Spionageaffäre bei Deutscher Telekom

24.05.2008

Die Deutsche Telekom soll laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Spiegel" mehr als ein Jahr lang Manager, Aufsichtsräte und Journalisten bespitzelt haben, um undichte Stellen in Vorstand und Aufsichtsrat aufzuspüren.

Unter den Projektnamen "Clipper" und "Rheingold" sei es um die Auswertung mehrerer hunderttausend Festnetz- und Mobilfunk-Verbindungsdatensätze von Managern und Aufsichtsräten der Deutschen Telekom gegangen, berichtete der "Spiegel".

Dabei beruft sich das Magazin auf ein dreiseitiges Schreiben einer Berliner Beratungsfirma an einen Deutsche-Telekom-Juristen. Die von der Deutschen Telekom beauftragte Beratungsfirma sollte die Datensätze - Uhrzeit, Länge und Gesprächsteilnehmer - auswerten und vor allem mit den Telefonnummern von Journalisten abgleichen. Damit sollte die Weitergabe vertraulicher Informationen aus Vorstand und Aufsichtsrat aufgespürt werden.

"Zutiefst erschüttert"

Die Deutsche Telekom bestätigte den Bericht am Samstag zumindest in Teilen: "Bei der Deutschen Telekom ist es nach derzeitigen Erkenntnissen in 2005 und nach aktuellen Behauptungen auch in 2006 zu Fällen von missbräuchlicher Nutzung von Verbindungsdaten gekommen", teilte das Unternehmen in Bonn mit. Es gebe jedoch keine Hinweise darauf, dass Gespräche abgehört worden seien.

"Ich bin über die Vorwürfe zutiefst erschüttert. Wir nehmen den Vorgang sehr ernst", sagte Vorstandschef Rene Obermann. "Wir haben die Staatsanwaltschaft eingeschaltet und werden sie bei ihren Bemühungen um eine lückenlose Aufklärung unterstützen."

Anzeige erstattet

Im Sommer 2007 sei das Unternehmen aufgrund interner Hinweise bereits einem Einzelfall nachgegangen und habe diesen aufgeklärt. "Am 28. April 2008 wurden dem Vorstand nun neue, wesentlich umfangreichere und noch gewichtigere Vorwürfe durch ein Schreiben eines offenbar an den Vorgängen extern Beteiligten bekannt, der aus der Konzernabteilung Sicherheit heraus beauftragt worden war."

Anzeige bei der Staatsanwaltschaft sei auf Anordnung Obermanns am 14. Mai erstattet worden. Ein Ermittlungsverfahren gibt es aber bisher nicht. "Die Deutsche Telekom hat uns ein etwas größeres Paket mit Unterlagen zukommen lassen, verbunden mit der Bitte, sie zu prüfen", sagte ein Sprecher der Bonner Staatsanwaltschaft. Diese Prüfung in Hinblick auf eine mögliche strafrechtliche Relevanz laufe nun.

Änderungen in Sicherheitsabteilung

Die Deutsche Telekom berichtete in ihrer Mitteilung, sie habe bereits 2007 weitreichende personelle und organisatorische Veränderungen in der Konzernabteilung Sicherheit vorgenommen. "Die Abteilung wurde komplett umgebaut und mit neuen Kontrollmechanismen personeller und organisatorischer Art aufgestellt."

Schnelle Aufklärung gefordert

Der stellvertretende Aufsichtsratschef Lothar Schröder forderte eine schnelle Aufklärung. "Wir haben ein brennendes Interesse daran." Schröder sitzt als Vertreter der Gewerkschaft ver.di im obersten Gremium des Bonner Konzerns. "Es wäre ein weitreichender Skandal, wenn Manager, Aufsichtsräte und Journalisten bespitzelt worden wären", sagte Schröder. "Im Moment fehlt der Glaube, dass sich die Vorwürfe am Ende als völlig haltlos erweisen könnten."

"Gewaltiger Lauschangriff"

Dem "Spiegel"-Bericht zufolge reichen die aus seiner Quelle hervorgehenden Bespitzelungsvorwürfe erheblich weiter. Allerdings sei derzeit noch nicht absehbar, "was von all den Vorwürfen eines derart gewaltigen Lauschangriffs wirklich den Tatsachen entspricht".

Dauer unklar

Unklar ist auch, ob die Vorgänge nur in die Amtszeit von Obermanns Vorgänger Kai-Uwe Ricke fallen. Dieser war Mitte November 2006 von Obermann abgelöst worden. Dem "Spiegel" zufolge wird in dem Berliner Fax an die Deutsche Telekom behauptet, dass auch nach November 2006 noch am Projekt "Clipper" gearbeitet worden sei.

Ricke habe dem "Spiegel" zwar gesagt, der Vorstand habe beschlossen, aktiv gegen undichte Stellen im Unternehmen vorzugehen. Mit welchen Methoden vorgegangen worden sei, habe er aber nicht gewusst, wird Ricke weiter zitiert: "Ich habe niemals illegale Aufträge erteilt und erst recht zu keinem Zeitpunkt angeordnet, Telefonverbindungsdaten auszuspähen."

"Flächendeckend und ausgefeilt"

Der "Spiegel" berichtet unter anderem, dass dem Schreiben zufolge auch in das Büro eines wichtigen Wirtschaftsjournalisten ein "Maulwurf" eingeschleust worden sein soll, der über mehrere Monate "direkt an die Konzernsicherheit" der Deutschen Telekom berichtet habe.

Der Chef der externen Sicherheitsfirma habe die Projekte so eingeschätzt: "Die Projekte können selbst im nachrichtendienstlichen Maßstab nur als ungewöhnlich flächendeckend und ausgefeilt bezeichnet werden."

"Anteilseigner überwacht"

Weitere Spähattacken seien "konkret geplant und beauftragt" gewesen, unter anderem "die Überwachung eines ihrer Anteilseigner mit Hauptsitz in New York", schreibt der "Spiegel" unter Berufung auf das Schreiben an die Deutsche Telekom.

Außerdem seien Vorstandsvorlagen mit individuellen geheimen Kürzeln versehen worden, um Informanten zu enttarnen. Bisweilen seien vor Vorstandssitzungen auch gezielt Dokumente mit falschen Informationen verteilt worden, um so feststellen zu können "welche Informationen bei welchen Presseorganen ankommen".

Ein Spionageskandal beim US-Technologiekonzern Hewlett-Packard [HP] führte 2006 zu Rücktritten in der Führungsetage und hatte auch ein Nachspiel vor Gericht.

(futurezone | dpa)