszugehen, dass dieses System auch an den Iran und an China gegangen ist. Dabei handelt es sich zum einen um das "Siemens Monitoring Center", das ganz ähnliche Features aufweist wie das Ericsson-System.
Im O-Ton
"Wir sind der einzige Telekomnetzwerkbauer, der Überwachungsmöglichkeiten für Strafverfolger als echte End-to-End-Lösung anbietet. Das Monitoring Center von Nokia Siemens Networks ist ideal, um alle gängigen Technologien zu überwachen und jeden anderen Kommunikationstyp der nächsten Generation ebenso", preist der Hersteller sein System an.
Data-Warehouse für Geheimdienste
Als zusätzliches Verkaufsargument gerade in totalitär regierten Staaten bietet Nokia Siemens zudem seine "Intelligence Platform" an, die das Monitoring Center integriert.
In einer Art Data-Warehouse für Geheimdienste werden von Verbindungsdaten aus Telefonienetzen und dem Internet - die nunmehr EU-weit vorgeschriebene Vorratsdatenspeicherung wird ganz oben angeführt - über Kreditkartenzahlungen und Banktransfers, Grundbuch, Kfz- und Melderegisterdaten bis hin zu Flugpassagier-, Fingerprint- und DNA-Informationen alle nur denkbaren Datensätze zusammengeführt.
"Datensätze im Terabyte-Bereich"
Man vermarkte diese "Intelligence Solution" für Strafverfolger und Geheimdienste hauptsächlich im Nahen Osten, in der Region Asien-Pazifik und Europa, hieß es dazu von Nokia Siemens auf Anfrage von ORF.at.
Der mit mehr als 500 Millionen Teilnehmern größte Mobilfunkmarkt der Welt samt einer für ihre Überwachungswut bekannten Staatsführung ist ein idealer Zielmarkt für ein System, das "in Daten-Center-Dimensionen massive Datensätze im Terabyte-Bereich prozessiert", wie es in der Verkaufspräsentation von Nokia Siemens heißt.
Ein Markt, zwei Anbieter
Neben Ericsson ist auch Siemens seit der Zeit, als noch der Telegraf den Kommunikationsmarkt dominierte, in China präsent. Nokia Siemens ist hinter Ericsson derzeit die Nummer zwei unter den ausländischen Telekomausrüstern in China.
Den chinesischen Mobilfunkmarkt teilen sich gerade einmal zwei Firmen, die obendrein beide mehrheitlich im Staatsbesitz stehen. Die größere der beiden, China Mobile, hat mittlerweile 350 Millionen Kunden und damit den langjährigen Weltmarktführer Vodafone überflügelt.
China Mobile
Das börsennotierte Unternehmen ist außerordentlich profitabel, im ersten Quartal 2008 wurde ein Gewinn von umgerechnet 2,2 Milliarden Euro eingefahren.
Ericsson ist der größte Lieferant von Telekomequipment für China Mobile, erst Mitte April hatte Ericsson Aufträge im Wert von etwa 1,5 Milliarden Dollar mit China Mobile und der Nummer zwei, China Unicom, abgeschlossen.
Athen 2004
Bei den letzten Olympischen Spielen 2004 war Ericsson in Sachen Überwachung nachträglich aufgefallen.
Bis heute Unbekannte hatten auf den Ericsson-Switches von Vodafone Hellas zwischen der ETSI-Überwachungsschnittstelle und dem Intercept Management System 6.500 Zeichen Code installiert.
Monatelang waren damit alle Gespräche von Premierminister Kostas Karamanlis und seinem gesamten Kabinett kopiert und mitgeschnitten worden.
Im ETSI
In der mit Mobilfunk-Überwachungsstandards befassten Arbeitsgruppe ETSI/3GPP SA 3 liefert der chinesische Telekomausrüster Huawei Telecom seit einigen Monaten ebenfalls technische Eingaben zu den Standards ab.
Ein weiteres Zeichen dafür, dass im Mobilfunk das Know-how - und die dazugehörigen Denkweisen - durchaus auch von China nach Europa übertragen werden können.
(futurezone | Erich Moechel)