Wienux scheiterte an Sprachkenntnissen
Eine Verquickung von Missverständnissen und Zeitdruck hat dazu geführt, dass in Wiens Kindergärten neben Wienux nun auch Windows zum Einsatz kommt. Die zuständige MA 10 hatte den Auftrag für eine Software zur Erfassung der Sprachkenntnisse von Kindern schon vergeben, als klarwurde, dass diese nur im Internet Explorer und damit nicht unter Wienux läuft.
"Der Auftrag war schon draußen, als wir erfahren haben, dass die Software 'bi-Cube LC' unter Wienux nicht nutzbar ist", erklärte Christine Spieß, Dienststellenleiterin der für die städtischen Kindergärten zuständigen Magistratsabteilung [MA] 10, den Anfang vom Ende der ausschließlichen Nutzung der stadteigenen Linux-Distribution Wienux in Wiens Kindergärten.
Die eigenen EDV-Beauftragten seien davon ausgegangen, dass "bi-Cube LC", eine Software der Rostocker Firma iSM zur Erfassung der Sprachkenntnisse von Kindern, auch unter Wienux einsetzbar sei. "Gott sei Dank" sei man rechtzeitig draufgekommen, dass diese nur mit dem Internet Explorer und damit nur unter Windows funktioniere, so Spieß gegenüber ORF.at.
Nun sei in den Wiener Kindergärten neben Wienux eben auch Windows XP im Einsatz, und eigentlich sei die MA 10 damit auch gar nicht so unzufrieden: "Wir sind froh, dass jetzt alles funktioniert."
Das "Schlaumäuse-Gerücht"
Spieß wies auch den immer wieder geäußerten Vorwurf von sich, Microsofts Lernsoftware "Die Schlaumäuse" habe dazu geführt, dass in Wiens Kindergärten nun Windows laufe.
"Sie haben es uns vor zwei Jahren einmal angeboten, aber da haben es unsere Pädagoginnen als nicht geeignet klassifiziert, und wir haben abgelehnt. Nun, bei der Verhandlung für die Umstellung, haben sie es wieder mitgebracht, und nun ist es tatsächlich besser." Im Einsatz ist die Software laut Spieß allerdings noch nicht und auch nicht der Grund für die Umstellung.
Spieß beharrte darauf, dass Wienux in den Kindergärten nach wie vor seinen Platz habe: "Wienux wird auch bei uns weiter genutzt, ich habe das extra abgefragt, und es gibt Kolleginnen, die auch weiterhin Wienux nutzen wollen."
Erweiterung der "Schülermatrik"
"Bi-Cube LC" ist eine Erweiterung der seit einigen Jahren im Wiener Stadtschulrat im Einsatz befindlichen "Schülermatrik" ["SM-Online"]. Dieses Programm wird nun auch im Rahmen der seit Anfang Juni laufenden Überprüfungen ["Screenings"] der Wiener Kindergartenkinder auf ihre Sprachfähigkeiten eingesetzt.
Sprachtest im Kindergarten
Diese Screenings sind eine Umsetzung der nach langen Verhandlungen Ende Februar von der Stadt Wien unterzeichneten 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, die unter anderem eine Sprachförderung im letzten Kindergartenjahr vorsieht. Dazu ist es nötig, dass Wiens Kindergärtner feststellen, ob ein Kind Sprachförderung braucht. Die entsprechenden Informationen tragen sie via Browser-Interface in ein Verwaltungssystem ein, das von iSM entwickelt wurde.
Kurze Vorlaufzeit
"Unsere Software ist seit 14 Tagen produktiv im Einsatz", so iSM-Chef Gerd Rossa gegenüber ORF.at. Der Vorlauf dafür sei allerdings äußerst kurz gewesen, "innerhalb eines Monats musste alles fertig sein".
Da die bisherigen iSM-Systeme für den Wiener Stadtschulrat, eben besagte Schülermatrik, alle im Internet Explorer [IE] laufen und auch einige Java-Scripts nutzen würden, die nur im IE funktionieren, habe man es in der kurzen Zeit nicht geschafft, eine Version zu schreiben, die auch unter Wienux funktioniert hätte.
