IPod-Kontrollen auf dem Flughafen
Hinter verschlossenen Türen verhandeln EU-Kommission und US-Behörden über ein neues Copyright-Abkommen, das Tauschbörsenbenutzer kriminalisiert. Zoll und andere Behörden sollen auch in Europa anlasslos Laptops, iPods und andere Datenträger nach "illegalen" Inhalten durchsuchen können.
"Alles, was recht ist, aber hier wird die europäische Meinungsbildung und die Gesetzeswerdung präjudiziert", sagte die grüne EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger, die sich im EU-Parlament unter anderem des Themas geistiges Eigentum annimmt.
Während eine diesbezügliche EU-Richtlinie - sie ist unter dem Kürzel IPRED2 bekannt - das Parlament bereits passiert hat und seit etwa einem Jahr dem Ministerrat zur Verabschiedung vorliegt, verhandelt die EU-Kommission mit den USA, der Schweiz, Japan und Kanada über ein Abkommen, das hier vollendete Tatsachen schaffen könnte.
Die Kommission verhandelt hinter verschlossenen Türen, so dass die Parlamentarier nicht einmal erfahren, was da ausgehandelt wird.
Strafrecht gegen Tauschbörsennutzer
Das Abkommen mit dem Namen "Anti-Counterfeiting Trade Agreement" [ACTA] soll auf einem der beiden kommenden G-8-Gipfel bis Jahresende beschlossen werden. ACTA ist seinem Titel nach zwar gegen Produktpiraterie gerichtet, inkludiert ist freilich alles bis hin zu "Internet-Piraterie".
Laut Absatz drei des aktuellen Diskussionspapiers der oben genannten Staaten sind auch gegen ganz gewöhnliche Tauschbörsennutzer, die urheberrechtsgeschützte Dateien ohne kommerziellen Hintergrund tauschen, strafrechtliche Maßnahmen vorgesehen.
IPRED2 steckt im Rat
Eine ebensolche Passage hatte das EU-Parlament 2007 mit großer Mehrheit aus IPRED2 [Intellectual Property Rights Enforcement Directive 2] entfernt.
Das wiederum passte einer Anzahl von EU-Mitgliedsstaaten, in denen internationale Unterhaltungs- und Medienkonzerne beheimatet sind, nicht ins Geschäft, weshalb im Rat in puncto IPRED2 ein Jahr lang so gut wie nichts weiterging.
Der ACTA-Vorstoß via G-8
Aus diesem Grunde wurde der aus den USA kommende Vorstoß über die G-8-Staaten von maßgeblichen EU-Mitgliedern unterstützt.
Sollte der ACTA-Vertrag wie geplant der Verabschiedung von IPRED2 zuvorkommen, wären sämtliche Abänderungen der EU-Parlamentarier obsolet.
Die unter den großen acht vertretenen EU-Mitglieder Deutschland [Bertelsmann], Frankreich [Vivendi Universal] und Großbritannien [Virgin, EMI] haben nun einmal andere wirtschaftliche Interessen als etwa die G-8-Nichtmitglieder wie Bulgarien, Österreich und Dänemark, die über keinen derartigen Mediengroßkonzern verfügen.
Partikularinteressen, Offenlegung
Bei diesem Abkommen würden "unzulässigerweise Partikularinteressen diesseits und jenseits des Atlantik" - nämlich jene der Musik- und Filmindustrie - höher bewertet als EU-Parlamentsbeschlüsse, sagte Lichtenberger zu ORF.at.
"Die EU-Kommission ist aufgefordert, sofort offenzulegen, wie der Stand der Verhandlungen ist", fordert die grüne Parlamentarierin.
"Zoll und andere relevante Behörden"
Eine frühe Version des Vertrags wurde nämlich von keiner der genannten Instanzen veröffentlicht, erschienen ist das Dokument vergangene Woche auf der Aufdeckerwebsite WikiLeaks.
Unter den Prämissen dieses Vertrags wird nicht ganz überraschend verstärkter "Informationsaustausch und Zusammenarbeitet unserer Strafverfolger, inklusive Zoll und anderer relevanter Behörden" aufgeführt.
