Schwarze Listen gegen Tauschbörsen

05.06.2008

Die französische EU-Ratspräsidentschaft werde "eine zentrale Rolle" spielen, heißt es aus der EU-Kommission zum ebenso umstrittenen wie geheimen ACTA-Abkommen. Eines der ersten Gesetze der Regierung unter Nicolas Sarkozy sieht schwarze Listen und Internet-Sperren gegen Tauschbörsennutzer sowie Internet-Filterung zum "Schutz geistigen Eigentums" vor.

Am Mittwoch ging irgendwo in Genf eine zweitägige internationale Verhandlungsrunde zum "Schutze geistigen Eigentums" zu Ende.

Ob und wie die Gespräche zwischen den USA, der EU-Kommission, Japan, der Schweiz, Kanada und anderen Staaten dabei vorangekommen sind, ist bis dato ebenso unbekannt wie der genaue Ort des Treffens sowie die Teilnehmer der Runde zum geplanten "Anti-Counterfeiting Trade Agreement" [ACTA].

Das Diskussionspapier

Dieses Abkommen, das unter anderem weitreichende Ermächtigungen für Zollbeamte vorsieht, hatte in der vergangenen Woche für erheblichen Wirbel quer durch Europa und die USA gesorgt.

Ein im Internet publiziertes internes ACTA-Diskussionspapier enthält neben zahlreichen Maßnahmen gegen Produktpiraterie eine Passage, die eine strafrechtliche Verfolgung von Tauschbörsennutzern auch dann vorsieht, wenn Copyright-geschützte Dateien ohne finanzielle Motive getauscht werden.

Die EU-Richtlinie IPRED2

Eine fast identische Textpassage hatte das EU-Parlament 2007 mit großer Mehrheit aus dem Entwurf für eine EU-Richtlinie [IPRED2] zur Anwendung von Strafrecht auf nicht kommerziell motivierte Verstöße gegen geistiges Eigentumsrecht gestrichen.

Das vorliegende ACTA-Diskussionspapier enthält nun neue Ermächtigungen vor allem für Zollbehörden. Das Papier ist dabei so breit formuliert, dass auch die anlasslose Durchsuchung von Datenträgern beim Grenzübertritt locker ins Interpretationsspektrum fällt.

Antwort aus der EU-Kommission

"Die EU hat seit dem 14. April ein offizielles Verhandlungsmandat, von den EU-Mitgliedsstaaten abgesegnet, welches die Grundlage bildet", heißt es dazu aus der EU-Kommission auf Anfrage von ORF.at.

Was die bisher einzige inhaltliche Quelle zum ACTA-Abkommen angeht, so wird deren Relevanz seitens der Kommission in Abrede gestellt.

"Andere Dokumente [als das schriftliche Verhandlungsmandat, Anm.], sogenannte 'Non-Papers' und 'Diskussionspapiere' unbekannter Herkunft, können nicht als die Grundlage für die Diskussionen und Verhandlungen gesehen werden", heißt es im Schreiben aus der Kommission an ORF.at.

Die Parallele zu IPRED2

Die als IPRED2 bekannte EU-Richtlinie zur schärferen strafrechtlichen Verfolgung von Produktpiraterie, aber auch dem Tausch Copyright-geschützter Inhalte, steckt seit gut einem Jahr im EU-Ministerrat fest.

Grund für die Stagnation ist Uneinigkeit darüber, ob Tauschbörsennutzer ohne finanzielle Motive - wie oben erwähnt - neben der zivilrechtlichen Verfolgung auch strafrechtlich belangt werden können.

Das mitentscheidende EU-Parlament ist mehrheitlich dagegen, im Ministerrat fehlt es offenbar an der nötigen Einstimmigkeit.

"Starke Grundlage, geistiges Eigentum"

Auf die Frage, ob die EU-Kommission mit den ACTA-Verhandlungen nicht die laufende Entscheidungsfindung in der EU präjudiziere, lautet die Antwort aus der Kommission: Man stehe noch am "Anfang der Verhandlungen, Spekulationen darüber, wie ein Abkommen aussehen könnte, sind verfrüht".