200 Manntage für unabhängige Version
"Ich bin völlig technologieneutral, ich habe meinen Kunden auch schon Linux-basierte Systeme angeboten, aber die wollten das nicht haben", so Rossa gegenüber ORF.at. "80 Prozent von dem, was wir für die Erweiterung gebraucht haben, war zudem schon fertig. Etwas gänzlich Neues aufzubauen hätte deutlich länger gedauert."
Laut Rossa würde sein Unternehmen "über den Daumen" 200 Manntage dazu benötigen, eine plattformunabhängige Version herzustellen. Diese neue Version zu schreiben wäre die Stadt deutlich teurer gekommen als die nun erfolgte Umstellung auf Dual Boot in den Wiener Kindergärten, für die 107.000 Euro budgetiert waren. Zudem hätte Wien mit der Frühförderung ein Jahr warten müssen.
Kein Auftrag bisher
Allerdings wurde eine solche Version laut Rossa auch nicht insistierend nachgefragt. Laut Spieß wird bei der MA 10 derzeit nicht daran gedacht, das System eventuell für den Betrieb auf Wienux umzustellen.
Die bisherigen Kunden von iSM sind unter anderen die AUVA, die OMV und Versicherungen wie die Generali.
Umstellung teilweise bereits erfolgt
In Wiens Kindergärten laufen nun 360 Rechner wahlweise unter Windows XP und Wienux, und zwar die Rechner für die Verwaltung, so Erwin Gillich, Leiter der für Wiens EDV zuständigen MA 14. Die restlichen 360 PCs für die Gruppenarbeit sollen im Herbst umgestellt werden. Zwar wurden für die Umstellung Vista-Lizenzen gekauft, diese ermächtigen aber auch zum Einsatz von Windows XP, und das eigne sich für die aktuelle Hardware besser als Vista, so Gillich.
Damit sinke nun der Anteil der Rechner, die rein unter Wienux laufen, erneut, stellt Gillich mit Bedauern fest: "Mir persönlich tut die Entscheidung sehr leid, aber wir sind nur Dienstleister und setzen um, womit wir beauftragt wurden." Open Source sei aber weiterhin fixer Bestandteil in Wiens EDV, alleine 400 Server würden im Magistrat unter Open-Source-Software laufen.
Entscheidung im Herbst?
In Summe ist die MA 14 für 32.000 Rechner in Wien zuständig, davon 12.000 in Wiens Schulen, die ausschließlich unter Windows laufen - auf Wunsch der Kunden, wie Gillich betont. Bis auf die Kindergarten-Rechner werde auch keiner dieser Rechner aktualisiert oder etwas darin investiert, bis die von der Stadt Wien in Auftrag gegebene Studie STOSS 2 über den Einsatz von Open Source in der Wiener Stadtverwaltung erscheint.
Sie soll spätestens im Herbst fertig sein und als Grundlage für eine Entscheidung dienen, wie nun in Wien mit Open Source und Wienux weiter vorgegangen werden soll.
Strategische Entscheidung
Ohne diese Grundsatzeintscheidung sieht Gillich den Einsatz von Wienux in Wien auf sehr dünnen Beinen, auch wirtschaftlich: "Die Lizenzen für Windows und Office kosten pro Arbeitsrechner 93 Euro - inklusive aller anderen Lizenzen wie SAP belaufen sich die Kosten allerdings auf um die 1.500 Euro, da fallen die 93 Euro nicht mehr ins Gewicht."
Angesichts der Probleme mit SAP unter Linux würden die Dienststellenleiter, denen der Einsatz von Wienux oder Windows freigestellt wurde, sich eher für Windows entscheiden als für das grundsätzlich kostenlose Wienux. "Ohne strategische Entscheidung wird das nie was", so Gillich.
Für eine etwaige Um- und Aufrüstung auf Windows und Microsoft Office sei bereits eine Rücklage von 2,7 Millionen Euro genehmigt worden, so Gillich. In der Maximalvariante [mit Windows Vista und Office 2007] würden sich die Kosten auf acht Millionen Euro belaufen, wovon rund ein Achtel für die Aufrüstung der Hardware ausgegeben werden müsste.
(futurezone | Nadja Igler)