Umfassende Ermächtigungen
Das Maßnahmenpaket summiert im Wesentlichen die maßgeblichen Wünsche der Unterhaltungsindustrie der vergangenen Jahre. So sollen etwa Internet-Provider haftbar gemacht werden, wenn sie der Aufforderung zur Sperre von Websites nicht rasch genug nachkommen.
Geplant ist weiters, die Schadenersatzsummen weiter anzuheben, sogar wenn die Rechteinhaber "Schwierigkeiten haben, das volle Ausmaß des Schadens einzuschätzen". Dazu sollen international Strafen verhängt werden, die "abschreckend wirken", den Zollbehörden aber werden umfassende Ermächtigungen eingeräumt.
"Abschreckende" Verwaltungsstrafen
In der vorliegenden Fassung werden sie nicht nur ermächtigt, von sich aus Ermittlungen zu betreiben, sondern auch "abschreckende" Verwaltungsstrafen auszusprechen. Zudem räumt ihnen der Vertrag umfassende Durchsuchungsbefugnisse ein, die Datenträger sind eingeschlossen.
Damit könnten verdachtsunabhängige, routinemäßige Durchsuchungen von Laptops, iPods und anderen Datenträgern nach MP3-Dateien und Videos schon 2009 in Europa Realität werden.
"Dem Bürger auf die Pelle rücken"
Wer "Copyright-Verstöße plant, der transportiert die Daten doch nicht im Laptop über die Grenze", meint Lichtenberger abschließend, seitens der [unbekannten] Ersteller dieses Diskussionspapiers "versteht man entweder nichts von der Materie, oder die Maßnahme "dient für andere Zwecke - um dem Bürger noch näher auf die Pelle zu rücken" und Behördenbefugnisse einseitig auszuweiten.
IPRED2
Der wichtigste Aspekt des zweiten EU-weiten Anlaufs zum Schutz der Eigentumsrechte ist, ob tatsächlich nur die Strafverfolgung Krimineller wie Produktpiraten auf dem Plan steht oder ob Millionen Tauschbörsen-User in der EU nach der zivilrechtlichen nun auch strafrechtliche Verfolgung befürchten müssen.
Zivilrechtliche Verfolgung von Verstößen gegen das Urheberrecht hatte bereits die Copyright-Richtlinie von 2001 beinhaltet.
Downloads "aufgewertet"
Der Grund, warum die Musik- und Filmindustrie darauf besteht, dass Downloads von Copyright-geschütztem Material - in einigen der betroffenen Länder ein einfaches Vergehen - zum strafrechtlichen Tatbestand "aufgewertet" werden, steht in einer anderen EU-Richtlinie von 2006.
Die verpflichtende "Vorratsdatenspeicherung" [Data-Retention] von Telefon- und Internet-Verkehrsdaten - quer durch Europa gerade in der Implementierungsphase - sieht die Herausgabe dieser Daten nur bei schweren Vergehen vor.
Tauschbörsen, Terroristen
Eine Auskunftspflicht seitens der Provider, wer wann welche IP-Adresse benützt hat, besteht nämlich nur dann, wenn begründeter Verdacht auf ein schweres Verbrechen vorliegt. Die Richtlinie war explizit dazu verabschiedet worden, schwere Verbrechen wie Terrorismus usw. effizienter verfolgen zu können.
Da die Unterhaltungsindustrie in der Regel die IP-Adressen über die Tauschbörsen zwar erfassen, aber nicht zuordnen kann, besteht hier höchstes Interesse, ein Delikt, das etwa hierzulande mit maximal einem halben Jahr bedingter Strafe geahndet werden kann, in den Rang eines Verbrechens anzuheben.
Franz Normaltauschbörsennutzer, kriminell
Damit würde die inhaltlich doppelt irreführende PR-Kampagne der vergangenen Jahre, die unter dem Schlagwort "Raubkopierer sind Verbrecher" lief, ex post richtiggestellt: indem die gesetzliche Realität nachträglich der Kampagnenaussage angepasst wird und Franz Normaltauschbörsennutzer so tatsächlich in den Rang eines Kriminellen aufrückt.
(futurezone | Erich Moechel)