Online-Medien: Google liest mit

11.06.2008

Bei den Benutzern von mehr als 80 Prozent der großen deutschsprachigen Medien-Websites analysiert Google das Leseverhalten. Das Gros der User hat keine Ahnung, dass Details ihres täglichen Nachrichtenkonsums in einer US-Datenbank landen. Der österreichische Suchmaschinen-Experte Walter Karban im Gespräch mit ORF.at.

Über 80 Prozent aller gut besuchten Websites in Österreich und in Deutschland haben Google Analytics eingebaut, sagte Walter Karban zu ORF.at.

Wenn man bedenke, dass es sich bei diesen Websites großteils um solche von Medienunternehmen handle, dann schaue Google einem guten Dreiviertel aller deutschsprachigen Medienkonsumenten sozusagen live über die Schulter und zeichne ihr Informationsverhalten auf.

Daten erfasst

"Damit weiß Google alles zusammen über den Benutzer, was jedes einzelne dieser Medien über ihn weiß. Das ist schon extrem", sagte der Suchmaschinen-Experte zu ORF.at.

Das Gros der Benutzer habe keine Ahnung davon, dass ihr Online-Verhalten auf einer deutschsprachigen Medienwebsite von einer US-Firma systematisch ausgewertet und mit anderen Daten aggregiert werde.

Irrige Auffassungen

In einer FAQ zu diesem Thema in "Google Groups" - zwar auf der Google-Website aber nicht von Google verfasst - heißt es: "Wird der Einbau von Google Analytics auf meiner Website durch ein Bild oder einen anderen Verweis angezeigt?"

Antwort: "Nein. Der Einbau von Google Analytics zieht keinen Hinweis nach sich, dass sie ihre Website mit Analytics tracken, und sie sind auch nicht verpflichtet, einen Hinweis einzubauen."

Diese Auffassung ist anscheinend sehr weit verbreitet, zumal sich auf den wenigsten Websites, die Google Analytics verwenden, eine Information befindet, die den Nutzungsbedingungen von Google hundertprozentig entspricht. Eine ganze Reihe von großen deutschsprachigen Websites kommt sogar ohne jeden Hinweis aus.

Nutzungsbedingungen, offziell

In Punkt acht der Nutzungsbedingungen von Google heißt es hingegen wörtlich: "Sie sind ferner verpflichtet, an prominenten Stellen Ihrer Websites eine sachgerechte Datenschutzpolicy zu dokumentieren (und sich an diese zu halten). Auch werden Sie alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, die Aufmerksamkeit der Nutzer Ihrer Website auf eine Erklärung zu lenken, die in allen wesentlichen Teilen wie folgt lautet:

'Diese Website benutzt Google Analytics, einen Webanalysedienst der Google Inc. ('Google') Google Analytics verwendet sog. 'Cookies', Textdateien, die auf Ihrem Computer gespeichert werden und die eine Analyse der Benutzung der Website durch Sie ermöglicht. Die durch den Cookie erzeugten Informationen über Ihre Benutzung diese Website (einschließlich Ihrer IP-Adresse) wird an einen Server von Google in den USA übertragen und dort gespeichert."

Cookies verstaut

Durch die Integration des Tracking-Codes von Google auf jeder einzelnen Page kommen die Medien zwar zu kostenlos erstellten Statistiken, die Daten der Benutzer aber verbleiben bei der Suchmaschine. Die ist damit in der Lage, das Benutzerprofil jedes Einzelnen mit einer äußerst wichtigen Information "anzureichern": für welche Nachrichten sich jeder erfasste Benutzer interessiert.

Technisch versierte User können durch Analyse des jeweiligen HTML-Quellcodes einer beliebigen Page zwar erkennen, ob ihre Daten auch an Google weitergegeben werden. Das sozusagen manuell zu tun, ist allerdings recht mühsam, dehalb konstruierte Karban eine Website, die genau diesen Vorgang stark vereinfacht.

Eingaben getrackt

Via Ontraxx.net können sich auch wenig versierte Internet-Nutzer einfach und schnell darüber informieren, welche externen Services in die jeweilige Website eingebunden sind.

