Lügendetektor für den US-Wahlkampf
Brooks Jackson überprüft auf Factcheck.org, ob Hillary Clintons, Barack Obamas und John McCains Wahlwerbespots der Wahrheit entsprechen. Die Website ist Teil einer wachsenden Online-Bewegung für mehr Transparenz in der US-Politik.
"Eigentlich würde ich ja gerne öfter mal fischen gehen", gibt Jackson zu. Jackson, mit 32 Jahren Berufserfahrung ein Veteran des US-amerikanischen Politjournalismus, hätte nichts dagegen, einmal ein bisschen häufiger die ruhige Kugel zu schieben.
Doch ehe er sichs versieht, schlagen Clinton und McCain vor, die rasant steigenden US-Benzinpreise durch ein Aussetzen der Benzinsteuer zu bekämpfen - und Jackson kann es nicht lassen, einmal nachzurechnen, ob das überhaupt funktionieren würde. Seine Entschuldigung: "Mein Job macht mir einfach zu viel Spaß."
Jackson ist Direktor des Projekts Political Fact Check, das die Website Factcheck.org betreut. Mit sechs Mitarbeitern sichtet er seit fünf Jahren Tag für Tag Reden, Interviews und Wahlwerbespots, um nachzuprüfen, wie viel Wahrheit hinter den Aussagen der US-Politiker steckt.
Politiker lügen trotzdem
Ein Schwerpunkt der Factcheck-Arbeit ist derzeit naturgemäß der US-Präsidentschaftswahlkampf. Der scheinbar endlose Wettstreit zwischen Obama und Clinton sowie McCains Versuch, trotz George W. Bush gewählt zu werden, werfen für Factcheck.org jede Menge Fragen auf: Kann McCains Krankenversicherungsreform funktionieren? Hat Obama wirklich keine Spendengelder von Ölkonzernen bekommen? Besitzt Clinton tatsächlich die außenpolitische Erfahrung, mit der sie sich gegen ihren Konkurrenten profilieren will?
Die Antworten auf diese Fragen sind häufig komplexer als die Hochglanzflyer und die aggressiven TV-Spots der Kandidaten. Das Factcheck-Team wühlt sich deshalb tagein, tagaus durch archivierte Reden, Abstimmungsprotokolle und ökonomische Statistiken, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden immer wieder in der US-Presse zitiert. Im Mai wurde das Political-Fact-Check-Projekt zudem mit drei Webby-Auszeichnungen geehrt.
"Professionelle" Beziehung zu Politikern
Factchecks Beziehung zu Politikern beschreibt Jackson dagegen als "professionell". Natürlich, manch einer reagiere erhitzt, wenn sein Team zu sehr nachbohre. Die meisten Politiker wüssten jedoch, dass Factcheck fair und unabhängig sei. "Die Profis wissen, wann sie die Fakten verbiegen", glaubt er, "und sie wissen, dass wir sie dafür bloßstellen werden."
Mehr Ehrlichkeit in der Politik verspricht sich Jackson von seiner Arbeit trotzdem nicht. In gewisser Weise kann er es sogar verstehen, dass Wahlkampagnen gerne einmal kreativ mit der Wahrheit umgehen. "Ihre Aufgabe ist es nicht, die Wirklichkeit fair und ausgewogen wiederzugeben", so Jackson. Kampagnen seien eher wie Anwälte, die versuchten, ihren Mandanten im bestmöglichen Licht darzustellen.
Das Political-Fact-Check-Projekt betreut mit Factchecked.org auch eine Website für den Politikunterricht.
Steinreiche Parlamentarier
Factcheck.org ist nicht die einzige Website, die versucht, die Fakten hinter der politischen Rhetorik aufzuzeigen. Opensecrets.org widmet sich den Spendengeldern, mit denen Politiker ihre Wahlkampagnen finanzieren. So zeigt Opensecrets unter anderem, dass Clinton bisher knapp 900.000 US-Dollar von Lobbyisten gespendet bekam. Obama erhielt von dieser Berufsgruppe dagegen nur rund 160.000 Dollar. Die Website erlaubt zudem die Suche nach einzelnen Spendern.
Eine ganze Reihe vergleichbarer Websites wird zudem von der Sunlight Foundation betrieben - einer zwei Jahre jungen Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Netz als Motor für mehr Transparenz in der Politik zu nutzen. Zu den Sunlight-Projekten gehört beispielsweise eine Website namens Fortune 535, die zeigt, wie groß das Vermögen von US-Kongressabgeordneten ist. Die Website offenbart unter anderem, dass fast 50 Abgeordnete mehr als zehn Millionen US-Dollar besitzen.
Eine etwas andere Stoßrichtung hat ein neues Web-Projekt des bekannten Urheberrechtsaktivisten Lawrence Lessig. Mit Changecongress.org will Lessig aufzeigen, welche Abgeordneten sich zu politischen Reformen bekennen. Im Zentrum der Plattform steht dabei die Idee, US-Wahlkämpfe in Zukunft wie in Europa aus öffentlicher Hand zu bezahlen.
Zu wenige Nachahmer
Wie viele dieser Websites erfreut sich auch Factcheck.org dank des US-Präsidentschaftswahlkampfs wachsender Aufmerksamkeit. Jackson weiß zu berichten, dass die Site derzeit pro Tag im Durchschnitt 50.000 Besucher anzieht - fünfmal so viele wie vor dem Wahlkampf.
Dieser Erfolg hat Nachahmer inspiriert. So startete die "Washington Post" ein Blog, das sich voll und ganz der Suche nach Fakten und Wahrheiten verschrieben hat. Der "Congressional Quarterly" und die "St. Petersburg Times" starteten zudem mit Politifact.com eine eigene Website, die den US-Präsidentschaftswahlkampf recherchierend begleitet.
Jackson ist das nicht genug. Das Überprüfen der Wahlkampfrhetorik sei in früheren Zeiten ein fester Bestandteil des politischen Journalismus gewesen. Die Medien sollten sich schämen, dass Websites wie Factcheck.org heute diese Lücke füllen müssten, beschwert er sich. Gleichzeitig fühlt er sich von Vorstößen wie dem der "Washington Post" ermutigt. "Unser größter Erfolg wäre, wenn wir Medien zu ähnlichen Projekten inspirieren könnten und damit überflüssig würden", erklärt Jackson. Dann könnte er auch endlich wieder guten Gewissens fischen gehen.
(futurezone | Janko Röttgers)