Europas Metropolen im Match um Glas
Am 1. Juni nimmt das Glasfasernetz Zürich den regulären Betrieb auf, investiert werden über 120 Millionen Euro bis 2013 in die IT-Infrastruktur. Weder Ex-Monopolist Swisscom noch Triple-Play-Anbieter Cablecom sind maßgeblich involviert. In Wien wartet man noch auf eine finanziell derart ernst gemeinte Initiative der Stadt.
In Österreich pokert die Unternehmensführung der Telekom Austria [TA] mit der ÖIAG um eine Subvention für den Festnetzsektor - denn etwas anderes ist die geplante "Ausgliederung" der überwiegend beamteten Festnetz-Mitarbeiter in die Staatsholding nicht.
Dafür wurden seitens der TA Investitionen in den Ausbau der Glasfaser in Aussicht gestellt.
"Vorkonziliäre" Regeln
Die Deutsche Telekom [DT] - ebenso wie die TA Quasimonopolist in Sachen Kupfernetze und damit als "marktbeherrschend" eingestuft - wiederum wird von der Berliner Bundesregierung vor Konkurrenz geschützt.
Im neuen Glasfasernetz [VDSL-Netz] der DT gelten mehr oder weniger dieselben "vorkonziliären" Regeln wie in den Festnetzen vor den Zeiten der Liberalisierung. Ein einziger Anbieter diktiert Services und Preise - sehr zum Missfallen der EU, die den freien Wettbewerb nun einmal auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Ärger für die "Incumbents"
Hier wie dort gibt es für diese im EU-Jargon "Incumbents" genannten Anbieter, die den Kunden- und damit Umsatzschwund bei der Festnetztelefonie durch die Zuwächse bei DSL-Breitband nicht auffangen können, aktuell jede Menge Ärger.
In Österreich steht der Telekom Austria wegen der geplanten "Ausgliederungen" mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Arbeitskampf ins Haus. Für Montag hat die Personalvertretung neue Schritte angekündigt.
Die Deutsche Telekom steht unter Dauerbeschuss der EU-Kommission, dazu haben beide börsennotierte Unternehmen Ärger mit den Anlegern, die naturgemäß höhere Renditen sehen wollen.
Die Standortwahl
All das sind keine guten Nachrichten für die Großkommunen beider Länder, weil damit klar ist, dass in absehbarer Zeit nicht viel weitergehen wird. Und das, während eine gut ausgebaute Glasfaser-Infrastruktur eine immer wichtigere Rolle etwa bei der Standortwahl internationaler Unternehmen spielt.
Die großen Städte Europas stehen dabei untereinander längst in hartem Wettbewerb, und mittlerweile hat man in den meisten Bürgermeisterämtern verstanden, dass im Moment Historisches passiert.
Der Paradigmenwechsel
Nach gut hundert Jahren seiner Existenz wird das gute, alte Kupferkabel durch ein Glasfasernetz ersetzt. Den weitaus größten Anteil an innerstädtischen Glasfaserverbindungen aber haben die kommunalen Dienstleister im Verlauf des letzten Jahrzehnts selbst gelegt.
Die Wienstrom etwa verfügt über 2.200 Kilometer Glas und eine Unzahl an bereits verlegten Leerrohren, in die Glasfaser sehr kostengünstig mit Pressluft "eingeblasen" werden kann.
Die "Kanalräumer"
Eine Tochterfirma der Wiener Magistratsabteilung 30 - im Wiener Volksmund die "Kanalräumer" genannt - verfügt über einen eigenen, 250 Kilometer langen Glasfaserring, der durch Wiens Abwasserkanäle läuft.
In Zürich sind die "Stadtväter" weiter gegangen als anderswo im deutschsprachigen Raum. Allen Protesten des Quasimonopolisten Swisscom und des Kabel-TV-Betreibers Cablecom zum Trotz nahm man in Zürich eine Menge Geld in die Hand, etwa 120 Millionen Euro werden in den Ausbau des kommunalen Glasfasernetzes investiert.
Netzneutralität
Wie neuerdings auch in Wien bekennt man sich dabei zur Netzneutralität, das heißt, die einmal erstellte Infrastruktur wird allen Serviceanbietern zu gleichen Bedingungen zur Verfügung gestellt.
In Zürich ist es denn auch nicht der Schweizer Incumbent Swisscom, der als Erster Internet, Telefon und TV über die städtische Glasfaser anbietet, sondern die Tochterfirma des benachbarten Ex-Monopolisten France Telecom.
"Quadruple Play" mit Glas
Ab 1. Juni wirft das Mobilfunkunternehmen Orange Schweiz, das an der Pilotphase des Zürcher Glasfaserbetriebs maßgeblich beteiligt war, ein "Quadruple Play"-Angebot auf den Markt.
Zu "Triple Play" kommt noch mobile Telefonie dazu, für den Sommer kündigte Orange auch spezielle Angebote für Firmenkunden an.
Wohin die Reise geht
Und da erwächst den alteingesessenen Telekoms eine Gefahr, die nicht zu unterschätzen ist. Mithin der größte Brocken des Business-Geschäfts sind nämlich die Vernetzungen großer Unternehmen mit vielen Standorten, und da ging bis jetzt in Zürich wie in Wien nichts ohne die Kupferleitungen der großen Telekoms.
Ein Blick auf den Ausbauplan des kommunalen "Zürinet" zeigt denn auch, wohin nicht nur in Zürich die Reise geht.
Glas bis in die Wohnung
Entlang der Backbones werden einzelne Inseln ausgebaut, logischerweise dort, wo bereits Firmenstandorte bespielt werden.
Während etwa die Deutsche Telekom für ihr VDSL-Projekt die Faser in der Regel nur bis in den Keller legt, während für die letzten paar Meter die alten Telefonleitungen herhalten müssen, machen die Zürcher echtes "Fiber to the Home".
Die Glasfaser wird bis in die Wohnungen installiert, logischerweise angangs nur in ausgesuchte Objekte, wo eben zuerst ein "Return on Investment" zu erwarten ist.
Von Ernst & Young bis Google
Das allererste Angebot von Orange Schweiz für Privatkunden liegt bei 30 MBit/s Download, allerdings mit nur einem MBit/s Upload und VoIP-Telefonie für rund 43 Euro im Monat.
In der Präsentation des Zürinet heißt es unter dem Punkt "Netzplanung 2008", dass bereits 690 Unternehmen angeschlossen sind, bis 2013 sollen es über 4.000 sein.
Dazu sind 3.770 "Liegenschaften" ausgewiesen, die vergleichsweise moderate Zahl der bis 2013 anzuschließenden Haushalte - gerade einmal 12.000 - zeigt, dass hier gemäß den Bedürfnissen internationaler Konzerne ausgebaut wird.
Es handelt sich dabei um global agierende Beratungsunternehmen, Großbanken und auch Google, das in Zürich eine maßgebliche Repräsentanz unterhält.
Glasfaser in Beirut
Außerhalb Europas wird das Match um die urbanen Glasfasernetze mit anderen Mitteln ausgetragen. Anlasspunkt für den Ausbruch der jüngsten Gewalttaten in Beirut war der Status eines Glasfasernetzes, das unter dem Kommando eines gelernten Theologen steht.
Wer das Netz angreife, greife ihn selbst an, hatte Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hisbollah-Miliz, in den vergangenen zwei Wochen wiederholt erklärt.
(futurezone | Erich Moechel)