Was Handy-TV wirklich kann
ORF.at hat zum Start der Fußball-EM zwei TV-Handys und die beiden Technologien DVB-H und DVB-T getestet. Wer die Wahl hat, hat die Qual: mehr Sender für eine monatliche Extragebühr oder weniger Sender und dafür gratis.
Fernsehen auf dem Handy per UMTS-Stream gehört in Österreich schon seit einiger Zeit zur Grundausstattung von [fast] jedem Mobilfunkvertrag. Rechtzeitig zum TV-Großereignis Fußball-EM versprechen die Anbieter nun mit der Einführung von DVB-H den "Beginn eines neuen Zeitalters" für das mobile TV.
Der von der EU festgelegte Standard DVB-H steht für Digital Video Broadcasting-Handheld, ein System, das TV-Programme auf tragbare und mobile Empfänger mit kleinen Bildschirmen sendet. Die mobilkom austria, Hutchison ["3"] und One bieten seit vergangener Woche entsprechende Services für Extragebühren zwischen sechs und neun Euro im Monat an.
Die kostengünstigere Variante ist der TV-Empfang über das digitale Antennenfernsehen DVB-T, entsprechend ausgerüstete Handys bieten derzeit T-Mobile und die mobilkom an.
Auf der Hardware-Seite ist die Auswahl derzeit noch überschaubar: Die DVB-H-Anbieter setzen momentan alle auf das kompakte Nokia N77, für DVB-T wird das LG HB620 angeboten. ORF.at hat den Vergleichstest gemacht - das Spiel DVB-H gegen DVB-T endete mit einem Unentschieden.
Im Februar 2007 hat die Plattform mobile tv austria ihre Vision von Handy-TV der Öffentlichkeit präsentiert und erste Feldversuche via DVB-H gestartet. Fast eineinhalb Jahre und ein turbulentes Lizenzvergabeverfahren später ist es nun so weit.
DVB-H mit dem Nokia N77
DVB-H ging erst vergangenen Freitag offiziell "auf Sendung" und ist vorerst nur in den EM-Austragungsstädten empfangbar. Zu den Olympischen Spielen kommen laut DVB-H-Lizenzhalter Media Broadcast noch weitere Orte dazu, bis Jahresende sollen 50 Prozent der österreichischen Bevölkerung versorgt werden.
Die Bedienung des Nokia N77 ist einfach und intuitiv, der Start von Live-TV erfolgt über eine eigene Taste, das "Zappen" zwischen den Programmen über den Navigationsjoystick. Es dauert allerdings knapp fünf Sekunden, bis das Gerät auf das jeweils nächste Programm umschaltet. Das Bild auf dem 2,4-Zoll-Display ist ausreichend hell und scharf, im Freien spiegelt das Display jedoch. Geschaut werden kann wahlweise im Quer- oder im Hochformat, als Vollbild oder in normaler Größe. Der Programmführer ist übersichtlich.
Im Raum Wien war DVB-H mit dem Nokia N77 prinzipiell gut empfangbar, auch wenn einzelne Sender teilweise nicht erreichbar waren - pikanterweise war ausgerechnet auf ORF1 in der ersten Halbzeit des Spiels Österreich gegen Kroatien nur ein Standbild zu sehen. "Es gab ein technisches Problem", gesteht Media-Broadcast-Sprecher Wolfgang Speer auf Anfrage von ORF.at. "Wir hoffen aber, dass das eine einmalige Sache bleibt."
Verzögerung: 17 Sekunden
Als größter Nachteil von DVB-H erweist sich im ORF.at-Test die relativ große Verzögerung von etwa 17 Sekunden [verglichen mit Kabel-TV], die vor allem beim Schauen eines Fußballmatchs gemein ist, wenn man den Torjubel bereits hört, bevor das Tor überhaupt gefallen ist.
"Die Zeitverzögerung hängt damit zusammen, dass das Signal codiert wird", erklärt Speer im Gespräch mit ORF.at. Im Prinzip sei das die Dauer des Weges von der Erde zum Satelliten und wieder zurück. Diese Verzögerung lässt sich laut Speer auch nicht so schnell reduzieren - erst wenn alle Sendestellen an ein terrestrisches Netz angehängt werden.
Bei der Akkulaufzeit ist das N77 sehr zufriedenstellend und hält im TV-Modus etwa 4,5 Stunden.
Hier wird die Verzögerung mit DVB-H sichtbar: Während der Schiedsrichter auf dem TV-Gerät bereits die Gelbe Karte zeigt, bahnt sich das dazugehörige Foul auf dem Handydisplay erst an.