Und dabei sind Dinge möglich, die einem gewöhnlichen Benutzer schlicht unbekannt sind. Zur Demonstration der Möglichkeiten baute Karban bei Ontraxx ein kleines Javascript ein, das das verdeutlicht. Mit einem gerade einmal 4.000 Zeichen umfassenden Code werden neben IP-Adresse, Betriebssystem, individuelle Browser-Konfiguration, samt Plugins auch andere Details auf Seiten des Nutzers angezeigt. Die Position des Cursors kann damit ebenso live ermittelt werden wie alle Tastatureingaben, solange die betreffende Webpage geöffnet ist.

Verkehrsdaten übermittelt

Der von Google Analytics auf den Rechnern von Internet-Nutzern ausgeführte Javascript-Code sei ungleich komplizierter und umfasse bis zu 80.000 Zeichen, sagt Karban. Und das bei Usern, die überwiegend keine Ahnung haben, dass ihre Internet-Verkehrsdaten und damit ein Abbild ihrer Interessen überhaupt bei Google landen.

Was da genau ermittelt wird, ist natürlich großes Geschäftsgeheimnis. Doch es bedarf keiner besonderen Phantasie, um zu erkennen, dass jeder Rechner mit aktiviertem Javascript im Browser - also fast alle, weil ohne Aktivierung die meisten Webservices nicht funktionieren - von Google eindeutig identifiziert werden kann.

User abgeklopft

Bis zur Identifikation des Benutzers ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, sobald die Cookies im Browser platziert sind, ist es so weit: Auch verschiedene Personen, die ein- und denselben Rechner benützen, können so auseinandergehalten werden.

All das ist möglich, ohne dass der User während des aktuellen Nachrichtenüberblicks auch nur einmal die Google-Suchmaschine benutzt.

Werbung ermittelt

Auch die österreichische Web-Analyse OEWA sammelt systematisch Daten auf Medienwebsites. Dort kann allerdings "garantiert werden, dass die Daten nicht personalisiert gesammelt werden", sagte Hannes Dünser von der OEWA zu ORF.at.

Alle Daten werden nach ihrer Erhebung nicht rückführbar anonymisiert. "Der einzelne User - als rückverfolgbare Person - interessiert uns nicht", so Dünser, "als reine Marktforscher sind wir ausschließlich an einem möglichst genauen Abbild des Marktes interessiert."

Während Google, die weltgrößte Vermarktungsagentur für suchebezogene Werbung, nur jene Webpages verfolgen kann, in die deren Eigentümer das Google-Script einbaut, führe die OEWA "zertifizierte Messungen nach einem genau definierten Kriterienkatalog aus". Die erhobenen Zahlen seien für den Online-Werbemarkt "harte Währung", so Dünser abschließend.

Das heißt: Indem genau festgelegt wird, auf welchen Webpages das Script der OEWA eingebaut wird, können Manipulationen von Benutzerzahlen verhindert werden.

Google geblockt

Walter Karban wiederum ist mittlerweile damit beschäftigt, Ontraxx um einen neuen Service zu erweitern, der verhindern soll, "dass einem Google beim Zeitungslesen über die Schulter schaut".

Der gelernte Programmierer Karban hatte im Jahre 1994 sein kleines Unternehmen von Grafikproduktion auf Web- und Datenbank-Services umgestellt. Um es bekanntzumachen, erwarb Karban - wohl als einziger Österreicher - Ende 1996 eine Lizenz der damals führenden Suchmaschine Altavista.

Da deren Österreich-Ergebnisse recht mager waren, spielte Karbans Search Engine "Austronaut" bis kurz nach Jahrtausendwende, als der Aufstieg Googles gerade voll im Gange war, in der Suchmaschinen-Liga mit.

DSK angefragt

Bei der Datenschutzkommission läuft eine Anfrage von ORF.at, ob und wie die Integration von Google Analytics und damit die Weitergabe der Internet-Verkehrsdaten österreichischer User an ein US-Unternehmen auf der jeweiligen Website ausgewiesen werden muss.

Bei Google-Sprecher Kay Oberbeck haben wir angefragt, ob seitens Google Sanktionen gegen jene Websites vorgesehen sind, die den oben zitierten Nutzungsbedingungen nicht entsprechen.

Was die Sensibilität der dabei erhobenen Daten angeht, so hatten alle österreichischen Parteien, die großteils Google-Analytics benutzten, nach einem Bericht des "Kurier"-Journalisten und Google-Kritikers Gerald Reischl den betreffenden Code von ihren Websites entfernt.

(futurezone | Erich Moechel)