Die wenigen weiteren Auskünfte aber geben durchaus Grund zu Befürchtungen, denn zum einen solle "ACTA eine starke Grundlage schaffen, geistiges Eigentum zu schützen". Zudem sei der EU-Präsidentschaft "eine zentrale Rolle als Koordinator" zugedacht.

Frankreichs Sperrbehörde

Da diese Rolle in wenigen Monaten an Frankreich übergeht, kommt das schon einer Drohung gleich.

Eine der ersten Initiativen der konservativen Regierung unter Präsident Sarkozy war ein viel kritisierter Gesetzesentwurf, nach dem Internet-Nutzern bei der dritten Urheberrechtsverletzung der Netzzugang gekappt wird.

Der Gesetzesentwurf sieht die Schaffung einer Regierungsbehörde vor, die auf Zuruf der Medienindustrie vermeintliche Urheberrechtsverletzer verwarnt und danach sperrt.

Internet-Anbieter können weiters dazu verpflichtet werden, Filtertechnologien zu implementieren. Wenn sie Nutzern, die sich auf der schwarzen Liste befinden, Zugänge zur Verfügung stellen, stehen für die Provider Strafen an.

Großbritannien

Sowohl das EU-Parlament wie auch Europas Internet-Provider lehnen derart drastische Vorgangsweisen dezidiert ab.

Bei der britischen Regierung wiederum ist eine Gesetzesverschärfung in Planung, die mehr oder weniger auf dasselbe hinausläuft wie Sarkozys Gesetzesinitiative, die als "Three Strikes Out" bekanntwurde.

"Positive Signale" aus Deutschland

Aus Deutschland hatte der Chef des Medienriesen Sony BMG "positive Signale aus der Politik" im März für seine Forderung vermeldet, schwarze Listen über mutmaßliche Urheberrechtsverletzer anzulegen.

In Japan ist eine der französischen zum Verwechseln ähnliche Gesetzesinitiative in Vorbereitung, die ebenfalls Internet-Sperren als Sanktionen vorsieht.

All diese Staaten haben noch viel mehr gemeinsam. Sie gehören erstens zum erlesenen Kreis jener Staaten, die am ACTA-Verfahren beteiligt sind.

Zweitens ist jeder der erwähnten Staaten sowie die USA Sitz mindestens eines der großen internationalen Medienkonzerne.

Drastische Maßnahmen

Drittens sind sie allesamt Mitglieder der G-7/G-8-Staaten, auf deren Gipfeln regelmäßig die Weichen für die Weltwirtschaftspolitik gestellt werden.

Dabei werden auch drastische Maßnahmen ergriffen, wie die auf den G-7-Gipfeln 2006 vereinbarte Verhaftungswelle von Topmanagern der Internet-Wettanbieter bwin, SportingBet und anderen in den USA und Frankreich gezeigt hat.

Der Zeitrahmen

Zu guter Letzt hieß es seitens der EU-Kommission gegenüber ORF.at, dass es keine Verabschiedung von ACTA auf einem der nächsten G-7/G-8-Gipfel geben werde.

Aus den USA kommen gegenteilige Signale. In der Blogosphäre - von der Huffington Post angefangen bis zum Blog des auf Copyright-Fragen spezialiserten Rechtsberaters von Google, William Patry - geht man davon aus, dass der ACTA-Vertrag noch in der Amtszeit der Regierung von George W. Bush durchgezogen wird.

Die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation [EFF] gab am vergangenen Dienstag eine dringende Aufforderung an ihre Unterstützer heraus, ihre Abgeordneten auf das ACTA-Abkommen hinzuweisen und die Inhalte der Verhandlungen ans Licht zu bringen. Die EFF schreibt, dass ACTA bis Ende 2008 verabschiedet werden solle, und fordert nun einen öffentlichen Diskurs über das Thema.

(futurezone | Erich Moechel)