Mehr Programm
Aktuell gibt es 15 TV-Kanäle: ORF1, ORF2, ATV, Puls 4, Pro7Austria, RTL, Sat1Österreich, VOX, Laola1.tv, LaLaTV, Red Bull, RTL 2, N24, Super RTL und KroneTV. Dazu kommen die Radioprogramme Ö3, FM4, Kronehit, Ö1 und LoungeFM.
DVB-T mit dem LG
Das LG HB620 ist ein Klapphandy mit ausfahrbarer Antenne, die aber äußerst filigran gebaut ist. Das Gerät überzeugt auf den ersten Blick durch seine schlichte Tastatur mit großen Tasten. Das 2-Zoll-Display wirkt auf den ersten Blick ziemlich klein, im Vergleich mit dem Nokia N77 wird das Bild aber nicht viel kleiner wahrgenommen.
Direkt unter dem Display ist ein TV-Button, mit dem der DVB-T-Empfang gestartet wird. Beim ersten Einschalten erfolgt der automatische Sendersuchlauf, die verfügbaren Programme werden in einer übersichtlichen Liste angezeigt.
Mit ausgefahrener Antenne war DVB-T prinzipiell überall in Wien empfangbar, auch wenn es dabei deutlich öfter ruckelte als bei DVB-H und grob verpixelte Bilder auftraten. Von der Bildqualität und -schärfe konnte DVB-T auf dem LG-Handy dennoch überzeugen. Durch den Klappmechanismus fällt es auch leicht, das Bild an die jeweiligen Lichtbedingungen anzupassen.
DVB-T: 95 Prozent Abdeckung
Mankos waren der etwas wacklige Klappmechanismus und das schnelle Heißlaufen des Geräts. Trotz anderslautender Vorurteile hielt der Akku das ganze Österreich-Spiel mit Pausen- und Nachberichterstattung [samt mehreren kurzen Telefonaten] durch. Etwa 2,5 Stunden TV-Betrieb sollten sich also ausgehen.
Auf dem Handy sendet DVB-T mit etwa fünf Sekunden Verzögerung zum Kabel-TV - was durchaus akzeptabel ist.
In Österreich hat DVB-T laut ORF-Sendetechniktochter ORS bereits eine Abdeckung von 90 Prozent erreicht, bis Ende 2009 sollen es 95 Prozent werden. Über DVB-T sind derzeit ORF1, ORF2, ATV, Puls 4, 3sat und ORF Sport Plus verfügbar.
Die Handydisplays im Vergleich
Die mobilkom bietet zudem auch das DVB-T-Handy LG HB620 an, das mit dem A1-Komplettpaket 99 Euro kostet. Bei T-Mobile ist das Gerät in Verbindung mit dem Tarif Fairplay Plus für 149 Euro zu haben.
Warten auf mehr Auswahl
Generell wird man sich ein Fußballspiel bevorzugt auf einem größeren Bildschrim ansehen, doch für den Ausnahmefall tut auch das Handy seine Dienste. Vor allem bei bewegten Bildern sticht DVB-H die Konkurrenz DVB-T qualitativ aus. Die relativ große Verzögerung ist bei Live-Events aber ein deutlicher Nachteil, weiters auch das noch sehr eingeschränkte Empfangsgebiet.
Für DVB-T spricht eindeutig der Kostenfaktor - außer der Hardware fallen keine Extrakosten an, dafür ist das Programmangebot auch wesentlich kleiner. Das LG HB620 überzeugte allerdings vor allem in haptischer Hinsicht weniger. Auf beiden Seiten wird es sicherlich noch interessant, was die nächsten Gerätegenerationen zu bieten haben.
Wichtig ist, dass sich potenzielle Nutzer im Vorhinein klar sind, wie sie Handy-TV nutzen möchten, und die Kosten berechnen. Zwar erlassen die meisten Anbieter bis Jahresende die Extragebühren für die DVB-H-Nutzung, die Arbeiterkammer kritisiert aber die Belastung durch die langen Vertragsbindungszeiten von mittlerweile 24 Monaten.
Ob und mit welcher Technologie sich Handy-TV in Österreich durchsetzen kann, wird sich wohl in den kommenden Monaten zeigen. Auch wenn Studien eine gewisse Skepsis bei den Nutzern orten, sehen die Betreiber derzeit genügend Nachfrage.
(futurezone | Nayla Haddad)