Mobile Sounds und Bluetooth-Rock-'n'-Roll
Der Mobile Music Workshop lotet dieser Tage in Wien die vielfältigen Möglichkeiten mobiler Musiktechnologien aus: vom mobilen Musiktausch über das Handy als Musikinstrument bis hin zur Stadt als musikalisches Interface.
Dass mobile Musik mehr ist als Klingeltöne, tragbare MP3-Player und Handy-Downloads, beweist der Mobile Music Workshop [MMW], der seit Dienstag an der Universität für angewandte Kunst in Wien tagt. In zahlreichen Vorträgen, Sessions, Performances und Konzerten werden dort noch bis Donnerstag aktuelle Entwicklungen aus dem Bereich der mobilen Musik vorgestellt.
"Wir sind daran interessiert, einen kreativen Umgang mit mobiler Musik zu finden", sagt die Medienwissenschaftlerin Frauke Behrendt von der britischen University of Sussex, die an der Organisation des Mobile Music Workshop mitwirkt: "Dass man zum Beispiel, indem man durch die Stadt läuft einen Song remixt, mit Handys Musik macht oder dass man mit anderen Leuten, die im gleichen Raum sind, Musik tauschen kann."
"Grenzen austesten"
Mit internet- und GPS-fähigen Handys seien die technologische Möglichkeiten verfügbar, meint Behrendt. Die würden von der Industrie aber noch nicht wirklich dazu genutzt, neue musikalische Anwendungen zu finden.
Auch beim Mobile Music Workshop wolle man nicht unbedingt kommerzielle Plattformen entwickeln, so Behrend: "Der Mobile Music Workshop sammelt Kreative, Musiker und Hacker, die die Grenzen dessen austesten, was technisch und sozial im Bereich der mobilen Musik möglich ist."
Der Mobile Music Workshop findet seit fünf Jahren an wechselnden Orten in Europa und Nordamerika statt. Heuer wurde das jährliche Treffen der Mobile-Music-Community von Nicolaj Kirisits von der Abteilung Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst nach Wien gebracht.
Bevor der MMW am Donnerstagabend mit Konzerten von springfield RVL-003, taus und dem Institute for transacoustic research zu Ende geht, stehen noch Projektpräsentationen und Hands-on-Sessions auf dem Programm, bei denen mobile Musikanwendungen vor Ort ausprobiert werden können.
U-Bahn als Tauschbörse
Mit dem Musiktausch setzt sich das Projekt "Undersound" der britischen Computerwissenschaftlerinnen Arianna Bassoli, Johanna Brewer und Karen Martin auseinander, das die Londoner U-Bahn zum Peer-to-Peer-Netzwerk umfunktionieren will.
Dabei sollen sich Fahrgäste der Londoner "Tube" über Bluetooth Songs von Musikdatenbanken, die sich in ausgewählten U-Bahnstationen befinden, auf ihre Handys laden, gegenseitig ihre "Undersound"-Musiksammlungen durchstöbern und Songs weitergeben können. In der U-Bahn hätten die Leute Zeit, um mit dem Handy zu spielen. Darüber hinaus würden sich durch den Musiktausch subtile Interaktionsmöglichkeiten zwischen den Fahrgästen ergeben, teilen Bassoli, Brewer und Martin, die nicht nach Wien kommen konnten, auf Anfrage via E-Mail mit.
Die im Rahmen des Projekts angebotenen Titel stammen allesamt von lokalen Musikern und werden unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht, die die nichtkommerzielle Weitergabe der Songs erlaubt.
Musik machen mit dem Handy
Weil Handys allgegenwärtig sind, ist es auch naheliegend sie als Musikinstrumente zu verwenden. Amnon Dekel und Gilly Dekel von der Hebrew University in Jerusalem präsentierten beim Mobile Music Workshop ihr Projekt Mobile Gesture Music Instrument [MoGMI]. MoGMI macht aus Mobiltelefonen, die wie das Nokia N95 oder das Sony Ericsson W910i über Beschleunigungssensoren verfügen, Instrumente, denen über Bewegungen in Echtzeit Töne entlockt werden können.
Solche Anwendungen seien leicht zu bedienen und eher wie ein Computerspiel, sagt Berendth: Damit könne man Leute einfach an das Musikmachen heranführen. Das könnte auch den Wiener Medienkünstlern Fares Kayali und Martin Pichlmair gelingen, die Nintendo-DS-Konsolen zu Schnittstellen zur gestischen Musikproduktion umarbeiten.
"Bluetooth-Rock-'n'-Roll"
Zu den Pionieren des Musizierens mit dem Handy zählt die Wiener Formation The Handydandy um MMW-Organisator Nicolaj Kirisits. Dem Sextett, das den exzessiven Rockgestus von Bands wie The Who [Instrumente zertrümmern,...] in die mobile Musik überführt, geht es jedoch weniger um die technischen Möglichkeiten des Mobiltelefons. "Wir verwenden eigentlich nur Bluetooth und die Tasten", sagt Kirisits. Der Sound kommt von einem Computernetzwerk mit dem die Handys verbunden sind.
"Wir missbrauchen diese technischen Artefakte, indem wir sie 'falsch' verwenden und in einen anderen Kontext stellen", so Kirisits: "Wir nehmen etwas, stellen es woanders hin und plötzlich passiert etwas. In diesem Fall eben Bluetooth-Rock-'n'-Roll, der gleichzeitig wild und digital ist."
The Handydandy, dem auch die Medienkünstler Bernhard Bauch, Luc Gross, Gordan Savicic, Julia Staudach und Florian Waldern angehören ist eine Projekt des von Kirisits gegründeten Spat-Labs an der Abteilung für Digitale Kunst an der Angewandten, das sich neben der missbräuchlichen Verwendung von Technologien mit Zeitkörperlichkeit und prozessorientierter Raumwahrnehmung beschäftigt.
Ortsbezogene Musik
Mit GPS und anderen ortsbezogenen Medientechnologien kann aber durch die Verbindung musikalischer Daten mit räumlichen Koordinaten auch der Raum selbst zum musikalischen Interface werden.
Mike Wozniewski von der kanadischen McGill-University zeigte dazu in Wien sein Audioscape Project, das mit Hilfe mobiler Computer, die mit GPS ausgestattet sind, die Interaktion mit Sounds im Raum erlaubt.
Die Donauplatte als digitale Bühne
Ebenfalls mit GPS und tragbaren Computern arbeiten die Wiener Medienkünstler Bernhard Garnicnig und Gottfried Haider, die auf der Donauplatte ihr Projekt "Craving", eine auf ortsbezogene Medien umgelegte Bearbeitung von Sarah Kanes Theaterstück "Crave", präsentierten.
Die mit GPS, Kopfhörer und Computer ausgerüsteten Besucher driften durch das Gelände zwischen Austria Center, Wohnpark-Donaucity und tristen Parkplatzgruben. Entsprechend ihrer Position bekommen sie die auf der Donauplatte abgelegten Sounds und Texte zu hören.
Der Kopfhörer-Prototyp von "Craving"
"Lebendige Soundscape"
"Die Position der Besucher wird mit GPS lokalisiert, die Blickrichtung wird mit einem Kompass festgestellt. So ist es möglich, dass die Besucher durch eine lebendige Soundscape gehen", erklärt Haider.
Die Raum-Akkustik der auditiven Inszenierung wird in Echtzeit von einer 3-D-Sound-Simulation geliefert. Ähnliche Sound-Simulationen kommen laut Haider auch bei der NASA zum Einsatz. Sie sollen Piloten in Staffelflügen die relativen Positionen anderer Flugzeuge akkustisch signalisieren.
Hindernisse bei der Entwicklung
"Die Entwicklung von Anwendungen für mobile Geräte gestaltet sich schwieriger als jene für PCs", sagt der Entwickler und Medienkünstler Atau Tanaka vom Culture Lab Newcastle. Vieles werde von Geräteherstellern und Netzbetreibern proprietär gehalten.
Das sei ein Problem, mit dem viele Projekte zu kämpfen hätten, so auch Behrendt. Mittlerweile gebe es aber viele Open-Source-Projekte, Wissen werde geteilt. Auf Veranstaltungen wie dem Mobile Music Workshop würden Tipps und Patches ausgetauscht, meint Behrendt: "Es ist eine Basis da, mit der man arbeiten kann."
(futurezone | Patrick Dax)